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Volker, ahoi

In Gedenken an den Schauspieler Volker Spengler

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Meine erste leibhaftige Volker-Spengler-Erfahrung fand im Sommer 1988 in einem besseren ita­lienischen Restaurant in Berlin statt. Volker wollte dem Veranstalter eines Heiner-Müller-Events das Video seiner legendären Bremer „Quartett“-Aufführung mit Traute Hoess nur für eintausend D-Mark aushändigen. Seine Forderung spickte er mehrfach und lautstark mit der Anrede „Du Kulturnutte“. Ein paar Plätze weiter am gleichen Tisch erklärte Einar Schleef derweil einem mittlerweile von der Bildfläche verschwundenen sakkotragenden Regisseur, dass ihn ­seine Windjacke nur 3 D-Mark 95 gekostet hätte. Bei Woolworth. Dann setzte Volker seine Kanonade fort, während sein Ge­sprächs­partner immer mehr in sich zusammensackte, was der anwesende Heiner Müller mit „Angst essen Seele auf“ kommentierte.

Foto: David Baltzer
                                                                                                   Foto: David Baltzer

Irgendwann in der Spielzeit 1998/99 kamen wir auch außerhalb des Backstage-Bereichs zusammen. Düsseldorf erwartete, dass sein Schauspielhaus den 100. Geburtstag von Gustaf Gründgens ­feierte. Als mir Karl Kneidl mit­teilte, dass Peter Palitzsch und Volker gerne etwas zusammen erarbeiten würden, kam es zum Gründgens-Jubiläum-Projekt „Alles Theater“. Der Volker-Gründgens schwamm in einer braunen Brühe und bespritzte ab und an das Publikum. Zwar überzeugte die „grelle politische Revue“ den Spiegel, aber ansonsten schäumte Düsseldorf. Ein ­höherer Angestellter des ­Theaters warf mir vor, dass man angesichts dieses Spektakels glauben müsse, unsere ­Eltern und Großeltern wären alle wahnsinnig gewesen. Tatsächlich hatten wir nicht die ­Absicht, dem Dritten Reich und seinen Anhängern geistige Gesundheit zu bescheinigen.

Als Nächstes spielte Volker den Galilei, Regie führte Klaus Emmerich. Volker, halbnackt in der Bühnenmitte hinter einem Haufen von Papieren verschanzt, war die Sonne, um die sich alles drehte. „Ich kann Macht von Ohnmacht unterscheiden!“, lautete sein Lieblingssatz aus dem Brechtstück, den er bei jeder sich bietenden Gelegenheit einbrachte. Weitaus monströser aber war eine Zeile aus den „Bakchen“, wo er als Thebens Stadtgründer Kadmos besetzt war. Theodoros Terzopoulos führte Regie. Nichts ahnend, dass sie ihren eigenen Sohn zerfleischte, glaubt Agaue (Marianne Hoika), mit dem Kopf eines von den Bacchantinnen zerris­senen Löwenjungen heimzukehren. Vater Kadmos-Spengler fordert sie auf, das Haupt genauer zu betrachten, und schließt den ­Appell an die Mutter mit den Worten: „Die Mühe lohnt!“ Volker war der Schauspieler, der dem Abgrund dieser Zeile und ihrer Ungeheuerlichkeit eine geradezu zeitlose Wucht und Präsenz verleihen konnte, indem er jede Zutat wegließ. Irgendwo dazwischen hatten wir mit Palitzsch und Volker noch „Das letzte Band“ produziert. Die Rolle, die er gerne gespielt hätte, zu der es aber nie kam, heißt Falstaff.

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