Und man erreicht den Fluss

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Ein oberflächlicher Betrachter der Ausstattungskunst von Martin Rupprecht hält ihn aufgrund der Opulenz mancher seiner Bühnenarbeiten für einen barocken Typ des Szenographen, für einen, dessen Tiefe von einem schönen Schein begleitet ist, dessen Musiktheaterbilder und -kostüme einem nur kulinarischen Interesse seitens des Publikums eher entgegenkommen. Filmregisseur Luchino Visconti mit seinen Traumwelten ein großes Vorbild, eine Assistenz bei der Grande Dame des Bühnenbildes Ita Maximowna, die Zusammenarbeit mit Michael Hampe – das passt zunächst ins Bild. So weit, so falsch. Denn dann würde man ja gänzlich Rupprechts bis heute andauerndes Engagement für ein Theater der Neuen Musik, der zeitgenössischen Oper außer Acht lassen, den Enthusiasmus, der eher nicht einem wertkonservativen, Pomp bevorzugenden Willen zu einer Arbeit für die Ausstattungsoper entspricht.

Mauricio Kagel: Der mündliche Verrat, Regie: Sabine Sterken, Ausstattung: Martin Rupprecht, Oper Chemnitz 2001
Mauricio Kagel: Der mündliche Verrat, Regie: Sabine Sterken, Ausstattung: Martin Rupprecht, Oper Chemnitz 2001

Das wahre, weite Gebiet steckte Rupprecht schon früh selbst ab, als er mit seiner ersten Opernarbeit 1971 an der Hochschule der Künste in Berlin mit Studenten Boris Blachers Abstrakte Oper Nr. 1 und Giovanni Battista Pergolesis La serva padrona zwei Musiktheaterwerke aus ganz unterschiedlichen Epochen an einem Abend zusammengeführt hat.

Martin Rupprechts Hang zum Phantastischen, seine Versuche, Welt als Ganzes darzustellen, die Liebe zur Werkstattarbeit, das Interesse an Theaterformen als bildlich-prozessuale Akte wurden von ihm auf dem Gebiet der zeitgenössischen Oper ebenso eingebracht wie bei den großen Spielopern: Es ist hier wie dort kein anderes Agieren jenseits der Neugier auf Neues feststellbar. Und er hat nicht nur ab und zu ein Werk des modernen Musiktheaters ausgestattet, sondern es ist ein fundamentaler Zug in seinem Schaffen. Im Grunde markieren diese Werke auch seinen Durchbruch als Bühnenbildner.

Dabei beteuert er stets, wie wichtig ihm das Arbeiten als prozessualer Akt, die offene Kunstproduktion, das Freisein von Vorbildern ist, und da kommt ihm das moderne Musiktheater gerade recht. Aber Rupprecht ist auch der rechte Mann: weil er sich auskennt, zum Beispiel in der Bildwelt des Mittelalters, in seiner Zuneigung zur Kirchenorgelmusik, in seiner exorbitanten Kenntnis historischer Bekleidung. Rupprecht weiß also um den Fundus, aber er arbeitet nicht für den Fundus. Schönster Beleg dafür ist 1981 sein Collagieren von alten Bühnenprospekten für Mauricio Kagels Metacollage Aus Deutschland.

Gerade Komponisten erkannten auch die Vorteile seines profunden Wissens im Reich der Musikkultur und legten Wert auf seine Umsetzungen: Allen voran Kagel, der zum engen Freund des Bühnenbildners wurde. Rupprecht stieg also nicht auf schon fahrende Schiffe auf, um sein Renommee weiter auszubilden – Beweis ist die hohe Anzahl von Uraufführungen bzw. deutschen Erstaufführungen von Werken der zeitgenössischen Oper, etwa 1975 Mare nostrum oder Aus Deutschland, beides Werke von Kagel.

Gerade Kagels Avantgarde mit ihrem Hang zum Formalen und dem bisweilen distanzierten Unterton kam dem szenographischen Denken, welches jederzeit zum Betreten von Neuland bereit war, entgegen. Vermutlich interessierten Rupprecht auch Theoreme, wie sie Kagel in seiner Idee des Instrumentalen Theaters entwickelte, denn diesem stellt Rupprecht seine instrumentale Szenerie zur Seite, seine spatiale Instrumentierung. Überhaupt erwies sich Rupprecht als ausgesprochener Kagelianer, wenn er dessen Bilderbogen Aus Deutschland für die Deutsche Oper Berlin eindrucksvoll als eine Überprüfung der Bildwelt des 19. Jahrhunderts gestaltete; kein Gemeinmachen mit dem Traditionellen, sondern distanzierte und anwendende Stellungnahme. Das entsprach genau dem Assoziationsraum des Komponisten: Das optische Denken von Kagel, seine schon mit einbedachte Szenographie in einem gegliederten Bühnenraum schlug sich kongenial in der Ausstattung mit den wandelnden Prospekten von Rupprecht nieder, der umgekehrt sein musikalisches Denken in die Szene einfließen ließ. Immer wieder begegnet uns der Gedanke einer performativen Szenographie, eines agilen Bühnenbildes, gerade bei seinen Interpretationen des Neuen Musiktheaters.

Rupprechts Erdung erfolgte im Reich des vermeintlichen Widerparts der Spiel- und Repertoireoper, denn schon zum Anbeginn seiner Karriere findet sich ein Meilenstein des Nichtkulinarischen: Boris Blachers Abstrakte Oper Nr. 1, 1971 mit einem studentischen Ensemble realisiert. Dabei stand die Klassische Moderne des Musiktheaters für ihn immer an der Seite von Werken der tonalen Innovation und der auch ironischen Distanz zum traditionellen Operngebaren.

Die großen Brocken der Opernliteratur kamen später, Verdi, Puccini, Mozart, Rossini und andere, aber immer als Stätte, wo man feststellen muss, wie „schwer das Leichte ist“. (Rupprecht) Aber „attachiert“ sei er an die Neue Musik – so sagte er selbst. Opernrepertoire wurde mit gleicher Leidenschaft bedient, und ebenso blieb Rupprecht der gepflegten Moderne der Oper treu: Reimann, Blacher, Britten, Henze und vielen mehr. Gerade bei der Avantgarde aber muss der Künstler – mit den Worten Rupprechts – Farbe bekennen, kann bei Uraufführungen nicht auf schon Approbiertes gründen, muss sich neue Seh- und Lesarten erst erkämpfen.

Rupprecht implementierte seine Leidenschaft für Musiktheaterexperimente wiederholt in seine Lehrtätigkeit als Professor an der Hochschule der Künste in Berlin. Das Studentenprojekt Cage-Up an der HdK 1978, das er – wie in dem Fall von Cages Song-Books – im Rahmen eines Festes realisierte, sei an dieser Stelle erwähnt. Besonders deutlich aber wird das didaktische Engagement in seinem Reenactment der Musikavantgarde der Weimarer Republik, als er 1983 mit Studierenden die Realisation der Avantgarde von damals mit Wassily Kandinskys Bilder einer Ausstellung betrieb, als Lern- und Lehrbeispiel für Mut und Innovation. Die musikalische Form – der Klavierzyklus von Mussorgski – erzeugte bereits 1928 in Dessau Bühnen-Bilder von Kandinsky, die in einem optisch-kinetischen Ereignis selbst als Instrumente agierten. Hier hielt sich Rupprecht nobel zurück und stützte sich vor allem auf das Regiebuch des damaligen Regieassistenten Felix Klee. Und gleichzeitig konnte er so ein Gleichnis seiner eigenen Arbeitsweise geben: von der Musik aus zur Szene zu gelangen.

Eines fällt auf: Das Wasser als Element, weitergedacht als das Fluide in der Kunstproduktion, scheint für Rupprecht eminent wichtig zu sein. Sein Einsatz zum Beispiel von Projektionen weist auf diesen Hang zur Verflüssigung der Szene, etwa 1974 bei Henri Pousseurs Die Erprobung des Petrus Hebraicus bei den Berliner Festwochen. Kagels Mare nostrum trägt den Verweis auf das Element schon im Titel, und folgerichtig baut der Künstler für die Festwochen ein Jahr später ein Modell mit einem Becken, um das herum die Akteure mit ihren Instrumenten sitzen. Ein breites Randband in Umrissform des Mittelmeeres umgab das Wasser und ein Einsteigen ins Wasser war möglich. Die Flüssigkeit wurde piktoral eingesetzt, denn Rupprecht veränderte wiederholt deren Farbe, was an Kandinskys bühnensynthetisches Theaterdenken erinnert. Und nicht zuletzt denkt man an die deutsche Erstaufführung von Hans Werner Henzes Werk Wir erreichen den Fluß bei den Berliner Festwochen 1976 unter der Regie von Schlöndorff. Rupprechts Kacheln als dystopisches Material in einer Sandszenerie lassen das nicht vorhandene Wasser utopisch ersehnen und damit auch erscheinen.

Wilhelm Dieter Sieberts Oper Der Untergang der Titanic rundet 1979 anlässlich der Berliner Festwochen das Bild ab: Das Schiff, auch Metapher für das alte Musiktheater, läuft auf einen Brocken gefrorenen Wassers auf, und der Zuschauer erlebt, zum Mitgehen gezwungen, den Untergang als prozessualen Akt mit. Der alten Oper wird alles genommen: die Statik, der sichere Guckkasten, die Bequemlichkeit der Rezeption. Das Schiff ist das Gebäude der Deutschen Oper Berlin. 1979 musste sich das geneigte Publikum die Schauplätze dieser Uraufführungsoper von Siebert immer wieder neu ergehen, eine „Laufoper“, wie Rupprecht bemerkte.

Vielleicht ist Rupprechts Neigung zur Offenheit, zur Open-Air-Dimension, zum fluiden Material, zur ausgesprochenen Beweglichkeit und Transitorik der Szenerie auch kunstideologisch begründet. Der Aufbruch zu neuen Ufern offenbart sich in seiner Ausstattungskunst immer wieder: etwa in der Thematisierung von Aufbruch, Fahrt in das Unbekannte und Ankunft in der Oper Hamel von Frank Maus – 2004 in Seoul realisiert – oder bei dem sogenannten Wannsee-Spektakel Inferno und Paradies von 1988, bei der der Bühnenbildner und sein mehrfacher Regiepaladin Winfried Bauernfeind sich von Dantes Die göttliche Komödie leiten ließen.

Bis heute prägt Rupprecht eine Begeisterung für die Avantgarde des Musiktheaters, was sich zuletzt besonders in der Zusammenarbeit mit der Regisseurin Sabine Sterken und ihrer Salonoper Chemnitz niederschlug. Hier finden wir Basisarbeit, ein Zurück zum Kleinexperiment, mit wenigen Mitteln ausgestattet. Die Zwänge der großen Institution Oper fallen weg, die Illusionsvermeidung wird hier goutiert, man werkelt wieder ex ovo. Mit diesem Theaterkollektiv kam neben Werken von Herwarth Walden oder Arnold Schönberg wieder das Musiktheater von Mauricio Kagel zum Zuge, mit frappant einfachen Mitteln, mit Freude am genialisch improvisierten Schaffen, mit der Könnerschaft des alten Hasen, etwa 2001 Der mündliche Verrat oder 2009 Der Tribun. Rupprecht verschloss sich den medialen Formen weiterhin nicht und arbeitete jeweils mit Projektionen beziehungsweise Videobildern. Eine solche Low-Budget-Situation ist ihm eher eine Bluterfrischung und das Experiment gerade bei experimenteller Oper möglich.

Freut man sich schon über eine gute Presse oder viel Applaus vom Publikum, so ist doch der beste Indikator für die Qualität einer ja immer interpretierenden szenographischen Arbeit sicher das Urteil des Komponisten selbst. 2001 schrieb Kagel als Widmung an Rupprecht:

„Das ist die schönste Produktion vom Mündlichen Verrat,
die ich je gesehen + gehört habe!! DANKE!“

Aber Qualität steht auf, wenn man die Szene als Instrument einsetzt, gefundene Bilder in Klarheit neu montiert. Und nicht Monumente der szenischen Kunst errichtet, sondern alles im Fluss belässt.

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