Heft 04/2004
Ende der Schonzeit
Schwerpunkt Kinder- und Jugendtheater
Broschur mit 76 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
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Kulturkämpfe Jetzt hat auch Spanien seinen 11. September. Am 11. März sind in vier Vorstadtzügen auf ihrem Weg ins Zentrum von Madrid Bomben gezündet worden, die über 200 Menschen das Leben gekostet und sehr viele mehr schwer verletzt haben. 200 Menschen, die auf dem Weg zur Arbeit waren, Kinder auf dem Weg zur Schule. Die Behörden suchen jetzt nach den Verantwortlichen. Die Hinweise verdichten sich, dass al-Qaida-Terroristen hinter dem Anschlag stecken. Und die Medien machen sich, wie nach dem 11. September, auf die Suche nach Geschichten, um das Unvorstellbare greifbar zu machen und damit kollektive Trauerarbeit zu betreiben. Das jüngste Opfer ist schon ermittelt, Geschichten von gerade noch harmonischen und nun zerstörten Familienverhältnissen werden erzäWt. Und dann gibt es dieses Moment, das seit dem 11. September Konjunktur hat: Das Handyklingeln, das aus den Wracks zerstörter Gebäude und nun aus in sich verkeilten, entgleisten Zügen zu hören ist, ist ein trauriges Motiv des 21. Jahrhunderts für ein abrupt beendetes Menschenleben. Ob die Schuldigen Eta oder al-Qaida sind - in allen Fällen legitimieren Terroristen ihre Opfer mit dem Kampf um kulturelle Identität.
Was die deutsche Kultur angeht, so hat Bundesaußenminister Joschka Fischer jetzt in einer beispiellosen Aktion versucht, die auswärtige Kulturpolitik zum Abbau freizugeben. Derzeit beträgt ihr Anteil am Gesamthaushalt 0,22 %. Dieser bisherige Tiefstand sollte nun noch unterboten werden. Weitere Kürzungen hätten unter anderem die Schließung von bis zu 20 Goethe-Instituten, die Streichung von 300 Austauschprogrammen bei der Alexander-von-Humboldt-Stiftung sowie von I 000 DAAD-Stipendien bedeutet. Dazu soll es nun doch nicht kommen. Die Tendenz ist trotzdem eindeutig. Dem Chefdes Auswärtigen Amtes, Joschka Fischer, sei die hauseigene Kulturarbeit keinen Pfifferling wert, so der Bundestagsabgeordnete Günter Nooke (CDU). Antje Vollmer (Bündnis 90fDie Grünen) sprach von einem Skandal. Für diese Ausgabe hat sich TdZ mit der Bundestagsabgeordneten und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und mit Rolf Bolwin, dem geschäftsführenden Direktor des Deutschen Bühnenvereins, zu einem Streitgespräch zusammengefunden und über Kahlschläge in der deutschen Kulturlandschaft, die Rolle des Theaters und diejenige des Deutschen Bühnenvereins diskutiert.
Deutschland schrumpft sich in die Bedeutungslosigkeit; und setzt nicht nur politisch beunruhigende Prioritäten. Die Geburtenrate sinkt. 2050 werden wir in einer Gesellschaft leben, in der die mindestens Bo-Jährigen fast 12% ausmachen. Das ist ein Drittel mehr als heute. Gleichzeitig werden diese Zahlen allerdings durch einen Diskurs kompensiert, der Kinder zumindest in den Medien zu einer relevanten Größe macht. Der Markt hat Kinder als Zielgruppe entdeckt. "Noch nie war in Deutschland so viel Kindertheater möglich wie in diesen Jahren", so zitiert Tristan Berger den Autor Rudolf Herfurtner in einem Essay, der den Schwerpunkt dieses Heftes einleitet. Das Kinder- und Jugendtheater fristet schon lange kein Nischendasein mehr im deutschen Theaterbetrieb, so Bergers These. Gleichzeitig heißt das aber auch, dass lang gepflegte Schonräume aufgegeben werden müssen. In Gesprächen mit der Intendantin des Thalia Theaters Halle, Annegret Hahn, sowie mitdem Regisseur Sebastian Nübling hat TdZ über persönliche Ansprüche und Erfahrungen bei der Arbeit mit und für Kinder und Jugendliche diskutiert. Anja Dürrschmidt erklärt, was es mit dem Phänomen Kinderbücher produzierender Promis aufsich hat. Manuel Schöbe!, Intendant des Berliner carrousel Theaters an der Parkaue, thematisiert in seiner Kolumne die kulturpolitischen Sparvorhaben im Bereich Kinder- und Jugendtheater. Bis Ende Juni soll nach Willen der Berliner Kulturverwaltung ein neues Konzept für das Berliner carrousel Theater entwickelt werden. Die Kulturverwaltung versteckt ihre Sparbemühungen hinter einem Konzeptpapier. Aus Kostengründen soll das Theater dem entsprechend in ein anderes, bestehendes Berliner Theater integriert werden. Den In tendanten will sich die Verwaltung am liebsten sparen.
Und was kann TdZ sich sparen? Wir trumpfen lieber auf: mit dem ersten Gespräch, das die Fabulous Four vom Hamburger Thalia Theater miteinander geführt haben. Andreas Kriegenburg, Armin Petras, Michael Thalheimer und Stephan Kimmig haben über die egomanische Arbeit des Regisseurs, angstfreie Kunsträume, Kritik und das Ensemble des Thalia diskutiert. Und unser Autor Matthias Schmidt fragt in einem Essay, warum sich so genannte Theaterskandale gerade häufen. Gerade hat er für die Femsehdokumentation "Die Bühnenrepublik: Theater in der DDR" den Adolf Grimme Preis erhalten. TdZ gratuliert!
Die Redaktion
Tristan Berger
Jörg Buddenberg
Anja Dürrschmidt
Caren Fischer
Adrienne Goehler
Stefan Grund
Michael Helbing
Andreas Hillger
Elfriede Jelinek
Hella Kemper
Martin Linzer
Nikolaus Merck
Nina Peters
Dirk Pilz
Johanna Renger
Falk Richter
Kati Röttger
Alexander Schnackenburg
Manuel Schöbel
Shirin Sojitrawalla
Holger Teschke
Christina Tilmann
Tobias Wellemeyer
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