Mouson Award 2009/10 für Ann van den Broek

Der Mouson Award 2009/10 geht an die niederländisch-flämische Choreographin Ann van den Broek. Ihre Choreographien “We solo men” (2009) und “Co(te)lette" (2007/8), die im Oktober und im Februar 2009 im Künstlerhaus Mousonturm zu sehen waren, haben das Publikum begeistert.

Ann van den Broek widmet sich auf eingängige Weise, aber ohne große Showeffekte zu bedienen und ohne plakative Thesen zu vertreten, zeitgenössischen Verhaltensweisen des Menschen.

Obgleich sich ihre Stücke gewissermaßen jeder Wertung enthalten, distanziert und kühl wirken, rufen sie beim Zuschauer Irritation hervor, leises Schaudern, aber auch Amüsement. Zuletzt scheint es jedoch immer ein Vanitas-Gedanke zu sein, der Ann van den Broeks meist in nüchternen Räumen angelegte Stücke bewägt: Angesichts der Vergänglichkeit ist alles eitel.

Das ist so in dem Stück „Co(te)lette“ für drei Tänzerinnen, mit Musik von Arne van Dongen, das Cecilia Moisio, Theodossia Stathi, Judit Ruiz Onandi von van den Broeks eigener Companie und Produktionsplattform „vzw Ward/waRD“ tanzen. Ging es in „Co(te)lette“ um weibliche Sexualität, um Rivalität zwischen Frauen und das Bilden einer eigenen, weiblichen Identität zwischen Lust und Schmerz, hat Ann van den Broek für „We solo men“, wiederum mit einer Soundcollage Arne van Dongens, die Struktur einer Boygroup und die Auftritte von heutigen Popbands zum Muster genommen – herausgekommen ist ein Stück über männliche Posen, über Rollenverhalten und auch über Einsamkeit und Eitelkeit, das nicht nur der Choreographin, sondern auch den Zuschauern als sehr „männliches“ nach dem sehr „weiblichen“ ersten Stück erscheinen musste – obwohl oder vielleicht gerade weil in „We solo men“ auch Frauen in Männerkleidung tanzen (getanzt von Jan Deboom, Jan Martens, Andreas Kuck, Cecilia Moisio, Judit Ruiz Onandi, Dario Tortorelli).

Ann van den Broek, die bis 1991 an der Tanzakademie Rotterdam zur Tänzerin ausgebildet wurde und nach zehn Jahren als Tänzerin im Jahr 2000 begann, sich hauptberuflich mit Choreographie zu beschäftigen, hat in ihren bislang entstandenen Stücken eine ganz eigene Herangehensweise entwickelt. Sie beobachtet alltägliches menschliches Verhalten, Alltagssituationen, -bewegungen und Gesten. Für jedes ihrer Stücke entwickelt sie daraus eine eigene Haltung und ein Bewegungsrepertoire, mit dem die Tänzer sich intensiv auseinandersetzen. Dem Zuschauer prägt es sich durch zahlreiche Wiederholungen, langsame Passagen und dann wieder kraftvolle, energische und schroffe Elemente ein. Die Verzerrungen, Spiegelungen alltäglicher Gesten werfen den Zuschauer auf sich selbst zurück, gleichzeitig steht die fast glatte Ästhetik von van den Broeks Tanz einer einfachen Identifikation entgegen. Selbst wenn sie sich, wie in dem Duett „I solo ment“ von 2008, bei aller Abstraktion einem privaten und intimen Thema, dem Tod ihres Bruders Tom, widmet, wirkt die Emotionalität immer auf Distanz. Obwohl sie mit Videos, Sound, Bildelementen arbeitet, steht der Tanz, eine hohe Bewegungsdichte gewissermaßen, ganz und gar im Vordergrund ihrer Arbeiten, die bewusst „zeitgenössisch“ sind.

Für „I solo ment“ war sie für den niederländischen Tanzpreis „Zwaan“ nominiert, den sie für „Co(te)lette“ schon gewonnen hatte. Die früheren Arbeiten „E 19“, „Zapttude“ und „FF and Rew“ hat sie für verschiedene Tänzerkonstellationen überarbeitet. Noch steht Ann van den Broek am Anfang ihrer Karriere, die sie auch schon mehrmals an deutsche Häuser geführt hat. Deshalb erkennt ihr die Jury den Mouson Award 2010 zu. Das Preisgeld soll dazu dienen, ein Stück am Mousonturm zu produzieren und in Frankfurt zur Uraufführung zu bringen. Als Tänzerin arbeitete Ann van den Broek zuletzt unter anderem mit Itzik Galili und Krisztina de Châtel, bis sie im Jahr 2000 ihre eigene Produktionsplattform “vzw WArd/waRD“ gründete, die an das Cultural Center Berchem angesiedelt ist, mit dem die kleine Company auch zusammenarbeitet und korpduziert. Eine künstlerische Partnerschaft verbindet sie mit Korzo Producties in Den Haag; sowohl die niederländische als auch die flämische Kulturförderung unterstützt van den Broeks Companie, die neben Profi-Workshops auch Laienkurse anbietet und den Dialog mit anderen Künsten und Wissenschaften pflegt.

(Eva-Maria Magel für die Jury)

Der Mouson Award ist ein mit derzeit 15.000,- € dotierter Preis für eine herausragende Produktion einer Spielzeit im Künstlerhaus Mousonturm. Er wird in der Regel alle zwei Jahre von einer unabhängigen Expertenjury an eine Gruppe, eine Tanzkompanie oder eine Regisseur/in oder Choreografen/in vergeben. Neben der finanziellen und auch infrastrukturellen Unterstützung möchte das Künstlerhaus Mousonturm mit dem Mouson Award auch andere Veranstalter, Koproduzenten und Förderer auf ein unterstützenswertes und außergewöhnliches Projekt aufmerksam machen. Mit Hilfe des Preisgeldes wird Anne Van den Broek ihre neue Produktion “Q61“ realisieren: Premiere ist am Donnerstag 24.2.2011 im Mousonturm (weitere Vorstellungen 25. und 26. Februar 2011).

Jury Mouson Award 2009/10:

Eva-Maria Magel (Frankfurter Allgemeine Zeitung)
Sylvia Staude (Frankfurter Rundschau)
Marcus Hladek (Frankfurter Neue Presse)
Dieter Buroch (Künstle rhaus Mousonturm)
Bisherige Preisträger
2007/2008 Richard Siegal (F/USA)
2005/06 Dave St-Pierre (CAN)
2003 keine Preisvergabe
2001 Vincent Dunoyer (F)
1999 Von Heiduck - Thomas Hejlesen (DK)
1997 John Jasperse (USA)
1995 NEUER TANZ / Wanda Golonka - VA Wölfl (D)
Künstlerhaus Mousonturm
Gabriele Müller
Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Head of Public Relations
Waldschmidtstrasse 4
D-60316 Frankfurt/Main
phone +49.69.40 58 95 - 14
fax +49.69.40 58 95 - 40
www.mousonturm.de

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