Thema
Planetares Theater
Die Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts Bremerhaven Antje Boetius über das Theater des Anthropozän und einen neuen Vertrag zwischen Mensch und Natur im Gespräch mit Dorte Lena Eilers
von Antje Boetius und Dorte Lena Eilers
Antje Boetius, als Meeresbiologin und Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts Bremerhaven sind Sie eine der gefragtesten Klima-Expertinnen derzeit. Sie erlangen durch Ihre Forschung Einblicke in die Natur, die andere nicht oder nur medial vermittelt erhalten. Was hat Ihnen dabei in jüngster Zeit die größte Angst bereitet? Was Hoffnung?
Mich erschrecken die täglichen Meldungen unserer Polar- und Meeresforscher von immer schnelleren Schmelzraten von Eis sowie die sichtbare Verwüstung der Erde – von den brennenden Wäldern Australiens bis zur globalen Ausbleichung der Korallenriffe. All das zeigt, dass der Wandel schon da ist, viel schneller und extremer als angenommen. Die Zukunft holt die Gegenwart ein. Bei mir entsteht dann aber nicht Angst, sondern eher produktiver Ärger und ein gesunder Ehrgeiz, vorhandenes Wissen zu teilen, um weiterzukommen, die Blockaden zu lösen und den richtigen Pfad zu finden. Hoffnung macht mir derzeit das Engagement so vieler Menschen um mich herum, der neue Green Deal der EU, wie auch Anzeichen, dass China sich erhebliche Klimaziele gesteckt hat, denn darauf kommt es an. Kraft gibt mir Vernetzung, neue Partner im Denken und Wirken, Zusammenhalt, Gefühle, die ich derzeit vor allem bei Vorträgen und Lesungen erfahre.
Angst und Hoffnung zu vermitteln, sagten Sie kürzlich in einem Interview auf nachtkritik.de, sei auch durchaus Ihr probates Mittel bei öffentlichen Auftritten. Diese beiden Gefühlszustände seien, was die biologische Funktionsweise unseres Gehirns angeht, unsere Leitsysteme. Nun zeichnet sich trotz Bildern von brennenden Wäldern, Überschwemmungen, Dürren eine Verhaltensänderung jedoch bislang nicht ab. „I want you to panic“, heißt es bei Greta Thunberg. Haben wir noch zu wenig Angst? Oder zu wenig Hoffnung?
Angst scheint mir wichtig zum Aufrütteln, ist aber ansonsten ein schlechter Ratgeber. Hoffnung allein reicht auch nicht, es braucht Veränderungswille, Mut und Kraft durch Zusammenhalt. Es gibt ja auch doch schon Spuren von Verhaltensänderung, in der Selbsteinschätzung der Bürger in Bezug auf die großen Herausforderungen, im Wahlverhalten, in der Reichweite der Themen um Klima und Natur. Das Problem ist aber, dass wir nicht so viel Zeit haben für einen Sinnes- und Kulturwandel, weil schon jetzt die Schäden aus Extremwettern und Übernutzung so groß sind. Es braucht zum Bürgerwillen also unbedingt die großen Konzepte zum Umbau. Effektives Klima- und Naturschützen muss allen Menschen auch ermöglicht werden, dazu sind politische Entscheidungen und internationale Kooperation vonnöten.