Heft 06/2018
Theater Thikwa Berlin: Ungezähmtes Spiel
Broschur mit 92 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Das Theater Thikwa ist ein Theater des ungezähmten Spiels“, sagt die Jurorin Dorte Lena Eilers in ihrer Rede zur Verleihung des Martin-Linzer-Theaterpreises 2018. Mit dem jährlich von Theater der Zeit vergebenen Preis werden Ensembles oder freie Gruppen für herausragende künstlerische Leistungen ausgezeichnet. Das Theater Thikwa mit seiner Spielstätte in Berlin-Kreuzberg bewegt sich an den Rändern des Konventionellen, arbeitet mit behinderten und nichtbehinderten Spielern von höchster Eigenheit. Das zieht auch immer wieder Gastkünstler an wie die Performerin Anne Tismer, die in diesem Heft über ihre Zusammenarbeit mit dem Ensemble des Theaters Thikwa schreibt. Im Gespräch mit Patrick Wildermann erzählen die künstlerischen Leiter Gerd Hartmann und Nicole Hummel, was das Theater Thikwa so einzigartig macht.
Vor ein paar Jahren sah in der freien Szene alles nach Aufbruch aus. 2012 gründete sich die Koalition der freien Szene, und im Maiheft desselben Jahres befragte Theater der Zeit über zwanzig Theatermacherinnen und Theatermacher zu den Potenzialen der freien darstellenden Künste, darunter Matthias Lilienthal, Amelie Deuflhard, Luk Perceval, Carena Schlewitt, Johan Simons, Kathrin Tiedemann und Christophe Knoch. Wie aber sieht es heute aus? Knoch, einer der Mitgründer der Koalition der freien Szene und deren jahrelanger Sprecher, verkündete im April dieses Jahres frustriert seinen Abschied. „Der freien Szene geht es schlechter als noch vor einigen Jahren“, sagte Knoch auf der Pressekonferenz zu seinem Rückzug. Vor allem die rasant steigenden Mieten führten zu einer existenziellen Bedrohung freien Kunst- und Theaterschaffens. Darüber könne auch die Mittelerhöhung für die freie Szene in den Kulturhaushalten nicht hinwegtäuschen. Die freie Szene – angekommen, aber auch an eine Grenze gekommen?
In unserem Schwerpunkt zur freien Szene macht Tom Mustroph eine Bestandsaufnahme. Die freie Szene hat sich institutionalisiert. Sie vertritt selbstbewusst ihre Interessen, in Verbänden und Lobbyorganisationen. Und sie nähert sich immer mehr dem Stadttheater an, als dessen Gegenmodell sie einst angetreten war. Ästhetisch und organisatorisch werden sich die einstigen Gegensätze beständig ähnlicher. Besteht die Gefahr, dass jeweils nur das Schlechteste bleibt: die prekären Projektexistenzen der freien Szene und die starren Hierarchien des Stadttheaters? Das diskutieren Claudia Bosse, Simon Kubisch und Tina Pfurr. Auch hier zeigt sich, dass vor allem die ökonomischen Bedingungen – vom Fördersystem bis zu durch hohe Mieten bedrohten Orten – der Gradmesser der Freiheit und künstlerischen Autonomie sind. Am Ende steht die Frage: Wie frei ist die freie Szene? Und wie geht es weiter?
Die Frage stellt sich auch in München. Nachdem Matthias Lilienthal seinen Abschied von den Kammerspielen, wo er Stadttheater und freie Szene zusammenbrachte, verkündet hat, schlagen die Wellen hoch. Lilienthal hatte auch eine wichtige Rolle als Berater bei der Berufung des inzwischen nicht mehr amtierenden Intendanten der Volksbühne, Chris Dercon, gespielt. Doch die Münchner Kammerspiele und die Berliner Volksbühne könne man nicht vergleichen, sagt unser Kolumnist Josef Bierbichler. Auch in Stuttgart stehen die Zeichen auf Abschied, Schauspielintendant Armin Petras hört mit dem Ende der Spielzeit auf. Künftig arbeitet er als Hausregisseur am Theater Bremen. Otto Paul Burkhardt wirft noch einmal einen Blick auf die fünf Jahre der Intendanz von Petras, den nicht unbedingt einfachen, aber starken Beginn, die Mühen der Mitte und das fulminante Finale.
Im Künstlerinsert zeigen wir in diesem Heft ein ganz besonderes Objekt: den Mercedes-Benz Ponton, den sich Helene Weigel 1967 als Dienstwagen für das Berliner Ensemble anschaffen ließ. Das kam in der weitgehend autofreien DDR einem Skandal gleich, galt doch ein Mercedes aus dem Westen als Auto des Klassenfeinds. Der Wagen wird ab dem 29. Juni in dem Projekt „Brecht in der Auto-Werkstatt“ des Künstlers Olaf Nicolai eine zentrale Rolle spielen. Zusammen mit der BE-Dramaturgin Sabrina Zwach spricht Nicolai über das Auto, dessen Ummontage und die Umformatierung des Menschen. Im Stückabdruck veröffentlichen wir in dieser Ausgabe „europa flieht nach europa“ von Miroslava Svolikova, eine karnevaleske Groteske zwischen Mythos und Gegenwart. Das Stück ist zu den diesjährigen Autorentheatertagen am Deutschen Theater Berlin eingeladen und wird dort uraufgeführt. Gerade in einem Band erschienen ist eine Gesamtschau der Aktionen des Zentrums für Politische Schönheit. Wie wenig das letztlich mit Kunst und Aufklärung zu tun hat, beschreibt Jakob Hayner in seiner Buchrezension.
Mit dem Arbeitsbuch „Der Dinge Stand / The State of Things“ zu Puppen- und Objekttheater, das am 1. Juli erscheint, verabschieden wir uns in die Spielzeitpause und wünschen einen angenehmen Sommer und gute Lektüre. //
Die Redaktion
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Künstlerinsert | |
Helene Weigels Mercedes-Benz PontonVorabfotos des Projekts „Brecht in der Auto-Werkstatt“von Olaf Nicolai | Seite 6 |
Helenes AutoDer Künstler Olaf Nicolai und die Dramaturgin Sabrina Zwach über Helene Weigels Mercedes Ponton und das Projekt „Brecht in der Auto-Werkstatt“ im Gespräch mit Dorte Lena Eilersvon Dorte Lena Eilers, Sabrina Zwach und Olaf Nicolaizum Online-Extra: Helenes Auto | Seite 10 |
Thema | |
Quo vadis, freie Szene?Eine Standortbestimmung der freien darstellenden Künste – ästhetisch, strukturell und strategischvon Tom Mustroph | Seite 13 |
Wir müssen leider Anträge schreibenÜber Gegenwart und Perspektiven der freien Szene – Claudia Bosse vom theatercombinat Wien, Tina Pfurr vom Ballhaus Ost und LAFT Berlin sowie Simon Kubisch von der Gruppe KGI im Gesprächvon Dorte Lena Eilers, Tom Mustroph, Claudia Bosse, Simon Kubisch und Tina Pfurrzum Online-Extra: Wir müssen leider Anträge schreiben | Seite 16 |
martin linzer theaterpreis | |
Martin Linzer Theaterpreis 2018von Dorte Lena Eilers | Seite 20 |
Die Thikwas und ichvon Anne Tismer | Seite 22 |
… und Action!Gerd Hartmann und Nicole Hummel leiten das Theater Thikwa – was es so einzigartig macht, erzählen sie im Gespräch mit Patrick Wildermannvon Patrick Wildermann, Gerd Hartmann und Nicole Hummel | Seite 26 |
Protagonisten | |
Kreative UnruheNach einem starken Start und den Mühen der Ebene folgt nun der Endspurt – Armin Petras hat in den fünf Jahren seiner Intendanz am Schauspiel Stuttgart eine große ästhetische Vielfalt eröffnetvon Otto Paul Burkhardt | Seite 28 |
Der pragmatische HeldDer Schauspieler Sebastian Kowski zeigt am Nationaltheater Weimar klassische Hauptrollen als moderne Charakterevon Gunnar Decker | Seite 32 |
Kolumne | Seite 35 |
Dorfrichter und HanswurstWarum die Münchner Kammerspiele nicht mit der Berliner Volksbühne vergleichbar sindvon Josef Bierbichler | |
Protagonisten | Seite 36 |
Solo!Die Choreografin La Ribot kennt keine Tabus und schickt ihren Körper nackt oder bekleidet, entfesselt oder unterwürfig in den Ringvon Renate Klett | |
Kommentar | Seite 39 |
… dann spielt doch alles nackt!Über die Missachtung des Kostümbilds im deutschsprachigen Feuilletonvon Nehle Balkhausen | |
Look Out | |
Jenseits von Plüsch und PompDas Berliner Musiktheaterkollektiv glanz&krawall erkundet den Grenzbereich zwischen E- und U-Kulturvon Patrick Wildermann | Seite 40 |
Gegen WohlfühlfluchtenDer Regisseur und Autor Wilke Weermann erforscht neue Möglichkeiten des Theaters im Digitalzeitaltervon Elisabeth Maier | Seite 41 |
Auftritt | |
Berlin: Bilder der StilleKonzerthaus Berlin: „Adam’s Passion“ von Arvo Pärt und Robert Wilson. Regie und Bühne Robert Wilson, Kostüme Carlos Sotovon Holger Teschke | Seite 45 |
Bautzen: Mir fährt das Karussell zu schnellDeutsch-sorbisches Volkstheater Bautzen: „Lausitzer Quartiere oder Der Russe im Keller“ (UA) von Ralph Oehme. Regie Lutz Hillmann, Ausstattung Miroslaw Nowotnyvon Michael Bartsch | Seite 45 |
Freiburg: Die Absolutheit des TraumesTheater Freiburg: „The Black Forest Chainsaw Opera“ (UA) von Stef Lernous. Regie Stef Lernous, Bühne Sven van Kuijk, Kostüme Stef Lernous und Ensemblevon Bodo Blitz | Seite 46 |
Hamburg/München: Im Casino-KapitalismusDeutsches Schauspielhaus Hamburg/Residenztheater Münchenvon Christoph Leibold | Seite 48 |
Karlsruhe: Der gesenkte BlickBadisches Staatstheater Karlsruhe: „Tiger und Löwe“ (UA) von Data Tavadze und Davit Gabunia. Regie Data Tavadze, Ausstattung Sebastian Hannakvon Elisabeth Maier | Seite 49 |
Köln: Die Frauen von Santa TeresaSchauspiel Köln: „2666“ nach dem Roman von Roberto Bolaño. Regie Julien Gosselin, Bühne Hubert Colas, Kostüme Caroline Taverniervon Martin Krumbholz | Seite 50 |
Konstanz: Mein KrampfTheater Konstanz: „Mein Kampf“ von George Tabori. Regie Serdar Somuncu, Ausstattung Damian Hitzvon Bodo Blitz | Seite 51 |
Mainz: Eine Puppenhorde HunnenStaatstheater Mainz: „Die Nibelungen“ nach Friedrich Hebbel. Regie Jan-Christoph Gockel, Bühne Julia Kurzweg, Kostüme Sophie du Vinagevon Shirin Sojitrawalla | Seite 52 |
Oldenburg: Klebrige AngelegenheitOldenburgisches Staatstheater: „Zur schönen Aussicht“ von Ödön von Horváth. Regie Lucia Bihler, Bühne Stefanie Grau, Kostüme Leonie Falkevon Natalie Fingerhut | Seite 53 |
Rostock: Schwimmendes PanoptikumVolkstheater Rostock: „Schiff der Träume“ nach Federico Fellini. Regie und Kostüme Konstanze Lauterbach, Bühne Ariane Salzbrunnvon Gunnar Decker | Seite 54 |
Stück | |
Geschichte als KarnevalDie Dramatikerin Miroslava Svolikova über ihr Stück „europa flieht nach europa“ im Gespräch mit Thomas Irmervon Thomas Irmer und Miroslava Svolikova | Seite 56 |
europa flieht nach europaein dramatisches gedicht in mehreren tableausvon Miroslava Svolikova | Seite 58 |
Magazin | |
Ohne Netz und doppelten BodenDas Sächsische Theatertreffen in Dresden gibt sich ein digitales Motto, findet aber letztlich seine Brisanz ganz klassisch im analogen Spielvon Michael Bartsch | Seite 69 |
Die Cowboys von OberbayernSiebzig Kilometer östlich von München gelegen, genießt das Theater Wasserburg die Freiheit jenseits der Großstadtvon Christoph Leibold | Seite 70 |
Reiserbüro Rinck: Das Unbewusste schaut rausvon Monika Rinck | Seite 71 |
Das Leben ist kein LegospielZehn Tage voller Gefühlsturbulenzen und Selbsterkenntnisprozesse beim diesjährigen Heidelberger Stückemarktvon Björn Hayer | Seite 72 |
Romeo und JulianDrei Tage in Südkorea, dem diesjährigen Gastland des Heidelberger Stückemarktsvon Paula Perschkezum Online-Extra: Romeo und Julian | Seite 73 |
Handeln zur FreiheitDas Fragment-Festival Büchner an der Schaubühne Lindenfels Leipzig widmet sich einer Gesamtschau von Georg Büchnervon Lilli Helmbold | Seite 74 |
Bleierne ZeitDie Theaterlandschaft Mittelmeer am Theater an der Ruhr zeigt Stücke aus Nordafrika und dem Mittleren Osten, die vor allem eines thematisieren – Gewaltvon Martin Krumbholz | Seite 75 |
4 Uhr 11Wie die Reihe Aus dem Hinterhalt der Deutschen Oper Berlin und das Festival MaerzMusik Einblicke in die Factory des zeitgenössischen Komponierens bietenvon Dorte Lena Eilers | Seite 76 |
Vom Ende der Dörfer, vom Ende des LebensJohn Burnsides „Coldhaven“ wird mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnetvon Thomas Irmer | Seite 77 |
Der Fänger im MaisEin Showcase am Jaunimo teatras in Vilnius beschäftigt sich mit Kindheitsängsten und Machtfantasienvon Thomas Irmer | Seite 78 |
Leipziger Grande DameZum Tod der großen Schauspielerin Christa Gottschalkvon Enrico Lübbe | Seite 79 |
Aufklärungsstandort DeutschlandDas Buch „Haltung als Handlung“ versammelt und dokumentiert alle bisherigen Arbeiten des Zentrums für Politische Schönheitvon Jakob Hayner | Seite 80 |
Aktuell | |
Meldungen | Seite 82 |
PremierenJuni 2018 | Seite 84 |
TdZ on Tour | Seite 86 |
Impressum/Vorschau | Seite 87 |
Autoren Juni 2018/Vorschau | |
Gespräch | Seite 88 |
Was macht das Theater, Carena Schlewitt?von Dominique Spirgi und Carena Schlewitt |
Nehle Balkhausen
Michael Bartsch
Josef Bierbichler
Bodo Blitz
Claudia Bosse
Otto Paul Burkhardt
Gunnar Decker
Dorte Lena Eilers
Natalie Fingerhut
Gerd Hartmann
Björn Hayer
Jakob Hayner
Lilli Helmbold
Nicole Hummel
Thomas Irmer
Renate Klett
Martin Krumbholz
Simon Kubisch
Christoph Leibold
Enrico Lübbe
Elisabeth Maier
Tom Mustroph
Olaf Nicolai
Paula Perschke
Tina Pfurr
Monika Rinck
Carena Schlewitt
Shirin Sojitrawalla
Dominique Spirgi
Miroslava Svolikova
Holger Teschke
Anne Tismer
Patrick Wildermann
Sabrina Zwach
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Helenes AutoDer Künstler Olaf Nicolai und die Dramaturgin Sabrina Zwach über Helene Weigels Mercedes Ponton und das Projekt „Brecht in der Auto-Werkstatt“ im Gespräch mit Dorte Lena Eilersvon Dorte Lena Eilers, Sabrina Zwach und Olaf Nicolaizum Online-Extra: Helenes Auto | |
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Wir müssen leider Anträge schreibenÜber Gegenwart und Perspektiven der freien Szene – Claudia Bosse vom theatercombinat Wien, Tina Pfurr vom Ballhaus Ost und LAFT Berlin sowie Simon Kubisch von der Gruppe KGI im Gesprächvon Dorte Lena Eilers, Tom Mustroph, Claudia Bosse, Simon Kubisch und Tina Pfurrzum Online-Extra: Wir müssen leider Anträge schreiben | |
Magazin | Seite 73 |
Romeo und JulianDrei Tage in Südkorea, dem diesjährigen Gastland des Heidelberger Stückemarktsvon Paula Perschkezum Online-Extra: Romeo und Julian |
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