Heft 09/2009
Abschiede
Pina Bausch, Merce Cunningham, Jürgen Gosch, Peter Zadek
Broschur mit 96 Seiten, Format: 215 x 280 mm
ISSN 0040-5418
Dieses Heft ist leider vergriffen und nur noch als PDF erhältlich.
Auf vielfache Weise sind der Tod und das Theater ineinander verschlungen. Der Tod bildet den Kern jener Formationen des Unaufhellbaren, die das Denken nicht auflösen kann und wo, wie Nietzsche schreibt, der Mensch „zu seinem Schrecken sieht, wie die Logik sich an diesen Grenzen um sich selbst ringelt und endlich sich in den Schwanz beißt“. Hier vollzieht sich im Jenseits der Religion die Geburt des Theaters: „Da bricht die neue Form der Erkenntnis durch, die tragische Erkenntnis, die, um nur ertragen zu werden, als Schutz und Heilmittel die Kunst braucht.“ Der Sommer ’09 brachte gleich mehrere Abschiede von überragenden Künstlern einer Generation, die den Horizont des Theaters wie wenige erschlossen hatten. Die Regiewundertiere Pina Bausch, Merce Cunningham, Jürgen Gosch und Peter Zadek verschwanden von der Bühne wie auch die Schauspielerin Hanne Hiob, Brechts kämpferische Tochter, und der Schauspieler Traugott Buhre. Ein anderer Tod stimmt uns zudem traurig: Der Autor Jochen Berg verstarb im Juni nur 61-jährig. Zu DDR-Zeiten war er zwar über viele Jahre als Hausautor am Deutschen Theater in Berlin beschäftigt, durfte im Osten jedoch nicht gespielt werden, was ihn für das Westtheater in Gestalt von Hansgünther Heyme oder Holk Freytag interessant machte. Er sollte die Wende nicht wirklich überstehen. Auch an ihn will unsere Septemberausgabe erinnern.
Mit einer ganzen Armada begab sich die Volksbühne auf der Freilichtbühne Agora am Rosa-Luxemburg-Platz auf die Spur des Tragischen. Ein Triumvirat erfahrener Regiehaudegen führte die Unternehmung an – Frank Castorf, Dimiter Gotscheff und Werner Schroeter. Doch bis auf den Letzten blieben sie lieber gleich im Hafen liegen, als sich dem Ungewissen auszusetzen, und bekamen die Tragödie erst gar nicht in Sicht, wie Gunnar Decker feststellen musste. War das Desaster unvermeidlich?, fragt sich Frank Raddatz und begibt sich anhand der Kartografierungen von Michel Foucault, Heiner Müller und Nietzsches „Geburt der Tragödie“ auf die Suche nach dem Kunstwerk der Zukunft. Zwar bietet die Tragödie keinen Trost, kann aber dem Einzelnen helfen, sein Leben zu skandalisieren. Wem das nicht reicht oder Angst macht, der kann sich an Jon Fosse, den Prediger skandinavischer Einfachheit und Einsamkeit, halten, der im Gespräch mit Dorte Lena Eilers von seinem Genius spricht. Etwas ragt ins Offene: „Es ist in jedem von uns, aber gleichzeitig auch sehr weit weg.“ Zur Gewissheit wird es vielleicht nur in unseren Träumen.
Einer, der sich wirklich was traut, ist Martin Wuttke, der ausgerechnet am Berliner Ensemble einen grandiosen Abend über Ernst Jünger „Das abenteuerliche Herz / Droge und Rausch“ inszeniert wie auch spielt. Mit dem „Psychonauten von Wilflingen“ nimmt er uns mit auf eine echte Odyssee und setzt einen Regenbogen an den Berliner Theaterhimmel, bevor er im ewigen Kampf gegen die Steuerschraube nach Wien entweicht. Einem ganz anderen Träumer widmet sich der Schauspieler und Autor Jörg-Michael Koerbl. Befragt von Sebastian Kirsch, spricht er über das seltsame Profil jenes Mannes, der in eigener Regie das Schicksal der Welt in einem Maße veränderte, wie es ansonsten wohl nur einer Handvoll hochdekorierter Feldherren gelang – Michail Gorbatschow. Ein Gespräch, das Mut macht, weil es Koerbl ernst ist.
Wir blicken gespannt auf eine Spielzeit, von der sich noch nicht prognostizieren lässt, ob sie mehr aufwirbelt als den Staub der Repräsentationsklamotte. So erwarten wir voller Ungeduld diejenigen, die den ersten Schritt über die Linie des Bekannten wagen, sich mit lebendigem Leib in die Maschinerie der Simulation stürzen und den Wahnsinn explodieren lassen.
Die Redaktion
Artikel | Seite |
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Artikel | Seite |
Künstlerinsert | Seite 2 |
In Memoriam Merce Cunningham (1919-2009)Robert Wilson, Robert Rauschenberg, John Cage | |
Gespräch | Seite 12 |
Was mich bewegt, gehört zur NachtEin Gespräch mit dem norwegischen Dramatiker Jon Fossevon Dorte Lena Eilers und Jon Fosse | |
Aktuelle Inszenierung | Seite 16 |
Baustelle TragödieDie Agora der Berliner Volksbühne als Marktplatz des antiken Dramasvon Gunnar Decker | |
Essay | Seite 18 |
Das Nichtwissen, die Zukunft und das SchöneZur Subversivität der Tragödievon Frank M. Raddatz | |
Abschiede | |
Von der dunklen Seite des Mondes herZum Tod der Tänzerin und Choreografin Pina Bauschvon Etel Adnan | Seite 22 |
Die Kunst der EntfesselungVorläufig Letztes über den Regisseur Jürgen Gosch (1)von Michael Eberth | Seite 26 |
Der SchauspielerverführerVorläufig Letztes über den Regisseur Jürgen Gosch (2)von Martin Linzer | Seite 28 |
Einer meiner Meister Peter Stein über Peter ZadekErinnerungsprotokoll zum Abschied von einem Kollegen aufgezeichnet von Lena Schneidervon Lena Schneider und Peter Stein | Seite 30 |
Immer er selbstGedanken zum Abschied von einem Freundvon Luc Bondy | Seite 32 |
Rollenporträt | Seite 34 |
Die Nachtseite unserer ExistenzDer Schauspieler Martin Wuttke in „Gretchens Faust“ und Ernst Jüngers „Das abenteuerliche Herz / Droge und Rausch“von Gunnar Decker | |
20 Jahre Mauerfall | Seite 36 |
Ich habe zu dieser Familie nie gehörtEin Gespräch mit dem Schauspieler und Autor Jörg-Michael Koerbl über 1989 und die Folgenvon Sebastian Kirsch und Jörg Michael Koerbl | |
Kolumne | Seite 57 |
Hund ist Hundvon Ralph Hammerthaler | |
Autorengespräch | Seite 58 |
Der verdrängte DichterZum Tod des Dramatikers Jochen Bergvon Frank M. Raddatz und Jochen Berg | |
Stück | Seite 70 |
Fremde in der Nachtvon Jochen Berg | |
Lesarten | Seite 70 |
Jochen Berg "Fremde in der Nacht"Junge Hunde an langen Leinen von Peter Wawerzinekvon Peter Wawerzinek | |
Magazin | Seite 72 |
Die Stärksten kämpfen ihr Leben langZum Tod von Hanne Hiobvon Ernst Schumacher | |
Randplatz | Seite 73 |
Die Einsamkeit der Elefantenvon Gunnar Decker | |
Magazin | |
Mehr solid als schrägDie Bayerischen Theatertage 2009 in Coburgvon Christoph Leibold | Seite 74 |
Das Spiel des HinterfragensDie 19. Baden-Württembergischen Theatertage in Freiburgvon Bodo Blitz | Seite 75 |
Was ist deine Grenze wert?Das sechste Festival Transeuropa in Hildesheimvon Stephanie Drees | Seite 76 |
Nach EdenDas zweite Autorenspektakel des Stadttheater Bern zum Thema „Verlorene Paradise/Paradise Lost“von Simone von Büren | Seite 77 |
Aufmerken und aufmerken lassen50 Jahre Puppentheater Magdeburgvon Silvia Brendenal | Seite 78 |
Buchbesprechung | Seite 80 |
Patrick Primavesi: Das andere Fest. Theater und Öffentlichkeit um 1800.Campus Verlag, Frankfurt am Main 2008, 587 Seiten, 45 EUR.von Sebastian Kirsch | |
Nachrufe | Seite 81 |
Mensch-Sein: Zum Tod des Schauspielers Traugott Buhrevon Klaus Dermutz | |
Kein Pfau im Zoo: Zum Tod des Schauspielers Jörg Hubevon Tristan Berger | |
Eine Spur, die nicht verwischt: Zum Tod des Intendanten Markus Luchsingervon Simone von Büren | |
Radiovorschau | Seite 82 |
Hingehörtvon Gerwig Epkes | |
Linzers Eck | Seite 83 |
Wieviel Hamlet braucht Berlin oder Von der belebenden Wirkung des Wettbewerbs (17)von Martin Linzer | |
etc.von Sebastian Kirsch | |
Aus den Korrespondentenbüros | Seite 84 |
Bremen: Generalintendant Hans-Joachim Frey tritt abvon Alexander Schnackenburg | |
Hamburg: Fringe-Verbund für den Theaternachwuchsvon Klaus Witzeling | |
Meldungen | Seite 85 |
Aufgelesen | Seite 85 |
Premierenkalender | Seite 86 |
Autoren | Seite 89 |
Impressum | Seite 89 |
Kommentar | Seite 90 |
Kehlmanns Signaturvon Frank M. Raddatz |
Etel Adnan
Jochen Berg
Tristan Berger
Bodo Blitz
Luc Bondy
Silvia Brendenal
Gunnar Decker
Klaus Dermutz
Stephanie Drees
Michael Eberth
Dorte Lena Eilers
Gerwig Epkes
Jon Fosse
Ralph Hammerthaler
Sebastian Kirsch
Jörg Michael Koerbl
Christoph Leibold
Martin Linzer
Frank M. Raddatz
Alexander Schnackenburg
Lena Schneider
Ernst Schumacher
Peter Stein
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