Lektionen 7
Theater der Dinge
Puppen-, Figuren- und Objekttheater
Herausgegeben von Markus Joss und Jörg Lehmann
Taschenbuch mit 354 Seiten, Format: 135 x 205 mm
ISBN 978-3-95749-069-8, Mit zahlreichen Abbildungen, auch als eBook
- Basiswissen
- Unentbehrlich für Studium und Beruf
„Lektionen 7 Theater der Dinge“ gibt einen umfassenden Überblick über die Ausbildung für das Puppen-, Figuren- und Objekttheater. In einer historischen Einführung wird gezeigt, wie in der Geschichte des Theaters vom Ritual bis in die Gegenwart das „Ding auf der Bühne“ zum Protagonisten wurde. Im zweiten Teil werden die Grundlagen der Ausbildung beschrieben – vom Animieren, Sprechen, Spielen, Bauen und Führen bis hin zum Netzwerken für einen gelingenden Einstieg in den Beruf. Ein Serviceteil mit den Ausbildungsstätten für das Puppen-, Figuren- und Objekttheater schließt den Band ab.
Ein unentbehrliches Handbuch für alle, die mehr darüber wissen wollen, wie die Dinge Theater spielen.
Das Gespräch mit Theatergängern oder -machern, die dem Puppenspiel, dem Figuren-, Objekt- oder Maskentheater, dem Schattenspiel oder Material - theater … also all den Spielarten der Darstellung, die wir hier unter dem Oberbegriff THEATER DER DINGE zu fassen suchen, verbunden sind, kommt oft geradezu unweigerlich auf Erweckungserlebnisse. Das sind erste, überraschende, oftmals ausschlaggebende Begegnungen mit dieser Form von Theaterkunst. Meist sind es Liebeserklärungen.
Eine geht so: An einem heißen Sommertag in den 1990er Jahren saß ein frisch gebackener Absolvent der Fachrichtung Literatur- und Theaterwissenschaften in einem Keller der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin und schaute kritisch-interessiert auf das Spiel eines Studierenden des Studiengangs Puppenspielkunst. Der Spieler probte an seinem Diplomstück und hatte ihn „dazugeholt“, er hätte „das doch studiert“, … außer - dem waren sie befreundet, „komm doch mal vorbei“. Da saß er also und schaute angestrengt auf den ersten Versuch einer Szene, in der begehrt wurde. Diese steckte tief in der dadaistischen Logik einer Prosageschichte von Kurt Schwitters: Amanda, „die schönste Frau des Ozeanriesen Paffnich …“, und ihr Held Nasebyll hatten sich unter einem fadenscheinigen Vorwand endlich den Blicken der Mitreisenden ent- und in die Kabine des Kapitäns zurückgezogen. Nun ging es um einen der schwierigsten Vorgänge, nicht nur im realen Leben, sondern vor allem auf der Bühne: die beginnende Liebe zweier Menschen. Amanda begehrte Nasebyll, er sie – aber keiner traute sich, den ersten Schritt zu wagen, das erlösende Wort zu sprechen. Wie oft hatte man sich bei der Bebilderung eines solchen sehr besonderen Moments schon fremdgeschämt, zu Hause auf dem Sofa, bei der Betrachtung einer Vorabendserie ebenso wie im Zuschauerraum des Stadttheaters. Der plötzlich zum Regisseur Erklärte hatte für diesen Vorgang keinen Vorschlag und versuchte, sich in einen unbestimmten Gesichtsausdruck zu retten. Trotz Kellerraum war es warm im Scheinwerferlicht. Der wiederholt suchende Blick in den Text hielt keine Rettung bereit. Die beiden Puppen warteten auf dem Spielbrett. Das Meer rauschte und die Zeit tropfte herein.
Da griff der Spieler an Amandas, so Schwitters, „schlanken Blusenhals“ (Amanda war eine Tischpuppe und hatte aus zu diesem Zeitpunkt vom plötzlichen Spielleiter noch nicht hinterfragten Gründen statt Beinen zwei Rollen), zog diesen etwas nach oben, ließ sie zu Nasebyll hinüberlugen, der immer noch so tat, als betrachte er durch das Bullauge, das eine Lupe war, das Meer: und dann fuhr Amanda auf ihren Rollen langsam, in zuerst unmerklichen, winzigen Bewegungen vor und zurück, hin und her, um dabei immer wieder (wie jetzt deutlich zu sehen war) schüchtern zu ihm zu blicken, dabei tanzend, wie ein Uhrpendel: eine poetische Unmöglichkeit. Ungeduld, Zögern, Warten, zum Sprung Ansetzen, die Angst, der Moment könne misslingen, keine Worte zu haben: Das alles war in dieser schlicht anmutenden Bewegung enthalten. „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ stand unmittelbar und in großen Lettern im Probenraum. Und dieser Zauber wurde zum Ereignis: Es quietschte, erst leise, dann unüberhörbar. Die Rollen aus Holz, das Material spielte beim Begehren mit, gaben den Rhythmus, die Atmosphäre des Vorgangs vor, die Szene war unendlich lustig, traurig, absurd, vor allem aber – beängstigend menschlich. Kein Wort war gesprochen worden, die Dinge spielten Theater.
Von diesem Moment an war der bis dato im eher akademischen Blick auf das Theater geschulte temporäre Spielleiter mit etwas ihm bisher Unbekanntem nachhaltig infiziert und blieb, nicht nur für die Dauer dieser Probe, neugierig auf seinem Stuhl sitzen, das Quietschen in der Inszenierung und eine Frage im Kopf.
Das Zustandekommen des vorliegenden Buchs ist vom anhaltenden Wunsch der Herausgeber beflügelt, den Zauber, das Überraschende des Anfangs dieser ersten Begegnungen mit dem Theater der Dinge im Nachhinein vielleicht besser lesen, verstehen zu können. Um der Frage nachzugehen: Was ist das Besondere, die Kraft, letztlich das magische Andere dieser Theaterform? Was ist es, das da von der Bühne herab in einer unerhörten Leichtigkeit, aber mit Nachdruck nach uns greift? Ist die Puppe, der Schatten, das Objekt, das Ding vielleicht so etwas wie das „mythische Element“ des Theaters?
Dieses Buch will eine Handreichung für all diejenigen sein, die sich für Spielformen des Puppen-, Figuren- und Objekttheaters interessieren. Wir fassen diese Spielarten der Darstellenden Kunst in dieser Publikation unter den Begriff Theater der Dinge und stellen dessen Spezifik und Historie, die Ausbildung und mögliche Arbeitsfelder vor. Durch Bündelung verstreuter Veröffentlichungen und durch eine Vielzahl von für diesen Band entstandenen Texten und deren Zusammenstellung wird eine Lücke im Diskurs und der Wahrnehmung dieser innovativen Spielart von zeitgenössischem Theater für Theaterschaffende, Lehrende und Lernende geschlossen.
Der 1. Teil des Buches ist der Historie gewidmet und beginnt mit einem einführenden Essay von Silvia Brendenal, in welchem die Bandbreite gewachsener Spielweisen im Theater der Dinge aufgezeigt wird. Es folgen in chronologischen Kapiteln Schlaglichter auf jene Momente der Geschichte des Gegenstandes, in denen die Puppe, das Objekt, das Ding auf der Bühne selbst zum Protagonisten, zum Impulsgeber für das jeweilige Theater wurde oder aber den Referenzpunkt für avantgardistische Entwürfe darstellte. Historische Quellen, Aufsätze und Gespräche werden zu diesen Momentaufnahmen geordnet und durch einleitende Texte der Herausgeber gerahmt.
Der 2. Teil des Bandes stellt die Ausbildung für das Puppen-, Figuren- und Objekttheater im Rahmen eines Studiums an einer Kunsthochschule vor.
Die Möglichkeit eines solchen Studiums ist in der deutschen Bildungslandschaft relativ jung. 1971/72 wurde der Studiengang Puppenspielkunst an der damaligen Staatlichen Schauspielschule, heute Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin gegründet. 1983 folgt der Studiengang Figurentheater an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart. In den ersten Beiträgen des Kapitels kommen die langjährigen Leiter der beiden Studiengänge zu Wort und wir erfahren etwas über die gesellschaftliche Situation, in der diese Gründungen stattfanden, und einiges über die sich rasch abzeichnenden differenten methodischen und ästhetischen Feldbestimmungen.
Beiden Gründungen gemeinsam ist die Zuordnung der Studiengänge zu Hochschulen der Darstellenden Kunst, Studienziel in Stuttgart wie in Berlin ist die Entwicklung der Studierenden zu Darstellenden Künstlerinnen und Künstlern. Beiden Studiengängen ist aber immer auch eine starke Affinität zur Bildenden Kunst eigen, das Potential des Theaters der Dinge entspringt u. a. aus der Verortung an genau dieser Schnittstelle. Folglich sieht sich auch die Ausbildung in dieser Form der Darstellung mit der besonderen Herausforderung konfrontiert, die Elemente und Einflüsse aus Theater und Bildender Kunst sichtbar zu machen, innerhalb des Studiums zu gewichten, sie in wechselseitiger Beeinflussung nutz- und erlebbar zu machen – das ist die Kraftquelle, aber auch eine Herausforderung an Lehrende und Lernende zugleich, mitunter bis zum methodischen und künstlerischen Spagat.
Nach diesen beiden Texten zur Geschichte der Studiengänge berichten dann gegenwärtig Lehrende beider deutscher Hochschulen in Form von Essays und Gesprächen über ihre Setzungen, Erfahrungen und Visionen in und für ihre jeweiligen Ausbildungsbereiche. Dabei wurde versucht, das Studium der Zeitgenössischen Puppenspielkunst in Berlin und des Figurentheaters in Stuttgart nicht streng nach dem jeweiligen Curriculum abzubilden, sondern einzelne Bereiche von zu erlernenden Tätigkeiten und Fertigkeiten unter Schlagworten zusammenzufassen.
Teil 3 des Buches versammelt neben den wichtigsten Daten, Bewerbungszeiten etc. der beiden deutschen Hochschulen die Adressen und Kontaktmöglichkeiten aktueller Ausbildungsstätten.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde bei Aufzählungen durchgängig die maskuline Schreibvariante verwendet.
Wir möchten uns ganz herzlich bei unserer Lektorin Nicole Gronemeyer für ihre leisen, aber beharrlichen Hinweise und bei Silvia Brendenal für freundschaftliche Beratung, Ansporn und elementare Unterstützung bedanken.
Markus Joss und Jörg Lehmann
Berlin, Juli 2016
Kapitel | Seite |
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Kapitel | Seite |
Theater der Dingevon Markus Joss und Jörg Lehmann | Seite 9 |
Die Puppe, die Figur – Das DingEin Blick in Vergangenheit und Gegenwart des Puppen- und Figurentheatersvon Silvia Brendenal | Seite 13 |
I. Theater Dinge – Eine Geschichte | |
Magie, Rituale, Masken – Das Theater der Dinge im antiken Griechenlandvon Jörg Lehmann | Seite 20 |
Quelle 1: Animismus, Magie und die Allmacht der Gedankenvon Sigmund Freud | Seite 25 |
Quelle 2: Die Masken der Tragödievon Richard Weihe | Seite 30 |
Quelle 3: Kultischer und nichtkultischer Gebrauch von Masken und Figurenvon Ernst-Frieder Kratochwil | Seite 36 |
Fliegende Engel und bucklige Dämonenvon Markus Joss und Florian Feisel | Seite 45 |
Quelle 4: Kasper – Spaßmacher mit MigrationshintergrundBemerkungen zur Geschichte einer verkannten Figur, die eigentlich keine istvon Anke Meyer | Seite 53 |
Quelle 5: Puppentheater im Mittelalter – Neue Sichtweisenvon Kamil Kopania | Seite 62 |
Quelle 6: Rekonstruktion der tramezzo-Bühnevon Abraham von Souzdal | Seite 69 |
Die Menschen werden mechanischvon Markus Joss | Seite 73 |
Quelle 7: Das Theater als neue Weltvon Florian Nelle | Seite 78 |
Quelle 8: Das große Buch des menschlichen Körpers – Zur Sozialgeschichte der Anatomie 1500 – 1800von Robert Jütte | Seite 84 |
Quelle 9: Imitation des Lebens – was die Schildkröte uns lehrtvon Wenzel Mracek | Seite 88 |
Literarisierung und Entzauberung: Und in Leipzig wird eine (keine) Puppe verbranntvon Jörg Lehmann | Seite 94 |
Quelle 10: Der unzeitgemäße Narrvon Enno Podehl | Seite 101 |
Quell 11: Die europäische Aufklärungvon Gotthard Feustel | Seite 111 |
Quelle 12: Johann Georg Geisselbrecht – Ein verkanntes Puppenspiel-Genie der Goethe-Zeitvon Lars Rebehn | Seite 120 |
Gott oder Gliedermann. Die Puppe tanzt – und wird zur Metaphervon Jörg Lehmann | Seite 128 |
Quelle 13: Über das Marionettentheatervon Heinrich von Kleist | Seite 133 |
Quelle 14: Kleist: Über das Metamorphosen-Theatervon Lars Rebehn | Seite 138 |
Sehnsucht nach dem Gesamtkunstwerk – und der Zweifel an der Sprachevon Jörg Lehmann | Seite 142 |
Quelle 15: Androidentheater(Ein paar Überlegungen I: Das Theater)von Maurice Maeterlinck | Seite 152 |
Quelle 16: Über Schauspieler und Sängervon Richard Wagner | Seite 157 |
Quelle 17: Aus einem Brief an Paul Brann, undat. [zwischen Mai und Juli 1906]von Richard Teschner | Seite 160 |
Neue Körper auf die Bühne – Das Theater der historischen Avantgardenvon Markus Joss | Seite 162 |
Quelle 18: Der Fall Jarryvon Guido Hiß | Seite 169 |
Quelle 19: Der Schauspieler und die Über-Marionettevon Edward Gordon Craig | Seite 174 |
Quelle 20: Mensch und Kunstfigurvon Oskar Schlemmer | Seite 179 |
Quelle 21: Das Wachsfigurenkabinett. Abendmahlvon Oskar Panizza | Seite 187 |
Gegenwart I – Das Material, das Ereignis, die Nahtvon Markus Joss | Seite 191 |
Quelle 22: Die Realität des niedrigsten Rangesvon Tadeusz Kantor | Seite 198 |
Quelle 23: Körper-Störung. Mediale Thesen zum Puppentheatervon Meike Wagner | Seite 201 |
Quelle 24: Wir werden euch verzaubern – Versprengte Thesen, warum wir die Zukunft sindvon Tim Sandweg | Seite 206 |
Gegenwart II – Die Literatur, die Puppe, das Zeigenvon Jörg Lehmann | Seite 213 |
Quelle 25: Telefonat zwischen K.H. und M.H. – Aufgezeichnet am 4.9.1988, 23.10 Uhrvon Knut Hirche und Marlies Hirche | Seite 223 |
Quelle 26: Im Theater der Dingevon Holger Teschke | Seite 229 |
II. Grundlagen der Ausbildung | |
Methoden: Der lange Weg zur AusbildungPuppenspielkunst unter den Bedingungen der sowjetischen Besatzungszone und der entstehenden DDRvon Hartmut Lorenz | Seite 236 |
Methoden: Den Widerspruch zwischen Lehre und Kreation aushaltenvon Werner Knoedgen | Seite 245 |
Methoden: Wissen, Reflektieren und die Befähigung, die richtigen Fragen zu stellenvon Jörg Lehmann | Seite 250 |
Animieren: Das Spiel mit Objektenvon Melanie Sowa | Seite 256 |
Methoden: Raus aus der MitteWie das Verschieben des Schwerpunktes Platz für fremde Körper schafftvon Florian Feisel | Seite 264 |
Methoden: Digitale Objkektevon Friedrich Kirschner | Seite 283 |
Sprechen und Spielen: Sprechen und Stimme im Theater der Dingevon Ulrike Völger | Seite 289 |
Sprechen und Spielen: Improvisationvon Hans-Jochen Menzel | Seite 295 |
Sprechen und Spielen: Maske – zeigen durch verdeckenvon Astrid Griesbach | Seite 301 |
Sprechen und Spielen: Den Zufall provozierenArbeitsweisen, Praktiken und Ansätze im Fach Animationvon Julika Mayer | Seite 308 |
Bauen und Führen: Ein Werkstattgesprächvon Karin Tiefensee und Ingo Mewes | Seite 315 |
Bauen und Führen: MarionettenbauDie Hände, die die Marionette bauen, und diejenigen, die sie spielen, sind die gleichenvon Michael Mordo | Seite 324 |
Bauen und Führen: PuppenführungstechnikDie Fähigkeit, Puppen zu führenvon Regina Menzel | Seite 328 |
Netzwerken: Klappern gehört zur KunstKulturmanagement für Puppenspielervon Susanna Poldauf | Seite 333 |
III. Ausbildungsstätten | Seite 342 |
Hochschulen im deutschsprachigen und internationalen Raum |
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