Martin Rupprecht
Bühnen Bilder
von Martin Rupprecht
Herausgegeben von Werner Heegewaldt und Peter W. Marx
Paperback mit 240 Seiten, Format: 245 x 320 mm
ISBN 978-3-95749-139-8, Mit zahlreichen farbigen Abbildungen
Der Bühnen- und Kostümbildner Martin Rupprecht gilt als „einer der führenden Ausstatter des deutschsprachigen Raums, dessen ‚Kunst der atmosphärischen Konzentration‘ variantenreich, opulent und ironisch herkömmliche Sehgewohnheiten bricht und starke optische Akzente setzt“. (Rowohlt Theaterlexikon) Neben klassischen Opern hat er insbesondere im Neuen Musiktheater als kongenialer Partner von Regisseuren wie Mauricio Kagel, Winfried Bauernfeind und Michael Hampe gewirkt. Zahlreiche Werke, etwa von Kagel, Henri Pousseur, Hans Werner Henze und Wilhelm Dieter Siebert, brachte er zur Ur- oder Erstaufführung. Er war u. a. in Berlin, Tokio, Los Angeles und Stockholm tätig. Der Band dokumentiert in großformatigen Bildern und opulenter Ausstattung das Bühnenwerk von Rupprecht, begleitet von Beiträgen u. a. von Achim Freyer, Christoph Tannert, Mauricio Kagel und Peter W. Marx.
Herausgegeben von Werner Heegewaldt und Peter W. Marx im Auftrag der Akademie der Künste, Berlin und der Theaterwissenschaftlichen Sammlung Universität zu Köln
Martin Rupprecht – Ein Umriss
Peter Marx
Es ist ein sich verfestigender Eindruck, der sich schon mit der ersten Begegnung einstellt: Fröhlich ist Martin Rupprecht, wie er gerne selbst bestätigt, und fröhlich sind auch seine Entwürfe. Leicht, farbenfroh, verspielt. Doch schon im Schreiben erweckt die Beschreibung Unbehagen, weil sie all jene Vorurteile und Vereinfachungen heraufzubeschwören droht, die so eilig bei der Hand sind: Schon das Wort ‚Ausstattung‘ hat im Deutschen einen etwas eigentümlichen Beigeschmack – eher Schaufensterdekoration als Kunst.
Wer sich die folgenden Seiten wachen Sinnes durchsieht, der wird schnell und lustvoll eines Besseren belehrt, der wird einsehen, dass sowohl die Themen – Szene und Kostüm – als auch die Fröhlichkeit nichts Äußerlich-Beiläufiges sind, sondern in gewisser Weise das Zentrum der Rupprecht’schen Arbeiten markieren. Es wären aber noch zwei weitere Punkte zu ergänzen: auf der einen Seite das Handwerk und auf der anderen Seite die Vielseitigkeit.
Aber der Reihe nach:
Fröhlichkeit und Spiel
Die Vorstellung, Kunst müsse ernst sein, um groß zu sein, ist ebenso einengend und verarmend wie die Vorstellung, große Themen seien nur dann angemessen erarbeitet, wenn sie mit Gravität und im Voll bewusstsein der eigenen Bedeutsamkeit vorgetragen werden. Bei Martin Rupprecht aber, da tanzen die Preußen – etwa beim Stadtfest 1987 in Berlin, wenn die überdimensionalen Puppen sich durch das Stadt bild bewegen. Der Effekt ist nicht eine Vereinfachung, sondern Subversion: Das Spiel mit den Dimensionen verfremdet das Stadtbild, stellt eingeübte Perspektiven infrage und provoziert einen zweiten, neuen Blick.
Die Heiterkeit, der Farbenreichtum, das Verdrehen der Perspektive sind nicht Ausdruck von Weltfremdheit, sondern Produkt der Auseinandersetzung mit ihr – ohne sich ihr auszuliefern. Der Theologe Hugo Rahner hat über das Spiel einmal geschrieben: „Denn das ist eine heilende Notwendigkeit für uns Menschen von heute, die wie in die Verzwecktheit des blöden Ernstes oder in die Sinnlosigkeit einer bloßen Diesseitigkeit verstrickt sind.“ (Hugo Rahner: Der spielende Mensch, Freiburg i. Br. 2016, S. 9)
Und so lassen sich Rupprechts Entwürfe in all ihrer Unterschiedlichkeit und Vielgestaltigkeit doch auf ein Zentrum beziehen: Sie leisten Widerstand gegen die „Verzwecktheit des blöden Ernstes“. Rupprecht spielt mit den Möglichkeiten der Szene und des Kostüms und entdeckt für sich und uns damit erst ihre Möglichkeiten: Für Mauricio Kagel – einen der langjährigen Weg- und Kunstgefährten Rupprechts – baut er zur Uraufführung von Mare nostrum (1975) ein Binnenmeer auf die Bühne, das plätschert und glitzert. Überhaupt ist die Wasser- und Schiffsthematik ein wiederkehrendes Motiv bei Rupprecht: Zar und Zimmermann (1985) spielt im Gerippe eines Schiffs. Der Untergang der Titanic (1979) lässt das Schiff über die Bühne hinauswachsen. Mit Inferno und Paradies (1988) baut er aus den Brettern, die die Welt zu bedeuten behaupten, Kähne und lässt sie schwimmen.
Man möge dies jedoch nicht mit sattsamer Gemütlichkeit verwechseln: Keineswegs sind Rupprechts Arbeiten lukullisch im Sinne einer schwelgenden Genusssucht – verwoben ist sein Wirken mit der Entwicklung der Neuen Musik, deren szenischem Werden er oftmals vermittelnde Gestalt verliehen hat. Die Uraufführung von Hans Werner Henzes Wir erreichen den Fluß (1976) erschüttert die Zuschauer auch deshalb so nachdrücklich, weil das Szenische der Musik einen einprägsamen Resonanzboden verleiht. Das Spiel ist nicht Ablenkung, sondern Hinwendung zur Welt, auch in all ihren Schrecknissen und Unversöhntheiten.
Folgt man der Spur des Spiels bei Rupprecht, dann ist es eine Lust am Ausprobieren von Perspektiven und Formen, die sich als Leitmotiv erkennen lässt: Groß und Klein, Form und Verfremdung sind Aspekte, an denen Rupprecht immer wieder arbeitet. Die Bühne ist ein Abbild der Welt und will auch entsprechend bevölkert sein. Immer wieder baut er Tiere oder Fabelwesen: Dinosaurier und Drachen für die Oper in Chemnitz 1992, Kentauren für die Zauberflöte (Hamburg 1991) oder ein ganzes Bestiarium für die Zauberflöte in Athen (2005). Die Vielfalt verrät die Freiheit, mit der Rupprecht die Bühne unter Spannung setzt, weil sie sich nicht einhegen lässt durch verbindliche Konzepte oder Normen. Es ist die Verwandlung, die sich hier als Leitthema offenbart: Die Figurinen und Fotos etwa aus Athen zeigen nicht zufällig immer wieder auch den menschlichen Körper, wie er sich mithilfe der Kostüme verwandelt – und doch vielleicht im Spiel ganz zu sich selbst findet.
So liest sich die Überformung auch als eine Suche nach dem, was den Kern ausmacht – der Mensch und seine Möglichkeiten. Und hier sind Rupprechts Arbeiten oftmals eine Provokation: Sie maskieren, verhüllen, überzeichnen, vergröbern und manchmal dämonisieren sie auch. Die Masken und Maskierungen – immer wieder auch für Ballette – sind eine Zumutung für Darsteller, weil sie Sichtbarkeit (welcher Darsteller wird schon gerne unkenntlich auf der Bühne …) und Bewegungsfreiheit einschränken. Man muss sich nur die Körpermasken für Die Jahrtausendnacht (1999) oder den Offenbach-Tanzabend (1987) ansehen, um zu sehen, was Rupprecht von seinen Mitspielern auch verlangt. Da ver - schwin den Köpfe, Zahnräder ersetzen das Organische oder riesige Mobiles müssen rucksackartig über Kopf balanciert werden. Nicht klassische Schönheit ist das Ziel, sondern die neue Perspektive, ein Wagnis, schön neu zu erleben.
Martin Rupprecht ‚stattet nicht aus‘, er spielt – fürsorglich, frech, mit einer unbändigen Lust, die Szene und ihre Bewohner an die Grenzen des Spiels zu führen und auch die Zuschauer zu einem Blick- und Perspektivwechsel herauszufordern, zu verführen, der ‚normal‘ und ‚wirklich‘ hinter sich lässt.
Handwerk
Wer die Figurinen und Szenenentwürfe näher in den Blick nimmt, der sieht schon das Maß an Handwerk, auf dem diese Arbeiten ruhen. Insofern ist es sicherlich kein Zufall, dass er seit geraumer Zeit auch das Zeichnen selbst als weiteres Zentrum seiner Arbeit entdeckt hat und pflegt. Die spezifische Umsetzung der Phantasie durch die zeichnende Hand, die ja den Händen der Werkstätten nur vorausgeht, ist der Kern seiner künstlerischen Arbeit.
Ganze Inszenierungen kann man in den Miniaturen seiner Storyboards ablaufen sehen – die Interpretation einer Figur, ihre gesamtszenische Entwicklung ist den Figurinen oftmals schon eingeschrieben.
Man sollte es nicht leichtfertig für ein anekdotisches Abschweifen halten, wenn Rupprecht in Gesprächen immer wieder auf die Werkstätten zu sprechen kommt: Sie haben für ihn eine besondere Bedeutung, nicht nur weil sie die wichtigste Schnittstelle für jeden Bühnen- und Kostümbildner sind, sondern weil sie zum einen Hort wirklicher Handwerkskunst sind, zum anderen weil dieses praktische Wissen auch zu einem wesentlichen Verständnis von Theater führt. In diesem Sinne ist das Theater eben nicht nur eine abstrakte Kunst, reine Phantasie, sondern angewandte und ausgeführte Phantasie, die neben der eigenen Vorstellungskraft auch ein Verständnis für Material und Verfahren erfordert.
So erscheint es nur folgerichtig, dass Rupprecht neben seiner künstlerischen Tätigkeit seit 1972 für dreißig Jahre auch Professor für Kostümbild an der Universität der Künste Berlin war. Die Bilder der Produktionen, die er mit den Studierenden entwickelt hat, unterstreichen, dass dies für Rupprecht nicht allein eine Herzensangelegenheit war, um den Nachwuchs der eigenen Profession auszubilden, sondern auch ein Laboratorium für seine eigenen Arbeiten. So zeigt etwa Toxcatl (1979) jene Spannung zwischen geometrischer Form, organischem Körper und Bewegung, die in vielen anderen Arbeiten Rupprechts wieder auftauchen. Beispielhaft ist auch seine Arbeit zu Kandinskys Bilder einer Ausstellung (1983) – ein Abend, der in vielerlei Hinsicht programmatisch die Auseinandersetzung mit der klassischen Moderne des Bauhaus sucht.
Hand-Werk ist bei Rupprecht aber auch in einem sehr unmittelbaren Sinne zu verstehen: Aufwändig und liebevoll sind seine Modelle – nicht Dokumente künstlerischer Phantasie, sondern Werkzeuge, an denen Wege, Beleuchtung, Effekte und Farben ablesbar sind. Auch in Zeiten der digitalen Simulation, so Rupprecht: „Schneiden, kleben, basteln, das ist das ganz Wichtige am Modell und später in den Werkstätten. Man arbeitet viel mit Oberflächen und Materialien, und über diesen Weg in seiner Gesamtheit kann man den für diesen Beruf so wichtigen persönlichen Stil finden.“ Was Rupprecht hier formuliert – gleichermaßen für seine Studierenden wie für sich selbst – ist die Einsicht, dass es nicht das Produkt allein ist, sondern die Sinnlichkeit des Arbeitens, die Erfordernis, den inneren Bildern mit den Händen im Stofflichen Ausdruck zu verleihen, die das Gravitationszentrum seiner Arbeiten bildet und durch die der Künstler in einem umfassenden Sinne zu sich selbst findet. So wird, um dies nur anzumerken, auch verständlich, dass die malerischen Arbeiten Rupprechts in organischem Verhältnis zu seinem Gesamtoeuvre stehen – Handwerk ist Handwerk und ruht in sich selbst, unabhängig von Format und Skalierung.
Vielfalt und Entgrenzung
Wie leicht befördern Schlagworte eine Denkfaulheit, die sich der Mühe einer genauen Betrachtung entzieht. ‚Opulenz‘, ‚Üppigkeit‘ oder ‚barock‘ sind solche Schlagworte, Schubladen, die Klarheit versprechen, aber in Wirklichkeit nur Stereotype reproduzieren. Die Lust am Spiel und Experiment, die Martin Rupprechts Arbeiten kennzeichnen, sind auch verknüpft mit einer Fülle unterschiedlicher Formate und Ästhetiken. Da gibt es die stadtfüllenden, raumgreifenden Arbeiten, wie jene zum Stadtjubiläum Berlins 1987 oder im Folgejahr Inferno und Paradies, eine Arbeit, die die Bühne auf Schiffe mit überdimensionalen Puppen und Skulpturen verlagerte. Da sind die Arbeiten für La Cenerentola an der Dresdner Semperoper 1992, tatsächlich barocke Figurinen, die allerdings, wenn man die Blätter genau betrachtet, in der Collage von Figur, Stoffen, kleinen Kommentaren und vergrößerten Details eigentlich schon eine Inszenierung der Figur auf dem Papier sind. Kunstvoll wird hier tatsächlich das Barock als Register zitiert. In anderen Arbeiten, wie etwa Der Untergang der Titanic (1979), konnte Rupprecht nicht nur den szenischen Raum, sondern auch die umliegenden Räume mitgestalten und das Publikum tatsächlich in eine andere, szenisch-theatrale Welt überführen.
Entgrenzung meint in seinem Falle auch die Grenzüberschreitung einer Weltkarriere, die sich in vielen Ländern und Kulturen abspielt: Budapest, Drottningholm, Sankt Petersburg, Zürich, Seoul, Athen. Daneben aber – und in seiner Perspektive mehr als gleichberechtigt – stehen auch die ‚kleinen‘ Formen: Kinderstücke oder Salonopern. Ebenso vielfältig und unterschiedlich sind die Künstlerinnen und Künstler, mit denen er arbeitet und gearbeitet hat: Winfried Bauernfeind, Mauricio Kagel, Michael Hampe oder Sabine Sterken, um nur eine kleine Auswahl zu nennen.
Die Vielfalt hat bei Martin Rupprecht zwei entscheidende Voraussetzungen: seine eigene Bildsprache, die vieltönig und ständig im Fluss ist, und die Bereitschaft, jede Aufgabe, jede Form gleich ernst zu nehmen. Wer meint, seine Arbeiten seien an die großen Häuser mit ihren Werkstätten und ihrem scheinbar unerschöpflichen Arsenal an technischen Möglichkeiten gebunden, der unterschätzt sowohl das Handwerkliche als auch die Improvisationskraft Rupprechts. So zeigt etwa das Szenenbild für Der Nachtwächter (2009), wie aus vorfindlichen Materialien ein Neues entsteht. Wirklich befreiend spielen, gegen die „Verzwecktheit eines blöden Ernstes“, kann nur, wer ernsthaft spielt und sich einlassen kann.
Auf die Frage, was er der kommenden Generation als Ratschlag auf den Weg gebe, hat Rupprecht einmal geantwortet, „Wach sein, Lust haben!“ – eine Tugend, die er in seinen eigenen Arbeiten exemplarisch pflegt und auslebt. Ob auf den großen Bühnen mit den ‚Menschheitsstoffen‘, im Kammerformat, für Kinder oder mit Studierenden – Rupprecht ist ein Spieler im besten Sinne des Wortes und es ist sicher lich kein Zufall, dass die Zauberflöte sich wie ein roter Faden durch seine Arbeiten zieht. Immer wieder ringt er der Mozart-Oper neue Seiten ab, gestaltet sie als einen Reigen aus Farben, Formen und Bildern. Ein Spiel der Phantasie, das Himmel und Erde bewegt – drunter geht’s nicht.
Peter W. Marx, Professor für Theater- und Medienwissenschaft am Institut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln und Direktor der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität zu Köln.
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Bühnenbildnerei für neues Musiktheatervon Martin Rupprecht | Seite 26 |
Ein heiterer Preußevon Michael Hampe | Seite 37 |
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Konsequenzen in der Vielfaltvon Stephan Dörschel | Seite 76 |
Bühnenbildner – Bühnenbild?von Nele Hertling | Seite 118 |
Ausstattungvon Sabine Sterken | Seite 162 |
Und man erreicht den Flussvon Gerald Köhler | Seite 164 |
Bildnerischen Freiraum stiftenvon Christoph Tannert | Seite 198 |
‚Bühnenbildner‘von Volker Hassemer | Seite 210 |
Formlos, aber nicht ungeformtvon Matthias Zwarg | Seite 219 |
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Ausstellungen | Seite 239 |
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