Forschung als & | Research as an Ampersand

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das ARBEITSBUCH
Um die Diskussionen über unsere und ähnliche Forschung zu befeuern, haben wir uns nach zehn Jahren zu diesem Jubiläumsband entschlossen. Das wird zum Zwanzigjährigen anders sein. Für dieses Mal schien uns ein Arbeitsbuch sinnvoll. Es ist ein Rückblick, der annähernd widerspiegelt, was in den vergangenen zehn Jahren versucht wurde, und damit in Aussicht stellt, wohin es in Zukunft gehen könnte. Erst die gebündelte Summe der im Einzelnen sehr spezifischen Vorhaben, erst die Fülle der Projekte – einschliesslich der vielen gescheiterten –, erst die unterschiedlichen Wege und Bemühungen haben eine Richtung erkennbar gemacht. Die Zahlen und Projekte sprechen eine eigene Sprache, die Empirie spiegelt ein Erfahrungswissen, dessen wir uns vorher nicht bewusst waren.

Jede Forschung verlangt ihre fachspezifische Sag- und Lesbarkeit entsprechend ihrer besonderen epistemischen Qualität. So wird auch der «Erstrezipient» dieses Arbeitsbuches im Geiste «Re-Produzent»; er wird das für ihn Relevante dieser Zwischenergebnisse heraussuchen und dadurch hoffentlich ermutigt, kritisch anzudocken, weiterzumachen oder anders forschend sich der Themen anzunehmen. Erst diese Kompetenz ermöglicht die intersubjektive Überprüfbarkeit. Gesucht sind Peers. Forschende Gemeinschaften bilden sich über die Themen und Expertisen. Wissensproduktion und Vermittlung bilden eine Einheit: Die Erkenntnisse zielen vorgängig auf die Peergroup und ihren eigenen «Artikulationsmodus», erst dann auf die Öffentlichkeit. Die künstlerische Forschung in Film, Tanz und Theater ist sehr aktiv und verbreitet sich – zumindest in Europa – schnell. Aber die Diskursplattformen sind noch kaum etabliert, die Publikationsorgane in den Anfängen. Pionierzeiten – glücklich, wem es gelingt, probate Formate zu entwickeln. Auch dieser zurückblickende Band ist nur ein bescheidener Versuch, an einer übergrossen, alten Tradition anzudocken, wie zuletzt, um nur zwei Beispiele zu nennen, Peter Brooks «Centre international de recherche théâtrale» (CIRT) oder die unvergessenen Produktionen und Publikationen der Schaubühne am Lehniner Platz mit dem Dramaturgen Dieter Sturm. Was ist Forschung anderes als eine fach- und berufsspezifische Anknüpfung an einen je herrschenden «State of the Art»? Es geht um innovative Befragung und abschliessende Publikation und Diskussion.

So muss Forschung sein: Expeditionen des Nicht-Wissens unter Wahrung eines grösstmöglichen Anteils an Kreativität, Empathie und Entdeckergeist. Daran wird sich so schnell nichts ändern.

Bedingung für einen kunstspezifischen, produktiven Forschungsbegriff ist die Nähe zu Praxis und Lehre. Kunst und Forschung? Selbstverständlich! «Nicht seine Rationalität zeichnet den Menschen aus, nicht seine Sprache, nicht sein aufrechter Gang, nicht sein Vermögen, Werkzeuge herzustellen – alles Themen, die der abendländischen Philosophie des Menschen ihr Gepräge gaben, sondern sein Darstellungsvermögen.»9 Am Ende bleiben Dankbarkeit und Respekt für all die Mitstreiter/innen der ersten Dekade. Wir haben gemeinsam an unserer Idee festgehalten, in den Mitteln beweglich wie junge Tänzer/innen – «vive la suite»! Das Chaos ist noch lange nicht aufgebraucht. Es wird noch viele beste Zeiten geben.

Mein Dank gilt insbesondere denjenigen, die an ein IPF glaubten, lange bevor sie dazu Gründe hatten: Daniel Fueter, Peter Danzeisen, Martin Dreier, Max Salm, Christina Thurner, Hajo Kurzenberger, Barbara Flückiger, Dieter Imboden und natürlich allen Forscherinnen und Forschern, denen dieses Buch gewidmet ist.
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1 Empfehlung der Kommission für die Anerkennung kantonaler Fachhochschuldiplome an das Departement Theater der Hochschule Musik und Theater. Ausserdem «wird empfohlen, auf die längere Phase der Umstrukturierung eine Phase der Konsolidierung folgen zu lassen». Zürich, 16. Juni 2003.
2 Brecht, Bertolt. Im Dickicht der Städte. Zitat: «Das Chaos ist aufgebraucht. Es war die beste Zeit.» In: Gesammelte Werke Band 1. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1967, S. 193.
3 Vgl. die Richtlinien des Hochschulrates für die Umsetzung der Erklärung von Bologna an den Fachhochschulen und den pädagogischen Hochschulen (letzter Stand vom 28. Mai 2015). Online unter: https://bildungssystem. educa.ch/de/bologna-prozess (letzter Zugriff 31.8.2017).
4 Die Entstehung und Entwicklung der Schauspielausbildung hat Ute Kröger recherchiert und mit Dokumenten belegt. Vgl. Rey, Anton; Wickert, Hartmut (Hg.): 75 Jahre Schauspielschule in Zürich – Vom Bühnenstudio zur ZHdK. Geschichte und Gegenwart der Schauspielausbildung in Zürich 1937 bis 2012. Zürich, Museum für Gestaltung, 2012, S. 142.
5 «Gesuch um Deckungsbeitrag», Zürich, April 2004, Daniel Fueter, Rektor HMT.
6 Protokoll der erweiterten Departements-Leitungssitzung vom 27. April 2007.
7 Departementleitung.
8 Vgl. Borgdorff, Henk: Die Debatte über Forschung in der Kunst. In: Rey, Anton et al. (Hg.): Künstlerische Forschung. Positionen und Perspektiven, subTexte 3. Zürich, ZHdK/IPF, 2009, S. 23–51. Online unter https://www.zhdk.ch/publikationsreihe-
subtexte-4007 (letzter Zugriff 26.3.2018).
9 Rheinberger, Hans-Jörg: Historische Epistemologie zur Einführung. Hamburg: Junius, 2007, S. 122.

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