Die Bewohnbarmachung der Erde

Brechts Verhältnis zu Stadt und Natur

von

IV
Die Konsequenzen, die Brecht daraus zog, sind allbekannt. Statt wie in der Dreigroschenoper von 1928 lediglich auf halb zynische, halb vergnüg liche Weise das verbrecherische Treiben einer lumpenproletarischen Gangsterclique darzustellen, entschloss er sich in seinen folgenden Werken zu einer wesentlich schärferen Gangart. Dafür sprechen vor allem kommunistisch inspirierte Stücke wie Die Maßnahme (1929/30) und Die Mutter (1931), in denen fast durchgehend das Agitatorische im Vordergrund steht, um damit den Kampf der KPD gegen die verheerenden Folgen des kapitalistischen Wirtschaftssystems sowie die Gefahr einer nazifaschistischen Machtübernahme zu unterstützen.
Aber auch das Bild vom entmenschenden Leben in den großen Städten, jetzt eindeutig ins Antikapitalistische gewendet, ließ Brecht nicht zur Ruhe kommen. So schrieb er nach dem Wall-Street-Crash von 1929 das weit ausholende Gedicht „Verschollener Ruhm der Riesenstadt New York“ über jene Stadt, die selbst ihm in seinen Anfängen – im Gegensatz zu dem als „langweilig“ empfundenen Deutschland – wegen ihrer „riesigen Bauwerke“, „nie endenden Straßen“, „breitbrüstigen Männer“, „Eisenbahn zügen, die rollenden Hotels gleichen“, ihren „Schallplatten“ und „filmischen“ Darstellungen als faszinierender Inbegriff alles Neuartigen erschienen war und sich jetzt durch die Machenschaften geldgieriger Bankherren in eine Trümmerstätte gescheiterter Hoffnungen verwandelt hatte.14
Und auch in anderen Schreckbildern der „großen Städte“ nahm Brecht in diesem Zeitraum immer wieder die USA aufs Korn, so in dem bereits 1927 konzipierten, aber erst 1930 endgültig abgeschlossenen opernhaften Stück Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, in dem es nur um Suff und Sex, das heißt das sinnentleerte Treiben in einer an Las Vegas gemahnenden Vergnügungsmetropole geht, wo erotisch ausgehungerte Männer für jedes Quäntchen Lust ihre mühsam verdienten Dollarnoten hergeben müssen, und dann in dem marxistisch konzipierten Drama Die heilige Johanna der Schlachthöfe (1929–1931), bei dem es sich – auf der Grundlage des Romans The Jungle (1906) von Upton Sinclair – um eine Analyse der innigen Verquickung der Chicagoer Fleischindustrie mit den Bankenbaronen der Wall Street handelt, um so das ständige Auf und Ab der kapitalistischen Wirtschaftszyklen unter die Lupe nehmen zu können.
Ja, Brechts Abneigung gegen die Unmenschlichkeit der großen Städte nahm in diesen Jahren derart zu, dass er sich im Herbst 1932 – noch immer nicht an einen möglichen Sieg der Nazifaschisten glaubend – entschloss, im bayrischen Utting eine Landhausvilla zu erwerben, um dort mit seiner Familie endlich in einer friedlichen, naturgemäßen und seiner Herkunft entsprechenden Umgebung zu leben. Was ihn besonders beglückte, war, dass dieses Haus von einem weitläufigen Garten mit „vielen Sträuchern“, einer „riesigen Erle“, „schwarzen Fichten“, „Wiesen“ und „lang blühenden Blumen“ umgeben war, so dass man sich dort fast wie in einem „kleinen Wald“ fühlen konnte.15 Doch diese geradezu traumhaft erlebte Situation währte nur wenigen Wochen. Schon am 30. Januar 1933 ernannte Paul von Hindenburg, der amtierende Reichspräsident, jenen Adolf Hitler zum neuen Reichskanzler, von dem sich die hinter Hindenburg stehenden Kreise der Großindustriellen und Großagrarier noch am ehesten versprachen, dass er allen antikapitalistischen „Umtrieben“ von Seiten der Kommunisten endlich den Garaus machen würde. Und genau das trat in den folgenden Wochen ein.

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