Was haben Jannis Kounellis, die neue Literaturnobelpreisträgerin Doris Lessing, die RAF, Josef Bierbichler und der Kölner Kardinal Meisner miteinander zu tun? Darauf könnten, je nach biografischer Ausgangslage, unterschiedlichste Antworten gefunden werden. Die Begriffe Konsensfeindlichkeit und Demokratie, Kommunismus und Scheitern, Theater und Eigensinn kämen darin vor und vielleicht auch die Feststellung einer gewissen Unvereinbarkeit in der Darstellung.
Wenn der Jahrhundert-Künstler Kounellis, von Frank Raddatz im Auftakt-Beitrag in unserer Ausgabe zu Potenzialen von Bildender Kunst für das zeitgenössische Theater befragt wird, gelingt es ihm, den Gedanken von Fortschritt rückzubinden an eine Kunst-Autonomie, die er nicht verwechselt mit „dem sich vergessen hingeben", im Gegenteil: Fasziniert folgt man seinen intellektuellen Flügen, wenn er gegenwärtige Kunst-Tendenzen mit solchen der Renaissance vergleicht, wenn er Gold und Dollar auseinanderhält, wenn er Gewicht als Wertschätzung des Moralischen ausweist, die Schattenlosigkeit der virtuellen Illusion, z. B. im Fernsehen, diagnostiziert. Die zentrale Forderung Kounellis' an die gegenwärtige Kunst, NEIN zu sagen zum postmodernen Übereinstimmungsgetümmel, und wie er dies in der Traditionslinie von Caravaggio, van Gogh, Pollock ( und gegen Warhol) entwickelt, koppelt ihn auch an Doris Lessing, deren Leben und deren Werk unvergleichbar aus den Tiefen des 20. Jahrhunderts und seinen grundsätzlichen Irrtümern herkommt, deren Kernthesen der Rehabilitierung der Frau in diesem Jahrhundert eine gänzlich neue - noch bedrängendere Dimension annehmen wird. Symptomatisch wie durchsichtig die postwendende Reaktion des bundesdeutsche Konsens-Feuilletons - aber auch ein abermaliger Beleg für Kounellis' Erkenntnis: „Der Konsens ist der Feind der Kreativen." Wir beglückwünschen die Literaturnobelpreisträgerin 2007 Doris Lessing und wertschätzen die Entscheidung des Stockholmer Preis-Komitees, die kleingeistigen Bekundungen zuwiderläuft und auf unabgegoltene Geschichte/n beharrt.
Kleingeistig die Ausführungen des Kölner Kardinals Meisner zu nennen, verbietet sich angesichts dessen Wortwahl von „entarteter Kultur", die in Deutschland überhand nähme. Josef Bierbichler geht in seiner Kolumne zunächst der ganz eigenen Frage nach, ob sein Ersatzbewusstsein daseinsnötige Voraussetzung von Kunst ist, um schließlich eine überraschende Engführung von Kardinal und Künstler zu entdecken: „Aber wenn beide jeweils [...] sichihres Daseins als Lügner nicht immer wieder aufs Neue und immer wieder anders zu erfinden,... dann verkommt der Glaube im Fundamentalismus, und die Kunst wird Kunstgewerbe [...]"
Was Bierbichler zur Kunst und zur Kirche sagt, da bindet sich Gegenwart an un/vollendeter Geschichte, und wir sind bei den Bemühungen des bundesdeutschen Theaters, wieder verstärkt an die jeweils eigene Stadt-, Regional- und damit Landesgeschichte anzudocken: bereits im Oktober-Heft hatten wir über das vom Schauspiel Stuttgart vorbereitete RAF- Projekt „Endstation Stammheim" berichtet. Wir begleiten nun die erste Premierenstaffel und werden dies auch in Zukunft tun - wie auch im Theater in Karlsruhe, wo der Sohn des ermordeten Bundesstaatsanwalt Buback plötzlich aufsteht und den gesellschaftlichen Kontext aufkündigt. Hier erleben wir in der Tat erste Momente einer Renaissance zeitgenössischen politischen Theaters in Deutschland, welches mit neuer Dringlichkeit und in eigener Darbietung Wunden des eigenen Landes durchleben lässt - siehe auch da: das Gespräch mit Jannis Kounellis - eine folgenreiche Lektüre wünscht
Ihre Redaktion
studierte Musikwissenschaft, Philosophie und Mathematik an der Freien Universität Berlin. 2001 - 2003 wissenschaftlicher Assistent am Staatlichen Institut für Musikforschung, 2003 - 2005 Vorstandsassistent des „Preises der deutschen Schallplattenkritik" und 2005 - 2007 Redakteur der Zeitschrift Theater…mehr
geboren 1972, Autor und Dramaturg. Er studierte Literaturwissenschaft, Philosophie und Allgemeinen Rhetorik in Tübingen und Wien. Danach arbeitete er als Dramaturg am Wiener Burgtheater. Von 2001 bis 2009 war er als Dramaturg bei Frank Baumbauer an den Münchner Kammerspielen engagiert. Dort war er…mehr
geboren 1948 in Ambach am Starnberger See, absolvierte seine Schauspielausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule in München und spielte im Anschluss u. a. am Münchner Residenztheater. Ab 1976 verband ihn eine enge Zusammenarbeit mit dem Dramatiker und Regisseur Herbert Achternbusch. Zur Spielzeit…mehr
schreibt als freie Autorin, Tanz- und Theaterkritikerin
für Zeitungen und Magazine wie die taz, nachtkritik.de, corpusweb,
Theater heute und tanz. Gemeinsam mit Nadine Vollmer
und Friederike Thielmann kuratierte sie von 2009 bis 2011 die
Veranstaltungsreihe zwischen Theorie und künstlerischer…mehr
ist promovierter Tanzwissenschaftler und Publizist. Er ist Fellow am COLLÈGE INTERNATIONAL DE PHILOSOPHIE in Paris und derzeit Gastprofessor am Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz Berlin. Wissenschaftliche Projektmitarbeit am Tanzarchiv Leipzig und am CENTRE NATIONAL DE LA DANSE, Frankreich.
is a…mehr
Kritikerin, freie Journalistin, Berlin
geboren 1978 in Bremen, ist Professorin für Kulturjournalismus an der Hochschule für Musik und Theater München.
Zuvor war sie von 2020 bis 2021 Chefredakteurin von Theater der Zeit, dessen überregionale und internationale Theaterberichterstattung sie seit 2007 als Redakteurin und Autorin mit…mehr
Dr.
Geschäftsführender Direktor des deutschen Zentrums des Internationalen Theaterinstituts (ITI). Studium der Theaterwissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin und Promotion 1988. Von 1983 bis 1992 war er Dramaturg an verschiedenen Stadttheatern. Von 1988 bis 1990 war er am Zentrum des ITI der…mehr
geboren 1955, studierte Anglistik, Romanistik, Publizistik und europäische Ethnologie in Göttingen. Sie arbeitete als freie Mitarbeiterin für das Stadtradio Göttingen, das Göttinger Kulturbüro, das Stadtmagazin Pony sowie das Gandersheimer Kreisblatt. Neben Publikationen für verschiedene Ausstellungen…mehr
Text- und Kulturarbeiter in Graz (Österreich), Leiter der Öffentlichkeitsarbeit an der dortigen Kunstuniversität, Mitherausgeber des Feuilletonmagazins schreibkraft, Theaterkritiker (vormals Steiermark-Redaktion der Wiener Wochenzeitung Falter, heute Kleine Zeitung), schreibt seit 2004 für Theater der…mehr
Nicole Gronemeyer, Dr. phil., Studium der Kulturwissenschaften an der Universität Lüneburg, danach wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Deutsche Sprache und Literatur und am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Seit 2008 leitet sie…mehr
Literaturwissenschaftlerin am SFB »Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung« (TU Dresden). Sie forscht u. a. zum Verhältnis von Narration und Ereignis, zu Phänomenen des Storyboarding, zur Intermedialität der Fotografie und zur Theatralität von Herabsetzung.
in Leitungsfunktion und als Programmgestalter in Kulturorganisationen tätig. Nach dem Studium der Theaterwissenschaft, Germanistik und Betriebswirtschaft sowie der Promotion im Bereich Kulturgeschichte (Höfische Feste in Dresden, 17. Jh.) hat er Berufsstationen in Kultureinrichtungen national und…mehr
geboren 1980 in Wittlich, hat 2000 – 2005 Theaterwissenschaft, Germanistik und Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum studiert. Am dortigen Institut für Theaterwissenschaft war er 2008 – 2011 auch als Mitarbeiter (Lehrkraft für besondere Aufgaben) tätig; zur Zeit ist er Lehrbeauftragter an der…mehr
(柯翰思) ist Berater der Shanghaier Theaterakademie. Zuvor war er lange Jahre für das Goethe-Institut tätig, vor allem in Asien. Von 1996 bis 2006 war er Intendant am Haus der Kulturen der Welt in Berlin, von 2006 bis 2012 Generalsekretär des Goethe-Instituts in München. //
Hans-Georg Knopp (柯翰思) is…mehr
Theaterredakteur und Theaterkritiker, Mannheim
geboren 1964 in Traunstein, Studium der Germanistik und Philosophie in München, lebt seit 1989 in Berlin. Ihre Dramen sind in über 15 Sprachen übersetzt
und werden in aller Welt gespielt. Sie erhielt zahlreiche Preise und
Auszeichnungen, u. a. den Bertolt-Brecht-Literaturpreis, den…mehr
geb. 1967 in Limburg an der Lahn. Schriftstellerin und Übersetzerin und Produzentin von Audiowalks in Berlin. Seit 25 Jahren beschreibt sie die Berliner Theaterszene aus feministischem Blickwinkel. Sie hat in Berlin Geschichte und Theaterwissenschaft studiert, eine freie Spielstätte geleitet und als…mehr
Publizist, in Hannover geboren, promovierte über Heiner Müller. Arbeit als Dramaturg am Schauspiel Köln, Staatstheater Hannover, Staatstheater Stuttgart, Düsseldorfer Schauspielhaus u. a. mit Dimiter Gotscheff, Einar Schleef, Theodoros Terzopoulos, Valery Fokin und Tadashi Suzuki. Künstlerischer Leiter…mehr
geboren 1981 in Ost-Berlin, Kulturjournalistin, Berlin und Paris, ist leitende Kulturredakteurin bei dem Tagesspiegel-Ableger Potsdamer Neueste Nachrichten.Sie studierte nach ersten Einblicken in die Theaterpraxis Englische Litatur sowie Neuere und Neueste Geschichte in Edinburgh. Sie schrieb danach…mehr
Jahrgang 1968, studierte Germanistik, Komparatistik und Politikwissenschaften und absolvierte danach ein Redaktionsvolontariat bei der FAZ. Seit dem Jahr 2000 arbeitet sie als freiberufliche Journalistin mit den Schwerpunkten Theater und Literatur für den Deutschlandfunk, nachtkritik.de, taz,…mehr
Jahrgang 1977, hat in Würzburg Biologie und in München Kulturkritik studiert. Er lebt zurzeit in der Nähe seiner Heimatstadt Augsburg, unterrichtet dort am Stetten-Institut und schreibt als freier Autor Theaterkritiken, Romane und Reiseliteratur.
geboren 1983 in Aachen, arbeitet seit 2010 als Drama turgin/Kuratorin auf Kampnagel in Hamburg. Sie studierte zwei Semester Germanistik und Philosophie an der RWTH Aachen und schloss 2009 das Studium am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen mit Diplom ab. 2006 studierte sie im Rahmen…mehr
Benjamin Wihstutz ist Juniorprofessor für Theaterwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seine Forschungsschwerpunkte sind Gegenwartstheater, ästhetische und politische Theorie, Geschichte des Publikums, Theater und Behinderung.
(c) Foto: Privat
arbeitete mehrere Jahre als Dramaturg
an den Theatern in Mannheim, Gelsenkirchen und
Heidelberg sowie bei Verlagen und ist seit 2000 als Journalist
tätig. Für den WDR und den BR erstellt er Hörfunkbeiträge, vom
Kommentar bis zum Feature zu Themen aus den Bereichen Politik,
Gesellschaft und Musik.…mehr