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Der Kommunikator zieht weiter

Eine Bilanz von Manuel Bürgin am Theater Winkelwiese in Zürich

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Manuel Bürgin ist ein Kommunikator. Er sagt, was er denkt, und wenn er erzählt, dann plastisch und konkret. Den Satz, der seine siebenjährige Intendanz (2015–22) am besten zusammenfasst, sagt er gleich zu Beginn unseres Gesprächs: „Es hat sich gelohnt, sich nicht einzuschränken.“ Es stimmt: Bürgin hat im Kellergewölbe der altehrwürdigen Villa Tobler auf Vielfalt gesetzt. Und es gab Leute, die ihn dafür kritisierten. Sein Vorgänger ­Stephan Roppel hatte das Profil des Hauses zweifellos geschärft und mit einem beinahe protestantischen Sola-scriptura-Purismus fast ausschließlich auf Gegenwartsdramatik gesetzt. Bürgin und sein Team fanden: Es führen viele Wege zu einem gelungenen Thea­ter­abend. Man kann sich den scheidenden künstlerischen Leiter der Winkelwiese darum als Botaniker vorstellen, der vor Monokulturen warnt – und mir scheint: zu Recht.

Man glaubt Bürgin, wenn er sagt, dass er sein Theater als Ort mag: „Alles ist kompakt, alles ist nah. Ein Handgriff, und man hat eine Leiter. Gleich daneben steht das Lichtpult. Und in zehn Schritten ist man drüben im Büro.“ Es ist diese Nähe, die seiner Art des Arbeitens entspricht. Bürgin ist ein Teamplayer, er denkt in der Gruppe, und die kurzen Wege, die Unmittelbarkeit, das liegt ihm. Aber er mochte und mag auch den Bühnenraum: „Der Bogen, unter dem das Publikum sitzt, ist derselbe Bogen, unter dem auch die Schau­spieler:innen spielen. Diese Nähe gibt der Raum vor.“ Gleich in der Eröffnungsproduktion hat er auf diese Gegebenheiten reagiert: Mélanie Huber inszenierte Stephan Teuwissens Auftragswerk „So fängt es an“. In dem Stück spielte Bürgin – ausgebildeter Schauspieler – neben Ingo Ospelt gleich selbst mit. Der Abend kreiste um die Frage, was da vor sich geht, wenn einer als Ankömmling in ein Haus einzieht, wo aber schon jemand lebt. Mit diesem Einstand, der um Aneignung und Nähe kreiste, setzte Bürgin ein Zeichen, dass Theater etwas mit dem Ort zu tun haben sollte, an dem es gespielt wird.

Der neue Leiter wirkte nicht nur nach innen als Kommunikator – auch nach außen hin war er ein Netzwerker: Kurz nach dem ­Höhepunkt der Fluchtbewegung aus den Kriegsgebieten in Syrien nahm die Winkel­wiese an einem Aufführungsmarathon von Elfriede Jelineks „Die Schutzbefohlenen“ teil, bei dem insgesamt fünf Theaterhäuser der Stadt mitmachten: Neben dem Schauspielhaus, der Gessnerallee, dem Theater Neumarkt und dem Fabriktheater zeigte man in der Winkelwiese das vielstimmige, vielsprachige „Die, should sea be fallen in“ von Ivna Žic und Peter Waterhouse.

Manuel Bürgin schielt nicht zu sehr auf Erfolg. Am Scheideweg zwischen „Herzensprojekt“ und „Schlauheit“ sind er und sein Team mehr als ein Mal in Richtung „Herzensprojekt“ abgebogen. Er konnte nicht ­wissen, ob sein Publikum seine Passion für Hörspiele teilen würde, und initiierte das Format „Zu Ohren kommen“. In der Reihe wurden dem Publikum neue Produktionen des Schweizer Radios SRF in Anwesenheit der Künstler:nnen vorgestellt. Waren klingende Namen (Katja Brunner, Thom Luz) mit diesen Abenden verbunden, waren die Plätze gut besetzt, bei weniger bekannten Künstler:innen hat das Format sein Publikum nicht gefunden. „Ich bin stolz darauf, dass wir es dennoch gewagt haben“, sagt Bürgin. Auch sonst hat man das Gefühl, dass er die Zeit seiner Intendanz als gemeinsame Suche verstanden hat, und nicht als die Umsetzung vermeintlich sicherer Rezepte oder das Befolgen starrer Dogmen.

Dies zeigt sich vielleicht am stärksten in ­seinem Umgang mit der hausinternen För­der-Plattform, dem DRAMENPROZESSOR. Jeweils vier Autor:innen erarbeiten während ­einer Spielzeit zusammen mit Theaterschaffenden ein neues Stück. Die Dramaturgin Ann-Marie Arioli und der Autor Andreas ­Sauter leiteten mit Bürgin drei Jahrgänge ­dieser Werkstatt für szenisches Schreiben: mit großem Erfolg. Im Jahrgang 2016/17 schrieb Julia Haenni ihr Stück „Frau im Wald“, die Uraufführungsinszenierung war eingeladen zum Heidelberger Stückemarkt. Maria Ursprung schrieb 2018/19 ihr Stück „Schleifpunkt“ und war damit (während der Pandemie) zu den Autorentheatertagen in Berlin eingeladen. Dies hat sich im Jahrgang 2020/21 wiederholt: Alexander Stutz’ Stück „Das Augenlid ist ein Muskel“ kommt im Juni 2022 als Produktion des DT in Berlin zur ­Uraufführung. Aus der Rückschau meint er: „Wir sind den Autor:innen stets auf Augen­höhe begegnet. Für uns waren das immer künstlerische Partner.“ Dass dies keine Floskel ist, zeigt sich darin, dass Bürgin ab kommendem Sommer mit Julia Haenni und Maria Ursprung neu das Theater Marie leiten wird. Dem neuen Team wird sich die Autorin ­Mar­tina Clavadetscher und Andrea Brunner anschließen, die zusammen mit Manuel ­Bürgin für Geschäftsführung des Theater Winkel­wiese zuständig war.

Die Zeit als Gastgeber im Theater ­Winkelwiese hat Bürgin genossen. In Zukunft wolle er aber wieder mehr Kunst machen, und diese nicht bloß verwalten. Mehr Regie will er führen, und mehr spielen will er auch. Er freue sich auf längere Probezeiten am Theater Marie, eine größere Konzentration „mit mehr Tiefgang“. Man darf auf diese Arbeiten gespannt sein, denn wenn sie nicht bloß fantasievoll und verspielt sind, sondern zudem eine Schärfe ­wagen, die auch mal weh tut – wie Bürgins ­vielleicht bislang dichteste, konzentrierteste ­Arbeit: seine Inszenierung von Wyrypajews „Sonnen­linie“ im Jahr 2018 –, dann sollte man sich das nicht entgehen lassen. //

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