Recherchen 14
Jeans, Rock und Vietnam
Amerikanische Kultur in der DDR
Herausgegeben von Therese Hörnigk und Alexander Stephan
Paperback mit 220 Seiten, Format: 140 x 240 mm
ISBN 978-3-934344-18-1
Dieses Buch ist leider vergriffen
Kultur made in the USA spielte seit 1945 eine zentrale, wenn auch nicht immer öffentlich sichtbare Rolle in der Geschichte der DDR. SED-Funktionäre warnten mit ähnlichen Formulierungen wie ihre bürgerlich-konservativen Gegenspieler in der Bundesrepublik von Konrad Adenauer vor dem »barbarisierenden Gift des ... Boogie-Woogie« (Wicke) und einem mit »antikulturellen Mitteln« wie Rock-Musik und Jeans der Marke Levis vorgetragenen »Frontalangriff auf humanistisches Denken« (Wicke). Literaturwissenschaftler und Verlagslektoren versuchten, auf dem schmalen Grat zwischen Liberalisierung und Verbot amerikanische Literatur in die DDR zu bringen. Ulrich Plenzdorf machte sich einen Namen, als er den Werther-Erben Edgar Wibeau in »echten« Blue Jeans und mit Kofferradio auf der Bühne »offen« tanzen ließ. Sein Kollege Günter Kunert bewies mit dem Reisebericht DER ANDERE PEANET, dass man nicht nur über Moskauaufenthalte Novellen schreiben konnte oder im polnischen Jaroslaw nach neuen Stoffen suchen musste. Bertolt Brechts mehr von Hass als Liebe geprägtes, erst synthetisches, dann auf eigenen Erfahrungen fußendes Amerikabild hinterließ deutliche Spuren im Kulturbetrieb der DDR. Vom Westen subventionierte Frontstadtkinos boten Bürgern des anderen deutschen Staates gegen weiche Währung Tag und Nacht Zugang zu den Filmen aus den Traumfabriken von Hollywood. Und ein Heer von immer selbst- und konsumbewusster werdenden Jugendlichen erkämpfte sich mit Hilfe von mehr schlecht als recht imitierter Musik aus dem Westen, rasch wechselnden Moden und Versatzstücken von dem, was man unter american way of life verstand, wachsende Freiräume außerhalb der staatlich verordneten und geförderten Unterhaltungskultur.
Transmissionsriemen für diesen vor allem von den Nachkriegsgenerationen getragenen Prozess waren die bis 1961 durch Fahrten nach Westberlin, dann über Westfernsehen und Verwandtenbesuche vermittelten, leicht zeitverschobenen, aber durchaus ähnlich ablaufenden Erfahrungen der jugendlichen Brüder und Schwestern in den amerikanisch, britisch und französisch besetzten Zonen. Als Tatorte dienten die Tanzböden von privaten Vorortkneipen, kirchliche Räume, der Woodstock nachempfundene Sportplatz von Crimmitschau oder, kurz vor dem Ende der DDR, das Radstadion in Weißensee, wo 250 000 meist junge Menschen zusammen mit Bruce Springsteen inbrünstig den Klassiker BORN IN THE USA sangen.
Bislang ist die Geschichte der US-Kultur in der DDR noch nicht geschrieben worden, so wie ührigens auch Amerikanisierung und Anti-Amerikanismus der westdeutschen Nachkriegskultur erst in Bruchstücken aufgearbeitet sind. Ein paar wissenschaftliche Untersuchungen zur Geschichte der Amerikastudien an den Universitäten der DDR; ein erster Versuch, Amerikanisierung und SowJetisierung zu vergleichen; Einführungen in DDR-Rock und -Jazz sowie der Bericht eines Insiders über die Beatbewegung im Kontext der SED-Kulturpolitik der Sechziger- und Siebzigerjahre; und das eine oder andere über amerikanische Literatur und US-Kulturpolitik - viel mehr ist vor und nach 1990 nicht zusammengekommen.
Dabei ist das Thema nicht nur auf den ersten Blick überaus facettenreich. AFN, RIAS und Radio Luxemburg haben die DDR über den Äther mit US-Kultur bombardiert. Peter Hoff und Wolfgang MühlBenninghaus deuten im vorliegenden Band an, dass das Fernsehen der alten Bundesrepublik nicht nur zu seinen Hochzeiten, sondern bereits in den Anfängen als Waffe im Kalten Krieg eingesetzt wurde. Drei jüngere Arbeiten erhellen den Einfluss, den die CIA über Organisationen wie den Congress for Cultural Freedom auf die deutsche und westeuropäische Kulturszene der Fünfziger- und Sechzigerjahre nahm gehen aber nur am Rande der Frage nach, wie man mit dem eigentlichen Gegner östlich des Eisernen Vorhangs umsprang. Die Tätigkeit und Wirkung von klassischen Instrumenten der amerikanischen Kulturdiplomatie wie das als IREX bekannt gewordene International Research and Exchanges Board und die sich gegen Ende der DDR vermehrenden Austauschprogramme zwischen Universitäten liegen ebenso im Dunkeln wie die Arbeit philanthropischer Organisationen von der Ford- über die Carnegie- bis zur Rockefeller-Stiftung, die unabhängig, aber in Abstimmung mit dem Department of States bzw. der United States Information Agency seit vielen Jahrzehnten auf internationalem Parkett Kulturpolitik betreiben. Wenn es wirklich zutrifft, dass die Amerikanisierung der Jugend Westeuropas in den Fünfzigerjahren eine Funktion von neu gewonnener Freizeit und einer beginnenden wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Rezipientenschicht von popular culture war, bleibt der Frage nachzugehen, wieso in der DDR mit ihrem begrenzten Wirtschaftswunder, aber einer allmächtigen Staatssicherheitsorganisation fast zeitgleich ähnliche Dinge abliefen. Umgekehrt wäre am anderen Ende des sozialen Spektrums zu untersuchen, wie es in der frühen DDR das eingesessene Bildungsbürgertum mit seinen tief verankerten Vorurteilen gegen amerikanische Massenkultur als Unkultur hielt - ganz zu schweigen von der misslichen Lage, in die sich der Staatskommunismus begab, als er gegen amerikanischen Modernismus und Kosmopolitismus mit nahezu der gleichen Sprache vorging wie wenige Jahre früher sein Todfeind Joseph Goebbels.
Es muss nicht erklärt werden, dass der vorliegende Band, der auf einer internationalen Tagung im Literaturforum im BrechtHaus zu Berlin basiert, keine zusammenhängende Geschichte der US-Kultur in der DDR bieten kann. Er vermag noch nicht einmal die größten weißen Flecken auf der Landkarte der amerikanisch-ostdeutschen Kulturbeziehungen zu schließen. Wohl aber hoffen die Herausgeber, dass die verschiedenen Beiträge möglichst viele Leserinnen und Leser dazu ermutigen, über ihre eigene Vergangenheit nachzudenken bzw. an der Erstellung des Bildes von der Aneignung, Kreolisierung und Zurückweisung amerikanischer Einflüsse auf »die andere« deutsche Nachkriegskultur mitzuwirken.
Günter Kunert und sein Amerikabericht DER ANDERE PLANET (1974) stehen im Zentrum von zwei Beiträgen, die den vorliegenden Band eröffnen: die Aufzeichnung eines Gesprächs zwischen Kunert und seinem Schriftstellerkollegen Yaak Karsunke und eine Analyse von Kunerts langjähriger Auseinandersetzung mit Amerika aus der Feder des amerikanischen Germanisten David Bathrick. Ein festes, gar einheitliches Bild von Amerika ist dabei freilich, der Titel von Bathricks Essay deutet es schon an, weder in Kunerts Gesamtwerk noch in dem in 0st und West nahezu zeitgleich erschienenen Reisebericht von 1974 festzumachen. Eher schon entdeckt Bathrick bei Kunert eine fast postmodern anmutende Gemengelage zwischen »kecker Unberechenbarkeit« und »einem kaum explizit artikulierten, aber trotzdem vorhandenen Vorurteil«, »eine unentwegte Dekonstruktion der ideologischen Vorentscheidungen« (Bathrick) und ein offenes Schwanken zwischen U- und Dystopie.
Was nicht heißt, dass sich das Autorenduo Günter Kunert und Yaak Karsunke, das in der Diskussion rege auf Bathricks Vortrag reagiert hatte, aufgefordert fühlte, in seinem Gedankenaustausch über die ersten Begegnungen mit den USA ähnlich tiefschürfende Betrachtungen anzustellen. Eher schon gehören Glen Miller und seine Band vor und der AFN bzw. GIs nach 1945 zu ihren prägenden Erlebnissen. Karl May und Indianerfilme kamen für sie vor Allen Ginsberg, Carl Sandburg, Edgar Lee Masters, Dashiell Hammett und den Kriegen in Korea und Vietnam. Und als Karsunke vom Publikum mit seinen kritischen Gedichten und Politrevuen zu den USA aus den Sechziger- und Siebzigerjahren konfrontiert wird, kontert er mit der rhetorischen Gegenfrage, was wohl aus Kunert geworden wäre, wenn sich die Vereinigten Staaten im Zweiten Weltkrieg nicht in die deutschen Angelegenheiten gemischt hätten.
Peter Wicke, bekannt durch Bücher über Rock- und Popmusik, sieht das ähnlich - und macht gleich zu Anfang seines Beitrags klar, wer für ihn in der DDR zu den wichtigsten Rezipienten der amerikanischen Kultur zählt: »Die fortwährende Präsenz der US-Kultur mag angesichts der massiven Abschottungsversuche seitens der SED und ihrer Apparate zumindest für den Zeitraum bis Anfang der Siebzigerjahre überraschen, war jedoch vom ersten bis zum letzten Tag der DDR ein fester Bestandteil des jugendlichen Alltags.« (Wicke) Geändert hat sich nach Wicke im Laufe der Zeit lediglich die Art und Weise, wie die Staatsapparate vor dem Hintergrund der internen politischen und kulturellen Auseinandersetzungen mit der »Verwestlichung« der einheimischen Jugendkultur umgingen. Ein offizielles, landesweites Verbot von Rockmusik nämlich hat es ungeachtet der rechts wie links fast gleich lautenden Attacken auf das »Monotone des Jay, Jeh, yeh ... dieser Texas-Kultur« in der DDR nie gegeben. Freilich, genützt hätte ein solches Gesetz ohnehin nicht: einmal wegen unabwendbarer, privaten Freiraum erzeugendertechnischer »Modernisierungsschübe« wie der Einführung von Kofferradios und Tonbandgeräten; dann weil alles, was der ungeliebte Staatsapparat offiziell verteufelte, automatisch eine besondere Anziehungskraft besaß; und schließlich weil die von Amerika beeinflusste counter culture der DDR unerreichbar für Stasi und Vopos längst in die Ritzen der Nischengesellschaft des realen Sozialismus eingesickert war.
Modernisierung, diesmal freilich im Bereich des Designs von Konsumgütern und des unaufhaltsamen Siegeszugs der Jeans, steht auch im Zentrum der Beiträge von Rita Böttcher und Karen Ruoff Kramer: der kurz Mu-Fu-Ti genannte Multifunktionstisch als Nachfahre ähnlicher amerikanischer Produkte; Trabis neben den mit Haifischflossen ausgestatteten Automobilen von Ford und Chrysler; Club Cola gegen Coca Cola; die in 0st und West legendäre Hollywoodschaukel; und, am Beispiel von Filmen vorgeführt, die von Marlon Brando und James Dean ausgelöste und vom Kalten Krieg instrumentalisierte Schlacht zwischen Levis und den mal als Wisent, mal als Shanty oder auch als Boxer verkauften »doppelgenähten Kappnahthosen« aus der volkseigenen Produktion der DDR. Denn, so das JAHRBUCH FORM UND ZWECK von 1956, wer in einer schlecht gestalteten Umgebung lebt, wird bald auch den Spaß an der Arbeit und am AufLau des Sozialismus verlieren.
Weniger um Form als um politische Inhalte scheint es dagegen in dem Beitrag von Peter Hoff und Wolfgang Mühl-Benninghaus zum Bild der USA im DDR-Fernsehfilm der Fünfziger- und Sechzigerjahre zu gehen. Hier, wie auch in Joachim Fiebachs Kommentar zu Jeans und Western in den Ostberliner Theatern der Zeit, steht nämlich die Auseinandersetzung mit den USA als aggressiver, expandierender Weltmacht auf der einen und die vorsichtige Suche nach einem alternativen, vom Recht des Einzelnen und von Meinungsfreiheit geprägten Planeten Amerika auf der anderen Seite im Zentrum. Schaut man dann genauer hin, stellt sich freilich heraus, dass es nützlich war, diese für die Machthaber der DDR nicht unproblematische Thematik in einer harmlos erscheinenden Verpackung vorzustellen, die u. a. Elemente der westlichen Trivialkultur vom Krimi über den Western bis zum Katastrophendrama mit Versatzstücken der so genannten Hochkultur verbindet. Als Beispiele dienen dabei aus der Fernsehproduktion Spielfilme über Opfer der amerikanischen Klassenjustiz wie JOE Hirr und SACCO UND VANZETT! (Hoff/Mühl-Benninghaus) und beim Theater (Fiebach) Ulrich Plenzdorfs DIE NEUEN LEIDEN DES JUNGEN W. bzw. Benno Bessons Inszenierung von Jewgeni Schwarz DER DRACHE, in der Lanzelot als Westernheld der Frage nachgeht, ob ein Einzelner oder das Kollektiv besser in der Lage ist, sich gegen das Böse zur Wehr zu setzen.
Form oder Inhalt, die stärksten kulturellen Einflüsse kamen nach Fiebach zumindest für die Intellektuellen bis in die Sechzigerjahre ohnehin nicht aus den USA, sondern, ähnlich wie in der BRD, aus Italien und dem Frankreich des Existentialismus. Und auch Utz Riese spricht in seinem Bericht über »die Schicksale US-amerikanischer Literatur in der DDR« von einer Dominanz »der zeitgenössischen französischen Philosophie« - fügt dann aber sofort hinzu: »Die offizielle Kulturpolitik der DDR ... half den älteren Bildungsbürgern durch ihre aus dem kalten Krieg erwachsenden Borniertheiten dabei, den ererbten Antiamerikanismus abzulegen« (Riese). Neben Musik und Film bzw. Fernsehen nimmt für Riese dabei die literarische Beat-Bewegung der Zeit um 1970 eine besondere Stellung ein, vermittelt zunächst über die westdeutschen Verwandten und dann über hauseigene Texte wie Plenzdorfs Werther-Stück oder Kunerts Amerikabild, die der kapitalistischen Großmacht USA die »emanzipatorischen Potentiale« (Riese) eines »anderen« Amerikas gegenüberstellen. Als dann im Laufe der Achtzigerjahre die Protestliteratur der Beat-Generation bzw. ihrer Vorgänger wie J. D. Salinger mit seinem Erfolgsroman DER FÄNGER IM ROGGEN (s. den Beitrag von Anna-Christina Giovanopoulos) zunehmend durch die Postmoderne abgelöst wird, kommen - immer nach Riese - die den sterbenden DDR-Staat erschütternden Ideen freilich längst nicht mehr aus den USA oder aus Frankreich, sondern aus den östlichen Nachbarländern.
JEANS, ROCK UND VIETNAM kann, wie anfangs angedeutet, nicht mehr bieten als erste Versuche, sich der Präsenz der USKultur in der DDR zuzuwenden. Kultur- und Literaturwissenschaftler, Musikologen, Theater- und Filmfachleute, Anhänger der hohen Kultur wie der popular culture mögen die hier vorgelegten Vorschläge korrigieren und weiterdenken, damit in nicht zu ferner Zukunft eine umfassende Einführung in die Einflüsse der amerikanischen Kultur auf SBZ, DDR und die neuen Bundesländer im Kontext der Systemkonfrontation zwischen 0st und West bzw. paralleler Erfahrungen in den sozialistischen Bruderländern der DDR geschrieben werden kann. In dieser kleinen Kulturgeschichte der Amerikanisierung von Ostdeutschland müsste dann unter anderem der Frage nachgegangen werden, ob der auf dem Umschlag des vorliegenden Buches abgebildete Handschlag zwischen Micky Mouse und der SED ungezwungener verlief als einst die Verbindung von Sozialdemokraten und Kommunisten. Die auf die frühe sowjetische Kultur zurückgreifende konstruktivistische Faust zumindest erinnert an eine lang zurückliegende Zeit, in der die kapitalistischen und sozialistischen Utopien von einer neuen, besseren Welt in vielen Aspekten noch recht nahe zusammenlagen.
Alexander Stephan
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VORWORTvon David Bathrick | Seite 7 |
I. Amerika, der andere Planet | |
Günter Kunert und Yaak Karsunke im Gespräch | Seite 17 |
IN WEITER FERNE, SO NAHGünter Kunerts Amerikabildervon David Bathrick | Seite 43 |
II. Zwischen Rock und Mu-Fu-Ti: Die USA im Alltag der DDR | |
ROCK 'N' ROLL IM STADTPARKVon einer unerlaubten Vision in den Grenzen des Erlaubtenvon Peter Wicke | Seite 61 |
VON DER HAIFISCHFLOSSE ZUM HERINGSSCHWANZUnvergleichliches Design vergleichenvon Rita Böttcher | Seite 81 |
III. Western und Jeans: Die USA in Film und Fernsehen der DDR | |
GDR-TV MEETS USAvon Peter Hoff und Wolfgang Mühl-Benninghaus | Seite 107 |
BLAUHEMD UND BLUEJEANS IN FILMEN DER DEFAvon Karen Ruoff Kramer | Seite 129 |
IV. Individualismus und Protest: Die USA in Theater und Literatur der DDR | |
JEANS UND WESTERN IN OSTBERLINER THEATERTEMPELNvon Joachim Fiebach | Seite 155 |
STERNZEICHENSchicksale US-amerikanischer Literatur in der DDRvon Utz Riese | Seite 165 |
AMERIKANISCHE LITERATUR UND VERLAGSPOLITIKvon Anna-Christina Giovanopoulos | Seite 177 |
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