Heft 10/2001
Politik des Zorns
Durs Grünbein über Seneca
Broschur mit 84 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Options - Back: "Getroffen, nicht verfehlt." Die SMS, die unser Titelbild zeigt, ging nach dem Terroranschlag vom II. September durch Handy-Netze in der arabischen Welt. Die Verfasser dieser Botschaft sind ebenso unbekannt, wie es die genauen Hintergründe der vollständigen Zerstörung des World Trade Centers wohl noch eine Weile bleiben werden, bei allem, was gerade passiert und noch passieren wird.
Das makabre Piktogramm auf dem Display und seine quasi anonyme Verbreitung verweisen auf den Umstand, dass die sicherlich sympathisierenden Sender und Empfänger dieser Kurznachricht genauso ausgerüstet sind, wie es die in New York und Washington auf die entsetzlichste Weise Verbrannten und Zerquetschten waren. Dieses Piktogramm verweist andererseits auf die andere, bislang einzige "realistische" Darstellung des Geschehens in New York, die vermutlich Hunderte Millionen Menschen live am Fernsehbildschirm gesehen haben und die sich danach noch mehr Zuschauern für immer ins Gehirn gebrannt hat. Es ist die gleiche Botschaft, wenn auch mit anderer Intention und in anderen Zeichen, die, abgesehen von der arabischen Schrift, durch die Bedingungen des Mediums definiert sind. Wir haben auf ein Titelbild aus der Theaterwelt verzichtet. Es hätte "Die HeIdin von Potsdam" am Berliner Maxim Gorki Theater sein können (S. 24), oder ein Bild von der auf die Situation klug reagierenden Arbeit Peter Konwitschnys, der an der Deutschen Oper Berlin Luigi Nonos "Intolleranza" nur wenige Tage nach dem Anschlag zur Premiere führte (S. 28). Ebenso wäre eines der Volksbühnen-Bilder von Bert Neumann dafür in Frage gekommen (S. 31). Oder die Ubu-Adaption des nigerianischen Nobelpreisträgers Wole Soyinka, der mit seiner Inszenierung auf die schrecklichen Wirren politischer Machtkämpfe in Afrika zeigt (S. 8). Alle diese Bilder sind weiterhin unverzichtbar.
Das Display wie auch CNN's "America under attack" sind Zeichenwelten von einem Weltzeichen, mit dem sich die Theater der Welt wohl lange noch beschäftigen werden. Wie Terror entsteht, davon weiß das Theater aufseine Weise allerdings schon seit der Antike zu berichten. Zum Beispiel Seneca, dessen "Thyestes" in der Wiedergabe Durs Grünbeins in diesem Heft abgedruckt ist, war ein Experte für Terror in der Politik. Grünbein bezeichnet den Hass als eine Triebkraft politischen Handelns. Das wäre nahe dran an den Wurzeln einer heutigen Politik des Terrorismus. Und wird doch nicht alles erklären können.
Die Theater sind jetzt nicht zu einem aktuellen Schnellreagieren aufbesondere Weise herausgefordert. In der ihnen ganz eigenen Art, mit der Welt umzugehen und auf sie einzugehen, steckt schon ihr Besonderes, und auch ihr Aktuelles - am gelungensten natürlich, wenn es gelingt, für die Zuschauer. Hans-Thies Lehmann hielt bereits im Juni in Hamburg einen Vortrag über das Politische im postdramatischen Theater und stellte fest, dass vor allem die Unterbrechung des Politischen im Theater der eigentliche politische Vorgang sei. Das erscheint in diesem Moment in keinem völlig anderen Licht, ganz und gar nicht, auch wenn gerade dieser Beitrag (S. 10) jetzt vielleicht Diskussionen auslöst, die vorher sich gewiss auf andere Situationen bezogen hätten. Der Auszug aus Mark Amerikas Zyklus "Amerika at war" (S. 4) wurde 1991 geschrieben, nach dem Golf-Krieg, heute ein erschreckender Bildsprung.
Die Unterbrechung des Theaterbilds auf dem Titel meint dennoch nichts anderes als die Verknüpfung der Frage, wie etwas - und gerade das - gezeigt werden kann, mit der, wie es angeschaut und verstanden wird. Elementar, nicht zu verfehlen.
Die Redaktion
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Editorial | Seite 1 |
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Die Sache mit der VisionFünf Folgen aus: Amerika im Krieg. Ein Mehrteilervon Mark Amerika | |
Theater und Politik Österreich | Seite 6 |
Der Genua-GauDie VolxTheaterKarawane beim G-8-Gipfelvon Petra Rathmanner | |
Nigeria | Seite 8 |
Die Banalität fremden LeidsWole Soyinka zeigt seinen von ihm inszenierten "King Baabu" in Düsseldorfvon Ulrich Deuter | |
Essay | Seite 10 |
Wie politisch ist postdramatisches Theater?Warum das Politische im Theater nur die Unterbrechung des Politischen sein kannvon Hans-Thies Lehmann | |
Rocktheater | Seite 16 |
Zwischen Unterground und OperetteRammsteins postideologisches Rocktheater - nach wie vor ein Missverständnis | |
Berlin | Seite 20 |
Mit Beihilfe untergrabenDas Podewil ist in Gefahr, sein Hof bereits vernichtetvon Thomas Irmer | |
Thüringen | Seite 22 |
"Respekt verlangen für unsere Arbeit!"Thüringer Theaterleute schlagen Alarm gegen die Strukturpläne des Landesvon Frank Quilitzsch | |
Aktuelle Inszenierung | |
Traum und RisikoDie Spielzeit-Eröffnung am Berliner Maxim Gorki Theatervon Martin Linzer | Seite 24 |
Keine Sicherheit, nirgendsPeter Konwitschny mit Luigi Nonos "Intolleranza" an der Deutschen Oper Berlinvon Nora Eckert | Seite 28 |
Bühnenbild | Seite 31 |
Imitation of LifeDer Kostüm- und Bühnenbildner Bert Neumann im Gespräch mit Anja Nioduschewskivon Anja Nioduschewski und Bert Neumann | |
Freies Theater | Seite 36 |
Die Kunst des radikalen NebeneinanderDas Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm zwischen Experiment und neuem Maretingvon Patrick Primavesi | |
Luzern | Seite 39 |
Alternativen von InnenBarbara Mundel im Gespräch mit Tobi Müllervon Barbara Mundel | |
Polen | Seite 42 |
Neue Impulse aus dem OstenDas Festival KONTAKT 2001 in Torunvon Elke Wiegand | |
Moskau | Seite 44 |
Harlekin und HamletmaschineDie Theaterolympiade in Moskau - ein einzigartiger Marathonvon Wladimir Koljasin | |
Auftritt | |
Kleists "Hermannsschlacht", "Nike" von Thea Dorn, "Pallas Athene" von Herbert AchternbuschHannovervon Anja Dürrschmidt | Seite 47 |
Uraufführung "Tanzcafé Treblinka" von Werner KoflerKlagenfurtvon Wilfried Passow | Seite 49 |
Bachmanns Doppel mit "Biedermann und die Brandstifter" und "Zauberflöte"Baselvon Dagmar Walser | Seite 50 |
Heinrich Manns "Untertan" in der Regie von Alexander HawemannPotsdamvon Martin Linzer | Seite 52 |
Thomas Krupa inszeniert Fassbinders "In einem Jahr mit 13 Monaten"Dortmundvon Christian Peiseler | Seite 53 |
Neues Festival "Laokoon" auf KampnagelHamburgvon Irmela Kästner | Seite 54 |
Woyzeck und Don Juan aus Ungarn bei den Berliner FestspielenBerlinvon Anja Nioduschewski | Seite 56 |
"Labor für angewandte Musik" führt "Einstein on the Beach" aufBerlinvon Thomas Irmer | Seite 58 |
Kolumne | Seite 59 |
Weltverfinsterungvon Petra Kohse | |
Stück | |
Gott, die TurbineDurs Grünbein im Gespräch mit Thomas Irmer über Senecas "Thyestes"von Thomas Irmer und Durs Grünbein | Seite 60 |
Thyestes(im 1. Jahrhundert nach Christus). Aus dem Lateinischen wiedergegeben für das Nationaltheater Mannheim von Durs Grünbein (2001)von Lucius Annaeus Seneca | Seite 62 |
Magazin | |
World Interplay 2001 of Young Playwrights fand erneut im australischen Townsville stattvon Alexander Jackob | Seite 76 |
"We are God's joke!"Das 8. Unidram-Festival Potsdamvon Axel Schalk | Seite 77 |
Offener Brief an die Kulturredaktion des Berliner "Tagesspiegel"von Jürgen Holtz | Seite 77 |
BücherGerd Rienäcker: Richard Wagner. Nachdenken über sein "Gewebe". Lukas Verlag Berlin 2001, 385 S., zahlreiche Notenspiele.von Jens Knorr | Seite 78 |
Meldungen | Seite 78 |
Premierenkalender | Seite 80 |
Autoren | Seite 84 |
Impressum | Seite 84 |
Mark Amerika
Ulrich Deuter
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Durs Grünbein
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Jens Knorr
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