Recherchen 79
Woodstock of Political Thinking
Im Spannungsfeld zwischen Kunst und Wissenschaft
Herausgegeben von Tilmann Broszat, Sigrid Gareis, Julian Nida-Rümelin und Michael M. Thoss
Paperback mit 250 Seiten, Format: 140 x 240 mm
ISBN 978-3-940737-86-1
> Inklusive DVD!
Wie sieht die Zukunft des politischen Denkens aus? Mit dieser Frage beschäftigte sich das Diskurs-Happening „Woodstock of Political Thinking", das 2009 im Rahmen des Münchner Theaterfestivals SPIELART stattfand. An drei Tagen versammelten sich dreißig Künstler, Wissenschaftler, Kuratoren und Kunstvermittler im Haus der Kunst, um die politische Debatte in die Öffentlichkeit zurückzubringen und die spezifische Rolle von Performance im politischen Diskurs zu untersuchen.
Dieser Band enthält Beiträge von Artists Anonymous, Lola Arias, Bazon Brock, Ayona Datta, TJ Demos, Julius Deutschbauer, Hans-Peter Dürr, Tim Etchells, Faustin Linyekula, Heiner Goebbels, Christian Höller, Judith Huber, Harold James, Schorsch Kamerun, Nikolai Khalezin, Rainer Langhans, Frie Leysen, Herfried Münkler, Julian Nida-Rümelin, Hans Ulrich Obrist, Tanja Ostoji, Elif Özmen, Jan Ritsema, Kathrin Röggla, Rajni Shah, Johan Simons, Nicolas Stemann, Jörg Witte, Sophie Wolfrum und Klaus Zehelein.
Der Anlass der Planungen zum dreißigstündigen Denk- und Diskursmarathon WOODSTOCK OF POLITICAL THINKING, der vom 20. bis 22. November 2009 im Rahmen des Theaterfestivals SPIELART in München stattfand und dieser Publikation zugrunde liegt, war das Super-Gedenkjahr 2009 (Mauerfall, Beginn des Ersten Weltkrieges, Grundgesetz, Gründung der DDR, futuristisches Manifest, Woodstock, Hermannsschlacht etc.) mit all seinen zu erwartenden publizistischen und politischen Ritualen. Hier wollten wir eine offene Plattform für Künstler und Kuratoren, Intellektuelle und Wissenschaftler setzen, um im performativen Diskurs unterschiedliche und möglicherweise neue, noch nicht standardisierte »Spielarten« des politischen Denkens zu erforschen. Ausgangspunkt für diese Begegnung von Kunst und Wissenschaft war die Beobachtung, dass im methodischen Ansatz dieser Gedenkjahrveranstaltungen das Politische zwar häufig explizit thematisiert, gleichzeitig aber vernachlässigt wurde, dass die politische und soziale Haltung von Künstlern und Künstlerinnen bereits per se einen substanziellen Ausgangspunkt gegenwärtiger Kunst- und Wissensproduktion markiert. Gleiches gilt für die wissenschaftliche Erforschung politischer Strukturen, Phänomene und normativer Grundlagen: Die Frage, welche Rolle die Subjektivität auf der einen Seite und die Ideale der Wertfreiheit auf der anderen Seite für die künstlerische und wissenschaftliche Praxis spielen, wurde zum zentralen Ausgangspunkt der Konzeption.
Ging es uns zu Beginn der Planungen vor allem darum, die politische Debatte überhaupt wieder in eine Öffentlichkeit zu bringen und die spezifische Rolle der künstlerischen Performance in der politischen Auseinandersetzung zu beleuchten, so verschob sich der Fokus mit der Zeit schrittweise: Trotz der vorhersehbaren eingetretenen Informationsüberflutung zu den unterschiedlichsten Gedenkanlässen verlagerte sich der Fokus sowie die inhaltliche Notwendigkeit immer stärker auf die massiv ins öffentliche Bewusstsein und individuelle Unterbewusstsein drängende ökonomische Krise. Ni
cht nur ihre politischen und strukturellen sondern auch ihre mentalen und kulturellen Implikationen sowie die daraus zu ziehenden Konsequenzen haben – anders als die Gedenkjahr-Thematiken des Jahres 2009 – bis heute nichts von ihrer Brisanz verloren. Mehr noch: Der mit unserem WOODSTOCK OF POLITICAL THINKING geplante »Reset« einer politischen Debatte entwickelte sich unversehens zur »Auftaktveranstaltung« einer in diesem Jahr sehr virulent geführten Auseinandersetzung mit Politik im Bereich der darstellenden Kunst. So sprach man zum Beispiel im Bezug auf das Berliner Theatertreffen 2010 von einem (politischen) »Krisenspielplan« und eine ganze Reihe weiterer Festivals machten in diesem Jahr die politische Auseinandersetzung zu einem ihrer thematischen Zentren. Nach langen Jahren eines eher an ästhetischen Fragen orientierten (postmodernen) Kunstdiskurses steht heute also die entscheidende Bedeutung sozialer und politischer Fragen wieder neu und massiv im Raum.
Dass wir für diesen neuen Hunger an politischer Auseinandersetzung eine offensichtlich adäquate Form gefunden hatten, zeigte bereits das Happening WOODSTOCK OF POLITICAL THINKING selbst. Ausgehend von der Idee des über den Tellerrand der eigenen Disziplin hinausblickenden »Intellektuellen« sowie des »Salons« als dem Ort seines Diskurses, wollten wir einen zeitgemäßen Rahmen schaffen für gemeinsame Diskussionen und Aktionen zwischen den beteiligten Künstlern, Wissenschaftlern und dem Publikum. Die Aktualität und die Ausweitung des politischen Diskurses über die Grenzen der damit üblicherweise befassten Institutionen hinaus suggerierten uns von Anfang an, dass neue zeitnahe Formen des Performativen in der (Theater-)Kunst gesucht und gefunden werden müssten. Wir versuchten »Freiflächen« zu schaffen, die dem Theater, aber auch der Wissenschaft in Theorie wie Praxis neue diskursive Zugänge zum Politischen ermöglichten. Über einen Zeitraum von täglich zehn Stunden bewegten sich Künstler, Wissenschaftler und Publikum im Stundentakt zwischen zwei Performance-Räumen und einer speziell eingerichteten Lounge und wuchsen über drei Tage hinweg zu einer konzentrierten, mit Wissensdurst und in Neugier sich begegnenden »Künstler/Wissenschaftler/Publikum-Community« zusammen.
Die Entscheidung des Konzeptionsteams, den Künstlern und Referenten keine expliziten inhaltlichen oder thematischen Vorgaben zu machen und bewusst sehr offen ein neues Denken über Politik im Kunst- und Kulturbereich anzuregen, hatte zur Folge, dass diese selbst die ihnen auf den Nägel brennenden und durch ihr Genre oder Fachgebiet evozierten Fragen und Aspekte zur Diskussion stellen konnten. Es entstand dadurch in der Gesamtheit der dreißig Beiträge, die allesamt im vorliegenden Buch oder in der beigelegten DVD ihren Niederschlag fanden, eine durch die Referenten und Künstler selbst geprägte aktuelle »Momentaufnahme« politischer Denkrichtungen zu Beginn des neuen Jahrhunderts/Jahrtausends, die in Krisenzeiten auch sehr deutlich geprägt ist vom Wunsch nach fundamentaleren Veränderungen in den bestehenden, als ungerecht empfundenen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen und Ordnungen.
Die Bandbreite der unterschiedlichen Ansätze und Herangehensweisen rubrizieren und damit die Weite der Denkhaltungen kanalisieren zu wollen, erschien uns als Herausgeber unangemessen und letztlich kontraproduktiv: Damit würde man den Beiträgen die Hellsicht und Schärfe nehmen, die in ihrer Totalität betrachtet sowohl in der Spezifik der Einzelanalyse, als auch im überraschenden, luziden und mannigfaltigen Potential ihrer intellektuellen Zugänge, Anregungen und politischen Forderungen liegt. Es erschien uns daher sinnvoller, die Beiträge in ihrer schlichten chronologischen Abfolge der Präsentation bei der Veranstaltung WOODSTOCK OF POLITICAL THINKING zu veröffentlichen. Der Leser erhält dadurch – ähnlich dem Besucher des Denkmarathons – die Möglichkeit, sich unmittelbar und unverstellt von den Ideen und Erkenntnissen der Künstler und Wissenschaftler selbst anregen, leiten, auch nachdenklich machen zu lassen.
Dazu bieten die Künstler und Wissenschaftler im vorliegenden Buch ein immenses gedankliches und inhaltliches Reservoir, das ein großes Spektrum umfasst: Gedanken zum Künstler als Seismografen politischer Brüche und Umbrüche, Analysen der gesellschaftlichen Relevanz von Kunst und Kultur, Überlegungen zum Körper als Ort der gesellschaftliche Debatte, Entwürfe zu neuen politischen und sozialen Gemeinschaftsformen und Community-Modellen, das Aufzeigen von Erinnerungsräumen und biografisch-archivarischen Zugängen, Möglichkeiten einer Kunst und eines Denkens der Verunsicherung, Veränderung und Utopie …
Hat sich das Konzeptionsteam der Veranstaltung im letzten Jahr gewünscht, die politische Debatte in der Kunst wieder anzustoßen, so wünscht sich das gleichnamige Herausgeberteam heute, diese in Schwung zu halten und nach Möglichkeit zu vertiefen. Als Leser wünscht es sich Sie als einen verantwortungsbewussten »Flaneur« durch diese Publikation.
Tilmann Broszat, Sigrid Gareis, Julian Nida-Rümelin und Michael M. Thoss
Kapitel | Seite |
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Kapitel | Seite |
Erster Tag | |
Le CargoDVD Track [1]von Faustin Linyekula | Seite 8 |
Kosmopolitische Perspektivenvon Julian Nida-Rümelin | Seite 12 |
Vita erster VersuchDVD Track [2]von Jörg Witte | Seite 13 |
Gespensterarbeit, Krisenmanagement und Weltmarktfiktionvon Kathrin Röggla | Seite 22 |
Spielmotor.devon Klaus Zehelein | Seite 41 |
Utopiavon Tim Etchells | Seite 44 |
Wo ist die moderne Stadt?Visuelle Erzählungen polnischer Bauarbeiter in London nach 2004von Ayona Datta | Seite 48 |
'Tis Strangevon Artists Anonymous | Seite 56 |
Performativer Urbanismusvon Sophie Wolfrum | Seite 57 |
»With a little help from my Friends« – Drei Tage im Sommer 1969von Heiner Goebbels | Seite 65 |
Zweiter Tag | |
Theatre of a direct actionvon Nikolai Khalezin | Seite 70 |
Spekulation als Muster für Rationalitätsansprüche – Mit einer Auspeitschung und Salbungvon Bazon Brock | Seite 77 |
Kunst und Finanzkrisevon Harold James | Seite 82 |
Mein Theater der Erinnerungvon Johan Simons | Seite 87 |
»We’re not gonna take it«Kunst, Politik, Woodstock und das große Nichteinverstanden-Seinvon Christian Höller | Seite 91 |
Grenzüberschreitung: Entwicklung verschiedener künstlerischer Strategienvon Tanja Ostojić | Seite 102 |
Die Deutschen und ihre Mythenvon Herfried Münkler | Seite 113 |
Matschvon Judith Huber | Seite 120 |
Die Politik der Nachhaltigkeit: Gegenwartskunst und Ökologievon T. J. Demos | Seite 121 |
Aus dem Tod eine Jugend machenvon Rainer Langhans | Seite 139 |
Dritter Tag | |
Future will be hurricaneHans Ulrich Obrist im Gespräch mit Michael M. Thossvon Michael M. Thoss und Hans Ulrich Obrist | Seite 144 |
Theater der Welt – Internationale Zusammenarbeit in den KünstenFrie Leysen im Gespräch mit Martin Bergvon Frie Leysen und Martin Berg | Seite 150 |
Ihr seid die Freaks!DVD Track [3]von Schorsch Kamerun | Seite 151 |
Verantwortliche Freiheit und engagierte DemokratieÜber die Möglichkeit radikaler Änderungenvon Hans-Peter Dürr | Seite 157 |
Suche das unpolitische Kunstwerk Münchensvon Julius Deutschbauer | Seite 176 |
That enemy withinDVD Track [4]von Lola Arias | Seite 177 |
Wenn es in der Hölle zu voll ist, kommt der Kapitalismus auf die Erde zurück und die Krise ist einfach vorbeiDVD Track [5]von Elif Özmen | Seite 177 |
Was ihr wollt. Über Perfektionierung, Modifizierung und Manipulierung der menschlichen Naturvon Elif Özmen | Seite 181 |
Hopevon Rajni Shah | Seite 192 |
Eigentum als etwas Flüssiges betrachtenvon Jan Ritsema | Seite 193 |
Autoren und Dank | Seite 206 |
Woodstock of Political Thinking
Im Spannungsfeld zwischen Kunst und Wissenschaft
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