Heft 06/2005
Blick zurück
Intendantenwechsel in Freiburg, Halle, Hamburg, Stuttgart
Broschur mit 80 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
König des Vom-Blatt-Spiels Als Bundespräsident Horst Köhler den 200. Todestag Schillers zum Anlass nahm, dem pflichtvergessenen Theater Text- und Werktreue in Erinnerung zu rufen, gab es ein allgemeines Aufstöhnen. Wurde diese Debatte nicht schon hundertfach geführt? Ist sie nicht längst ausgestanden? Köhlers Vorgänger Johannes Rau hatte mit seiner engagierten "Bündnis für Theater"-Initiative zumindest hilfreiche Lobbyarbeit geleistet. Horst Köhler, kraft seines Amtes nicht nur Hohepriester der Deutschen, sondern auch Muster-Bildungsbürger, traf offensichtlich aber doch den Nerv einiger Theaterschaffender.
Denn die üblichen Verdächtigen reagierten wie Pawlow'sche Hunde auf Köhlers Anwurf, und ausgerechnet Claus Peymann, der derzeit ungekrönte König des Vom-Blatt-Spielens, verteidigte die Errungenschaften des Regietheaters. Neues förderte die Diskussion natürlich nicht zutage, eines jedoch machte sie erneut sichtbar: So veraltet der Streit um Werktreue auch sein mag, mächtig ist er noch immer - er ist als ständiges Gemurmel präsent, das immerhin dann noch höhere Wellen schlägt, wenn sich Staatsoberhäupter einschalten.
Intendanten können von der Werktreue- Debatte ein Lied singen: Sie ist ihr täglich Brot. In den Rückblicken, die TdZ in dieser Ausgabe auf vier zu Ende gehende Intendanzzeiten unternimmt, kommt sie immer wieder zur Sprache. Ob Tom Stromberg in Hamburg mit Kultursenatorinnen verhandelt, die ihren Theaterbegriff aus Gymnasialzeiten konserviert haben, oder ob Friedrich Schirmer in Stuttgart sich wiederholt dem Vorwurf ausgesetzt sah, nur Texte-Zertrümmerer zu engagieren überall zeigt sich, dass in den Köpfen von Politik und Öffentlichkeit ein avanciertes Theater noch lange nicht angekommen ist. Nur in Halle stehen die Verhältnisse offenbar auf dem Kopf: Peter Sodann, der sich weigert, "einen Haufen aufdie Bühne zu machen", muss gehen, da die Politiker sein neues Theater für nicht modern genug befanden. Verkehrte Welt!
Wie lächerlich sich Texttreue unter veränderten kulturellen Umständen ausnehmen kann, zeigt sich bei einer Aufführung von Schillers "Räubern" in Moçambique, die Dirk Pilz für TdZ besucht hat. Eine Umsetzung, wie Köhler sie vorschwebt, hätte in Maputo nicht einmal Sinn ergeben - ein für den gesellschaftlichen Kontext relevantes Theater konnte hier nur aus der Freiheit der Aneignung heraus entstehen. Auch in einem zweiten Beitrag schaut TdZ nach Afrika, allerdings ans andere Ende: Elisabeth Wellershaus berichtet aus Marokko, einem Land, das textbasiertes Theater überhaupt erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts kennt und dessen jüngste Theatergeneration sich nun dem gesellschaftspolitischen Wandel stellt.
Die Bildungsvorstellungen einiger Politiker als Gradmesser der Künste oder des Theaters ernst zu nehmen, erscheint nahezu absurd nach der Lektüre des Utopie-Gesprächs mit dem Philosophen und Schriftsteller Peter Bieri: Er hat eine innengelenkte Bildungsutopie entwickelt und stellt der derzeitigen, vor allem außengelenkten Bildungspolitik ein vernichtendes Zeugnis aus. Solche Politik führt geradewegs zur Dummheit, die wiederum titelgebend wurde für einen diskussionswürdigen Abend des argentinischen Autors Rafael Spregelburd an der Berliner Schaubühne.
Dieser Ausgabe ist außerdem das Spezial "ZUSPIEL" beigeheftet, das von der Dramaturgin Birgit Lengers inhaltlich betreut wurde. Es ist dem Kinder- und Jugendtheater gewidmet, das von 27. April bis 2. Mai mit "Augenblick mal! " sein eigenes Theatertreffen in Berlin beging.
Mit der Juni-Ausgabe verabschiedet sich TdZ in den Sommer - aber doch nicht ganz. Im Juli erscheint wie in jedem Jahr das Arbeitsbuch, das einen umfassenden Einblick gibt in die Tanzszene im deutschsprachigen Raum: "tanz.de. Eine Positionsbestimmung", herausgegeben von Johannes OdenthaI. In Essays, Gesprächen und Porträts werden die jüngsten Entwicklungen aufgezeigt, die sich im künstlerischen, wissenschaftlichen sowie im kulturpolitischen Bereich abgezeichnet haben. Als kleine Einstimmung mag in diesem Heft die Rezension der neusten (und ersten selbständigen) Produktion der Forsythe Company dienen.
Einen schönen Sommer wünscht
die Redaktion
Wolfgang Behrens
Josef Bierbichler
Bodo Blitz
Otto Paul Burkhardt
Karin Cerny
Andrea Czesienski
Friedrich Dieckmann
Bernhard Hartmann
Anna Häusler
Christian Horn
Hella Kemper
Constanze Klementz
Ralf-Carl Langhals
Anja Nioduschewski
Nina Peters
Dirk Pilz
Alexander Schnackenburg
Willibald Spatz
Jürgen Verdofsky
Christine Wahl
Dagmar Walser
Enda Walsh
Elisabeth Wellershaus
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