Gerangel im Gemenge - Die theaterpolitische Gemengelage Berlins ist derzeit an einem bemerkenswerten Krisenpunkt angelangt: Die ehemals reich geschmückte Vitrine westberliner Kulturrepräsentation soll zwar schleunigst zum gesamthauptstädtischen "Schaufenster der Republik" (Staatsminister Naumann) umdekoriert werden, aber mit 17, 6 Millionen DM Defizit im Theaterhaushalt des laufenden Jahrs ist kein Hofstaat zu errichten. Die pekuniären Tatsachen sprechen schon lange für sich, Politik und Kunst dagegen immer weniger miteinander. Zuletzt lud der Senat die Intendanten schnöde vor den öffentlich tagenden Theaterunterausschuss, wo es Pauschalvorwürfe hagelte und Ideenlosigkeit sich mit sachlicher Unkenntnis paarte. So vorgeführt fuchtelten dann auch die Theater- und Opernintendanten nur noch drohend und laut dazu schreiend, als ob ihnen das Wassertreten den steigenden Pegelstand vom Halse hielte. Aber zu spät. Der einzig erkennbare Leitgedanke in Berlins Kulturpolitik ist eine fixe Idee, und die heißt - sparen. Kultursenatorin Christa Thoben, der zu Amtsantritt von ihren Parteigenossen zumindest "Affinitäten zur Kultur" nachgesagt wurden, hat kein leichtes politisches Erbe angetreten.
Denn Berlins Theaterlandschaft ist unter ihrem Senatsvorgänger zwar in das rosarote Licht vollmundiger Versprechungen getaucht worden, die Kulturverwaltung hat es aber über Jahre nicht geschafft, das Finanzgebaren der großen Institutionen auf Transparenz hin abzuklopfen. Transparenz, Durchlässigkeit! echot es nun aber von allen Seiten: zu Recht verlangt die Politik von den Kulturmanagern einen verantwortungsvollen Umgang mit den Subventionen, den längst nicht alle nachweisen können - während er anderen (bspw. der Castorfschen Volksbühne) bis heute nicht gedankt wird. Die Leiche im Keller west also schon lange vor sich hin, inzwischen stinkt sie zum Himmel.
Die Berliner Gemenge- und Gerangellage ist aber mehr als ein Hauptstadtproblem. Mit Bundesgeldern lässt sich in Zukunft keines der gähnenden Haushaltslöcher Berlins mehr stopfen, allein schon deshalb, weil Kulturstaatsminister Naumann fur die Verteilungskämpfe von Landes- und Bundesfinanzen strikte Trennkost verordnet. Aber wo die Kulturpolitik nur noch nach konzeptarmer Defizitverwaltung aussieht, wird der Rufnach einer privatrechtlichen Umstrukturierung von Theatern oder Opern wieder laut. Sie in GmbHs zu verwandeln hieße, einen Aufsichtsrat mit förderungs anteiliger Stimmrnacht als Kontrollinstanz einzuführen. Sie gar in Aktiengesellschaften umzuformen - wie es der Ex-Bahn-Chef Dürr für das Deutsche Theater mit dessen 12 Millionen-Defizit vorschlug -, käme der Einladung an die dann einflussreichen Investoren und Miteigentümer gleich, sich ihr persönliches Wunschkonzert in den Spielplan der Theater und Opern zu hieven. Solcherart Rechnung mag zwar die nötige Transparenz im Management bewirken, wird den Kalkulationsposten der künstlerischen Unabhängigkeit aber wohl irgendwann als zu kostspielig wegwirtschaften.
Und wie geht man anderenorts die ähnlichen Probleme der Kulturfinanzierung an? Das Modell des Kammertheaters Neubrandenburg ist von der mecklenburgischen Kulturpolitik wohl schon der Vergangenheit anheim und der Fusionswut preisgegeben, sprich fallengelassen worden. In der Schweiz wiederum diskutiert man die Konsequenzen eines verfassungsrechtlichen "Kulturartikels", der neue Wege im Spannungsfeld von zentralistischer und föderalistischer Kulturpolitik begehbar zu machen sucht. Daneben wirft "Theater der Zeit" einen Blick auf Haiders Kärnten und dessen "Kulturpolitik", was uns andere Ungeheuerlichkeiten aber nicht vergessen lässt: In Berlin, Mitte März, ziehen grölend Neonazis am Gelände des Holocaust Mahnmals vorbei, ein immenses Polizeiaufgebot garantiert ihnen Demonstrationsrecht und "Schutz" vor linkem Gegenprotest bis kurz vorm Brandenburger Tor. Liberal bis zur ignoranten, aber politisch schon wieder tendenziellen Blindheit zeigt sich das Oberverwaltungsgericht Berlins - und Kulturstaatsminister Michael Naumann ist eine der wenigen öffentlich kritischen Politikerstimmen, die (in der "Berliner Zeitung") in Frage stellt, "ob der Vertrag, den die Gesellschaft mit sich selbst in der Verfassung geschlossen hat - zur Verteidigung der Menschenwürde und Gerechtigkeit, aber auch der Freiheit der Meinungsäußerung - denjenigen symbolisch ausgeliefert werden darf, die es sich zur Aufgabe machen, genau diese Freiheit, wenn sie an der Macht wären, abzuschaffen"? Ob auch das ein Grund sein könnte, warum er seinen Politikerkollegen geraten hat, öfter mal ins Theater zu gehen, werden wir erst im Mai verraten.
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