Lebendige Erinnerung - Xiqu
Zeitgenössische Entwicklungen im chinesischen Musiktheater
Herausgegeben von Tian Mansha und Johannes Odenthal
Broschur mit 200 Seiten, Format: 230 x 270 mm
ISBN 978-3-934344-67-9, Originalpreis: € 18,00
Dieses Buch ist leider vergriffen
Das chinesische Musiktheater, xiqu, gehört zu den ältesten noch lebenden Theaterkulturen der Welt. Neben der im Westen zumeist bekannten Peking-Oper existieren nahezu dreihundert weitere Lokalopernstile, die bis in die Gegenwart überliefert sind. Dabei vereint diese äußerst komplexe Theaterform Gesang und Performance, Musik und Maske, Bühne und Kostüm in einer einzigartigen Kombination.
Das Buch konzentriert sich auf die Beschreibung der großen klassischen Stile und deren Moderne sowie aktuelle Entwicklungen. Erstmals werden die jüngsten ästhetischen Positionen und insbesondere der Umgang der Künstler mit dem historischen Erbe von führenden chinesischen Theaterwissenschaftlern, Kritikern und Theatermachern vorgestellt. Ein Fotoessay von Dirk Bleicker, der nach China reiste, um die Arbeit der Künstler zu dokumentieren, komplettiert den Band.
LEBENDIGE ERINNERUNG
Editorische Notiz zum Gesamtprojekt
Johannes Odenthal
Lebendige Erinnerung, der Titel dieser Publikation, spielt darauf an, dass das Gedächtnis einer Kultur nicht nur in materiellen Denkmälern, in Architektur, Bildender Kunst und Schriften überliefert wird, sondern auch in Gesten und Bewegungen, in Körper- und Theatertechniken. Lebendige Erinnerung bedeutet, dass es für eine Kultur essenzielle Formen und Inhalte gibt, die im Wesentlichen von Körper zu Körper, von Darsteller zu Darsteller vermittelt werden. Lebendige Erinnerung bedeutet aber auch, dass diese Formen trotz der Überlieferung nicht statisch sind, dass sie sich in jeder neuen Generation mit gesellschaftlicher Aktualität aufladen und verändern. Das Thema des kulturellen Gedächtnisses betrifft folglich nicht allein die Frage nach Überlieferung, sondern vor allem danach, wie mit der jeweiligen Tradition umgegangen wird. Ebenso wie in Deutschland oder Europa ist das kulturelle Gedächtnis auch in China mehrfach gebrochen. Es existiert nicht die eine lineare Entwicklung einer Moderne. Die eigenen Traditionen überlagern und verschichten sich mit den europäischen Kolonialansprüchen, mit der Besatzung durch Japan, mit kommunistischer Revolution, Kulturrevolution und wirtschaftlicher Öffnung. Kulturelles Gedächtnis bedeutet insofern die Reflexion auf diese komplexe kulturelle Geschichte zwischen Tradition und Revolution, zwischen Identität und Trauma, zwischen Widerstand und der Entwicklung neuer Sprachen.
Wie kaum eine andere Kunstform steht das chinesische Musiktheater im Zentrum dieser Fragen zur kulturellen Identität. Dabei haben wir in Europa mehr oder weniger die Augen verschlossen vor einer dynamischen Erneuerung der Musiktheatertraditionen Chinas im 20. Jahrhundert. Verbirgt sich doch hinter dem westlichen Begriff der Chinesischen Oper ein unvorstellbarer Reichtum nicht nur an Traditionen, sondern auch deren Erneuerung, eine ganze moderne Theaterbewegung, die hunderte von herausragenden Ensembles und Stars hervorgebracht hat.
Mit dem Projekt China - Zwischen Vergangenheit und Zukunft im Haus der Kulturen der Welt wird diese chinesische Moderne erstmals umfassend in Europa reflektiert durch Auftragsproduktionen, Diskussionen, Workshops und die hier vorliegende Publikation. Entstanden ist dieser Band durch die langfristige Zusammenarbeit zwischen dem Haus der Kulturen der Welt und Künstlern in China. Eine Schlüsselrolle kommt hier Danny Yung zu, der mit dem Festival of Vision - Hongkong in Berlin im Jahre 2000 den Grundstein für viele Kooperationen legte, vor allem aber immer ein Vermittler, ein Übersetzer zwischen Tradition und zeitgenössischer Kunst gewesen ist. Er führte auch so herausragende Künstler wie Tian Mansha, Wu Hsing-Kuo oder Ke Jun zusammen und reflektierte mit ihnen erstmals eine Chinesische Moderne.
Dieser Band konzentriert sich auf die Beschreibung der großen klassischen Formen und deren Erneuerung. Erschlossen wird eine Innenperspektive auf den Kosmos der modernen chinesischen Theatertradition des xiqu. Auch wenn die wichtigsten Stile des chinesischen Musiktheaters Ausgangspunkt vieler Beiträge bleiben, so stehen doch immer auch die individuellen Künstler im Mittelpunkt der Beschreibungen. Herausragende Autoren konnten insbesondere aus der chinesischen Theaterwissenschaft für diesen Band gewonnen werden, der sich an den deutschen ebenso wie den chinesischen Leser wendet. Eine chinesische Ausgabe des Bandes ist in Planung. Während in Deutschland zunächst eine so gut wie unbekannte Theaterentwicklung vorgestellt wird, kann in China ein neuer Blick auf die eigene Tradition erschlossen werden.
Von zentraler Bedeutung für die Realisierung des Projekts sind die verschiedenen Aspekte des Übersetzens. Übersetzen bedeutet eben nicht nur die Übertragung von einer Sprache in eine andere, sondern auch das Schaffen von Kontexten des Verstehens ebenso wie das Bestehenlassen von Differenzen. Bereits die konkreten Übertragungen aus dem Chinesischen stellten höchste Ansprüche an das Übersetzer- und Redaktionsteam unter der Leitung von Frau Fessen-Henjes. Vor allem musste es gelingen, die sehr detaillierten Darstellungen chinesischer Theatergeschichte einem westlichen Leser zu erschließen. In der Bildsprache dieses Bandes übernimmt deswegen das Fotomaterial von Dirk Bleicker eine wichtige Funktion der Vermittlung. Es dokumentiert den Produktionsprozess der neuen Werke und erschließt zugleich einen Einblick in die fantastische Konstruktion der chinesischen Theaterwirklichkeit. Sie war es, die die westliche Avantgarde der zwanziger und dreißiger Jahre in ihren Bann zog.
Mein besonderer Dank gilt Hans-Georg Knopp, der diesen Band initiierte, und Tian Mansha, die in unermüdlicher Arbeit die Autoren für diesen Band zusammengeführt hat. Die Übersetzer arbeiteten in enger Abstimmung mit einer sehr engagierten Redaktion um Caroline Rehberg und Alice Grünfelder sowie dem Team von Theater der Zeit mit Harald Müller, Julia Niehaus, Lutz Stirl und der Layouterin Sibyll Wahrig, die diesen editorischen Meilenstein zwischen China und Deutschland für die zukünftige Diskussion der Theatermoderne entscheidend mitgetragen haben.
Wohnhäuser in Shanghai.
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Kapitel | Seite |
Zum Geleitvon Hans-Georg Knopp | Seite 7 |
LEBENDIGE ERINNERUNGEditorische Notiz zum Gesamtprojektvon Johannes Odenthal | Seite 10 |
Fotoessay Ke Junvon Tian Jianjing | Seite 12 |
KÖRPER – PERFORMANCE – XIQUEin Gespräch zwischen Johannes Odenthal und Tian Manshavon Johannes Odenthal und Tian Mansha | Seite 20 |
KONVENTION UND EXPERIMENTNotizen über die traditionelle Kunst unter Laborbedingungenvon Danny Yung | Seite 32 |
DAS TRADITIONELLE CHINESISCHE MUSIKTHEATERGeschichte, Besonderheiten und gegenwärtige Bedingungenvon Rong Guangrun | Seite 38 |
IM WESTEN DEN OSTEN NEU ENTDECKENDie Peking-Oper zwischen Reformwillen und historischer Bürdevon An Zhiqiang | Seite 52 |
Fotoessay Wu Hsing-Kuo | Seite 60 |
DAS VOLLKOMMENSTE DARSTELLUNGSSYSTEMDie elegant-höfische Kun-Opervon Li Xiao | Seite 68 |
DOMÄNE DER FRAUENAnmut und Realismus der Yue-Opervon Gao Yilong | Seite 76 |
HELFEN, SCHLAGEN, SINGENAufführungspraxis und Reformmodelle der Sichuan-Opervon Xu Fen | Seite 86 |
IM REICH DES ERSTEN KAISERSDie volkstümliche Qin-Opervon Tian Jianjing | Seite 94 |
Fotoessay Tian Mansha | Seite 100 |
DER LETZTE KLANG DER SÜDLICHEN MELODIEWie die Liyuan-Oper in der Gegenwart überlebtvon Ye Xiaomei | Seite 108 |
SEHNSUCHT NACH DEM LAND IM SÜDENDie Kanton-Oper und die Auslandchinesenvon Xie Haitao | Seite 113 |
DIE WEITE DER ZENTRALEBENEÜber die Wandlungsfähigkeit der Henan-Opervon Tan Jingbo | Seite 120 |
AUF DER GRENZE VON NORD- UND SÜDCHINALokalkolorit und Formbarkeit der Huangmei-Opervon Xiao Geng | Seite 124 |
Fotoessay Zhao Zhigang | Seite 130 |
DIE AMBIVALENTE MODERNEDie Modellopern der Kulturrevolutionvon Wang Renyuan | Seite 138 |
TRANSFER UND ORIGINALITÄTDie Peking-Oper in Taiwanvon Wang Anqi | Seite 148 |
SHAKESPEARE BUNT GESCHMINKTDie chinesische Shakespeare-Werkstattvon Alexander C. Y. Huang | Seite 156 |
DER GUTE MENSCH VON SEZUAN KEHRT ZURÜCKBrecht in Chinavon Yu Jun | Seite 166 |
Fotoessay Li Xiaofeng | Seite 172 |
EIN ANDERES THEATER (ER-)FINDENZur Geschichte der Rezeption des chinesischen Theaters in Europavon Erika Fischer-Lichte | Seite 180 |
Anhang | Seite 191 |
Karte | Seite 192 |
Zeittafel | Seite 193 |
Weiterführende Literatur | Seite 193 |
Glossar | Seite 194 |
Zum Herausgeber
Johannes Odenthal
Weitere Beiträge von Johannes Odenthal
TANZ ALS PFLICHTFACH
Hortensia Völckers, Künstlerische Leiterin der Kulturstiftung des Bundes, im Gespräch
Von der Schwierigkeit, nationale Denkmäler in Berlin zu errichten
Ein Beitrag zur aktuellen kulturellen Situation in Deutschland
Splitter
Heiner Müller zum Genre Tanz
Getanzter Raum
Konflikte des modernen Tanztheaters
Den Körper schreiben
Wegsein und Dasein in den Zeichnungen von Jan Fabre
Bibliographie
Beiträge von Johannes Odenthal finden Sie in folgenden Publikationen:
Heft 01/2023
Bühne & Film
Superstar aus Neustrelitz
Heft 09/2021
Es ist ein Kreuz
Ein Schwerpunkt zur Bundestagswahl mit Luna Ali, Annekatrin Klepsch und Aladin El-Mafaalani
Heft 06/2021
Das große Kegeln
Zur Machtdebatte am Theater
Jeden Monat die wichtigsten Themen bei Theater der Zeit
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