Und man erreicht den Fluss
von Gerald Köhler
Wilhelm Dieter Sieberts Oper Der Untergang der Titanic rundet 1979 anlässlich der Berliner Festwochen das Bild ab: Das Schiff, auch Metapher für das alte Musiktheater, läuft auf einen Brocken gefrorenen Wassers auf, und der Zuschauer erlebt, zum Mitgehen gezwungen, den Untergang als prozessualen Akt mit. Der alten Oper wird alles genommen: die Statik, der sichere Guckkasten, die Bequemlichkeit der Rezeption. Das Schiff ist das Gebäude der Deutschen Oper Berlin. 1979 musste sich das geneigte Publikum die Schauplätze dieser Uraufführungsoper von Siebert immer wieder neu ergehen, eine „Laufoper“, wie Rupprecht bemerkte.
Vielleicht ist Rupprechts Neigung zur Offenheit, zur Open-Air-Dimension, zum fluiden Material, zur ausgesprochenen Beweglichkeit und Transitorik der Szenerie auch kunstideologisch begründet. Der Aufbruch zu neuen Ufern offenbart sich in seiner Ausstattungskunst immer wieder: etwa in der Thematisierung von Aufbruch, Fahrt in das Unbekannte und Ankunft in der Oper Hamel von Frank Maus – 2004 in Seoul realisiert – oder bei dem sogenannten Wannsee-Spektakel Inferno und Paradies von 1988, bei der der Bühnenbildner und sein mehrfacher Regiepaladin Winfried Bauernfeind sich von Dantes Die göttliche Komödie leiten ließen.
Bis heute prägt Rupprecht eine Begeisterung für die Avantgarde des Musiktheaters, was sich zuletzt besonders in der Zusammenarbeit mit der Regisseurin Sabine Sterken und ihrer Salonoper Chemnitz niederschlug. Hier finden wir Basisarbeit, ein Zurück zum Kleinexperiment, mit wenigen Mitteln ausgestattet. Die Zwänge der großen Institution Oper fallen weg, die Illusionsvermeidung wird hier goutiert, man werkelt wieder ex ovo. Mit diesem Theaterkollektiv kam neben Werken von Herwarth Walden oder Arnold Schönberg wieder das Musiktheater von Mauricio Kagel zum Zuge, mit frappant einfachen Mitteln, mit Freude am genialisch improvisierten Schaffen, mit der Könnerschaft des alten Hasen, etwa 2001 Der mündliche Verrat oder 2009 Der Tribun. Rupprecht verschloss sich den medialen Formen weiterhin nicht und arbeitete jeweils mit Projektionen beziehungsweise Videobildern. Eine solche Low-Budget-Situation ist ihm eher eine Bluterfrischung und das Experiment gerade bei experimenteller Oper möglich.
Freut man sich schon über eine gute Presse oder viel Applaus vom Publikum, so ist doch der beste Indikator für die Qualität einer ja immer interpretierenden szenographischen Arbeit sicher das Urteil des Komponisten selbst. 2001 schrieb Kagel als Widmung an Rupprecht:
„Das ist die schönste Produktion vom Mündlichen Verrat,
die ich je gesehen + gehört habe!! DANKE!“
Aber Qualität steht auf, wenn man die Szene als Instrument einsetzt, gefundene Bilder in Klarheit neu montiert. Und nicht Monumente der szenischen Kunst errichtet, sondern alles im Fluss belässt.