Und man erreicht den Fluss
von Gerald Köhler
Martin Rupprechts Hang zum Phantastischen, seine Versuche, Welt als Ganzes darzustellen, die Liebe zur Werkstattarbeit, das Interesse an Theaterformen als bildlich-prozessuale Akte wurden von ihm auf dem Gebiet der zeitgenössischen Oper ebenso eingebracht wie bei den großen Spielopern: Es ist hier wie dort kein anderes Agieren jenseits der Neugier auf Neues feststellbar. Und er hat nicht nur ab und zu ein Werk des modernen Musiktheaters ausgestattet, sondern es ist ein fundamentaler Zug in seinem Schaffen. Im Grunde markieren diese Werke auch seinen Durchbruch als Bühnenbildner.
Dabei beteuert er stets, wie wichtig ihm das Arbeiten als prozessualer Akt, die offene Kunstproduktion, das Freisein von Vorbildern ist, und da kommt ihm das moderne Musiktheater gerade recht. Aber Rupprecht ist auch der rechte Mann: weil er sich auskennt, zum Beispiel in der Bildwelt des Mittelalters, in seiner Zuneigung zur Kirchenorgelmusik, in seiner exorbitanten Kenntnis historischer Bekleidung. Rupprecht weiß also um den Fundus, aber er arbeitet nicht für den Fundus. Schönster Beleg dafür ist 1981 sein Collagieren von alten Bühnenprospekten für Mauricio Kagels Metacollage Aus Deutschland.
Gerade Komponisten erkannten auch die Vorteile seines profunden Wissens im Reich der Musikkultur und legten Wert auf seine Umsetzungen: Allen voran Kagel, der zum engen Freund des Bühnenbildners wurde. Rupprecht stieg also nicht auf schon fahrende Schiffe auf, um sein Renommee weiter auszubilden – Beweis ist die hohe Anzahl von Uraufführungen bzw. deutschen Erstaufführungen von Werken der zeitgenössischen Oper, etwa 1975 Mare nostrum oder Aus Deutschland, beides Werke von Kagel.
Gerade Kagels Avantgarde mit ihrem Hang zum Formalen und dem bisweilen distanzierten Unterton kam dem szenographischen Denken, welches jederzeit zum Betreten von Neuland bereit war, entgegen. Vermutlich interessierten Rupprecht auch Theoreme, wie sie Kagel in seiner Idee des Instrumentalen Theaters entwickelte, denn diesem stellt Rupprecht seine instrumentale Szenerie zur Seite, seine spatiale Instrumentierung. Überhaupt erwies sich Rupprecht als ausgesprochener Kagelianer, wenn er dessen Bilderbogen Aus Deutschland für die Deutsche Oper Berlin eindrucksvoll als eine Überprüfung der Bildwelt des 19. Jahrhunderts gestaltete; kein Gemeinmachen mit dem Traditionellen, sondern distanzierte und anwendende Stellungnahme. Das entsprach genau dem Assoziationsraum des Komponisten: Das optische Denken von Kagel, seine schon mit einbedachte Szenographie in einem gegliederten Bühnenraum schlug sich kongenial in der Ausstattung mit den wandelnden Prospekten von Rupprecht nieder, der umgekehrt sein musikalisches Denken in die Szene einfließen ließ. Immer wieder begegnet uns der Gedanke einer performativen Szenographie, eines agilen Bühnenbildes, gerade bei seinen Interpretationen des Neuen Musiktheaters.
Rupprechts Erdung erfolgte im Reich des vermeintlichen Widerparts der Spiel- und Repertoireoper, denn schon zum Anbeginn seiner Karriere findet sich ein Meilenstein des Nichtkulinarischen: Boris Blachers Abstrakte Oper Nr. 1, 1971 mit einem studentischen Ensemble realisiert. Dabei stand die Klassische Moderne des Musiktheaters für ihn immer an der Seite von Werken der tonalen Innovation und der auch ironischen Distanz zum traditionellen Operngebaren.