für einen fonds ästhetik und nachhaltigkeit | FÄN

raus aus den echokammern – aufruf zur kompliz:innenschaft!

von und

FÄN Skizze in Progress Stand 23|05|21

Swaantje Güntzel • Prof. Dr. Sonja Beeck • Prof. Olafur Eliasson • Bernadette La Hengst • Tobias Rausch • Lena Reisner • Jan-Philipp Possmann • Rebecca Raue • †Prof. Dr. Rudolf zur Lippe • Amelie Deuflhard • Dr. Christine Fuchs • Davide Brocchi • Nicola Bramkamp • Andreas Rost • Heike Catherina Mertens • Prof. Florian Schneider Prof. Dr. Elisabeth Schweeger • Hans Winkler • Anne Schneider • Franziska Pierwoss • Prof. Christin Lahr Andreas Liebmann • Prof. Antje Majewski • Till Ansgar Baumhauer • Natalie Driemeyer • Sybille Neumeyer Gabriele Horn • Thomas A. Geisler • Miro Zahra • Daniel Schüßler • Dr. Kat Austen • Jürgen K. Enninger Matthias Flügge • Pauline Doutreluingne | Anne Duk Hee Jordan • Prof. Folke Köbberling • Prof. Dr. Klaus Töpfer • Prof. Dr. Patrizia Nanz • Prof. Dr. Reinhard Loske • Prof. Dr. Gesine Schwan • Adolf Kloke-Lesch • Prof. Dr. Dirk Messner • Prof. Dr. Peter Adolphi • Prof. Dr. Maja Göpel • Prof. Dr. Reinhold Leinfelder • Prof. Dr. Uta von Winterfeld • Prof. Dr Dr. Barbara Adam • Andrea Wulf • Dr. Nana Karlstetter • Prof. Dr. Uwe Schneidewind Barbara Unmüßig • Carolin Hochleichter • Prof. Dr. Rolf Sachsse • Dr. Sarah Maria Schönbauer • Kain Karawahn Dr. Sven Bergmann • Prof. Dr. Anna Katharina Hornidge • Benjamin Förster-Baldenius • Prof. Dr. Antje Boetius Dr. Thomas Flierl • Sasha Waltz • Jochen Sandig • Prof. Friedrich von Borries • Dr. Juliane Zellner • Jonas Zipf Dr. Thomas Oberender • Dr. Gabriele Knapstein • Thomas Krüger • Dipl.Ing. Matthias Schmuderer • Fabian Larsson • Rimini Protokoll • David Brandstätter • Dr. Tobias Knoblich • Nele Hertling • Christian Tschirner Prof.Dr. Harald Heinrichs • Wagner Cavalho • Christine von Weizsäcker • Prof. Dr. Harald Welzer • Ralph Zeger Kathrin Becker • Florian Malzacher• Dr. Birte Werner • Prof. Dr. Jürgen Renn • Marcus Lobbes • Kerstin Lenhart Tino Sehgal • Cesy Leonard • Thomas Locher • Dr. Inke Arns • Dr. Marion Müller• Milo Rau • Dr. Anke Strauß Prof. Dr. Eugen Blume • Annette Maechtel • Prof. Dr. Rahel Jaeggi • Prof. Dr. Silja Klepp • Agnes Meyer-Brandis Charles Landry • Dr. Christian Rauch • Wilhelm Krull• Prof. Dr. Christina v. Braun • Antje Pfundtner | Anne Kersting • Dr. Katharina Beyerl • Prof. Detlev Ganten• Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel • Prof. Dr. Gesa Ziemer to be continued…

Das Nachdenken über die Veränderung unserer Lebensgrundlagen durch die dramatische Erwärmung des Klimas kann nicht folgenlos bleiben – umso weniger, als sich die multiple Krisendynamik durch Corona gerade dramatisch zuspitzt. Wir haben keine Zeit mehr für ein bloßes Neben- statt Miteinander von Wissen und Handeln. Wir haben keine Zeit mehr, die Frage, ob die Kunst die ökologische Krise in ihre Realität mit aufnimmt, lediglich zu stellen. Es ist Zeit, dass wir sie beantworten – durch neue Formen des künstlerisch-wissenschaftlichen Eingreifens und Kooperierens.

Zu einer ökologisch zukunftsfähigen Kulturproduktion, -präsentation und -distribution gehört auch, die heutige Projekt-Förderpraxis nachhaltig zu verändern, denn deren herkömmliche Produkt- und Outputorientierung verursacht neben unökologischen Produktionsweisen auch die Verschleuderung künstlerischer Energien und finanzieller Mittel. Viele Fördereinrichtungen schließen explizit Wiederaufnahmen von Projekten aus, funktionieren nach dem “Recht auf die erste Nacht”, also nach der Fiktion, mit jedem Antrag etwas ganz Neues, Zeitgenössisches, nie Dagewesenes präsentiert zu bekommen. Auf diese Weise bleibt von umfassenden, zeitaufwändigen künstlerischen Vorhaben nach kürzester Präsentationsdauer meist nur deren Dokumentation übrig. Danach muss für das finanzielle Überleben sofort ein neuer Antrag erfunden werden. Das heißt: auf Verschleiß fahren, die Kräfte in Selbstumkreisung gebunden. Dies kennt man aus der kapitalistischen Überproduktion mit ihrer Wegwerf- und Verschleißlogik. So können die jeweiligen künstlerischen Erprobungen nur sehr begrenzt gesellschaftliche Wirkkraft entfalten. Diese aber brauchen wir gerade dringend.

Wir brauchen eine Praxis der Wiederaufführungen, Rekontextualisierungen, langlebigeren Formate, die indirekt auch dazu beitragen würde, die ‘freien’ Künstler:innen nicht qua hochgezüchtetem Wettbewerbsklima am Existenzminimum zu halten. Wir brauchen die Möglichkeit zu kontinuierlicherem, interdisziplinärem Forschen und Handeln, über die Grenzen unserer bisherigen künstlerischen Kontexte und Räume hinaus, wir brauchen für die umfassende Transformation unserer nicht-nachhaltigen Lebensweise das künstlerische, das wissenschaftliche und das soziale Bewegungswissen. Dafür müssen wir sowohl das Silo der Kunst |Kultur als auch das der Wissenschaft verlassen, die unverbunden neben den andern Ressort-Silos stehen, und kulturpolitisch größer denken.

Das erfordert andere Fördergefäße und -Strukturen. Gegenwärtig erlauben weder die großen öffentlichen Stiftungen, wie Kulturstiftung des Bundes und Deutsche Bundesstiftung Umwelt, noch die meisten privaten Stiftungen eine systematisch interdisziplinäre, Denkformen übergreifende Ausrichtung. Nirgends werden die kreativen, Wege bahnenden und Räume öffnenden Impulse von Kunst und Wissenschaft in einem gleichberechtigten Forschen verknüpft. Nirgends stehen deren Fähigkeiten und besonderen Mittel, die existenzielle sozialökologische Transformationsnotwendigkeit unserer Gesellschaft mit voranzutreiben, in einem gemeinsamen Fokus.

Die Gesellschaft, die Nachhaltigkeit gestalten will, kommt nicht ohne die Künste und Wissenschaften aus. Von ihnen ist das Denken in Übergängen, Provisorien, Modellen und Projekten zu lernen; beide Sphären teilen auch die Lust daran, sich mit Bekanntem nicht zu begnügen und den Widerspruch zu suchen. Eine Kultur, die beide integriert, kann sehr allgemein einen individuellen Veränderungswillen meinen, der sich mit anderen verbindet, um neue Fragen, Lösungen, Wege zu erproben, zu verknüpfen und zu verwerfen. Es geht um Bewahren, Vergegenwärtigen, um die bewusste Gestaltung des Lebens, um die aktive Beschäftigung des Menschen mit seiner eigenen und mit der ihn umgebenden Natur.

Ein Fonds Ästhetik und Nachhaltigkeit | FÄN

Ästhetik meint, Wahrnehmung und Erkenntnis durch sinnlich-leibliche Erfahrung zu erweitern. Es geht um die Stärkung der Vorstellungskraft, um das Unterstützen des Spekulativen, um das Erzeugen von Analogien, um “unsystematische Offenheit” für ein “Geflecht von Ganzheitsvorstellungen”, als die der erweiterte Kunstbegriff von Beuys lesbar ist, oder mit Alexander von Humboldt, “wer die Natur nicht liebt, kann sie nicht erforschen”.

Der FÄN soll einen weiteren Möglichkeitsraum eröffnen und den künstlerischen Aktionsradius erweitern. Entfaltung für diejenigen, die Freiheit nicht als die Freiheit von jeder Art Nutzen, Nützlichkeit und gesellschaftlicher Resonanz verstehen, sondern die Freiheit suchen, sich in die riesige gesellschaftliche Aufgabe der Transformation einzumischen, zu kooperieren und dafür Zeit zu haben.

Der FÄN muss andere Zeiträume als die ad-hoc-Projekte gewähren, um das Experimentieren so integrieren zu können, dass jede einzelne Disziplin nicht weniger, sondern mehr ist, als jede einzelne Disziplin allein leisten kann. Wie können Kunst und Wissenschaft im Sinne künstlerischen Forschens so verknüpft werden, dass sie ihre eigenen Maßstäbe nicht verlieren, sondern neue errichten? Und wie kann die Bewegung des Zweifelns, Fragens, Experimentierens in öffentliche Räume so hineinwirken, dass sie sich mit dem, was Zivilgesellschaft an Veränderungen versucht und betreibt, zu neuen Modellen verbindet?

Der FÄN will

_ die bloße Segmentförderung und entsprechende Versäulung des Wissens überwinden;

_ einen Möglichkeitsraum herstellen für das Zusammenwirken zwischen dem Bewegungswissen von Nachhaltigkeits-Initiativen und wissenschaftlichen wie künstlerischen Ansätzen;

_ Zeit ermöglichen für ein gemeinsames projektbezogenes multidisziplinäres Forschen;

Projekte ermutigen

_ in denen sich unterschiedliche Formen des Wissens begegnen

_ die überregional-nationale, bestenfalls sogar internationale Ausstrahlung haben

_ die innerhalb der Kunst und/oder der Wissenschaft innovativ wirken

_ die thematisch und strukturell auf Nachhaltigkeit angelegt sind, indem sie modellhaft über sich selbst hinausweisen

_ die eine holistische Perspektive auf sozialökologische Problemlagen ermöglichen, indem sie den Kontext des jeweiligen ‘Problems’ erweitern und somit das Bestehende ‘reframen’

_ die ko-kreativ angelegt sind mit dem Potenzial, Denk- und Handlungssilos zu sprengen

_ die allgemeine Problembeschreibungen in existenzielle transformieren und umgekehrt

_ die die Beteiligten dazu anstiften, ihre künstlerische und wissenschaftliche Praxis zu überdenken, auch die Art des jeweiligen Forschens.

Seit Langem ist das Bedürfnis vieler Künstler:innen unübersehbar, in Kooperation mit den Nachhaltigkeitswissenschaften an den großen Fragen der Nachhaltigkeit zu forschen. Und das Bedürfnis wächst. Weltweit verhandeln Ausstellungen, Filme, Biennalen, Theaterstücke explizit Aspekte des Öko-Desasters. Aber dem erhöhten Interesse entsprechen weiterhin keine verlässlichen Formate. Vielmehr verhindern gegenwärtige Förderkriterien politischer Programme und Stiftungen Deutschlands die ästhetische Dimension nachhaltigen Denkens, Lebens und Wirtschaftens.

Wir brauchen andere, nachhaltigere, übergreifende Finanzierungsformen, um das Potenzial von Kunst und Kultur auszuschöpfen, die Gesellschaft mit neuen Ideen voranzubringen. Denn die jeweiligen Akteur:innen treffen sich wegen der vollkommen unterschiedlichen Zeithorizonte ihres jeweiligen Tuns praktisch nie als gleichberechtigt Forschende. “Die Wissenschaft im Zeitalter ihrer Refinanzierbarkeit” (Uta von Winterfeld) und die Universitäten mit ihren steigenden Drittmittelanteilen und beschleunigten Studiengängen geben dafür weder Raum noch Horizont.

Forschungsstipendien in der Kunst sind rar, schlecht finanziert und meist limitiert auf drei Monate (Corona-Zeit: sechs Monate); in der Wissenschaft ist dies die Mindestzeit, um die Fragestellung für ein dreijähriges Forschungsvorhaben zu formulieren. Kunst, Wissenschaft und Bewegungswissen treffen sich so wegen ihrer unterschiedlichen Zeithorizonte praktisch nie als gleichberechtigt Forschende.

Genau diese empfindliche Lücke will der FÄN helfen zu schließen, um gemeinsam ins Handeln zu kommen, denn in der Nachhaltigkeits- und Umweltpolitik stehen wir doch vor allem vor der Frage, warum so wenig individuelles und kollektives Handeln aus all den Erkenntnissen folgt?

Von sozialwissenschaftlicher Seite her lässt sich die Annahme treffen, dass beim Einbeziehen der Künste in das Forschen die leiblich-existenzielle Dimension der jeweiligen Forschungsfrage eine größere Rolle spielen wird. Handlung(-salternativen) und Handelnde in der untersuchten sozialen Welt würden darstellbarer, fasslicher; Handeln an sich damit wahrscheinlicher. Daher sollte der FÄN durch die Anbindung an ein transformativ, gesellschaftsberatend ausgerichtetes Institut mit Problemstellungen an Schnittstellen von Wissenschaft und Politik rückgekoppelt werden.

Der FÄN wird deshalb idealerweise nicht allein aus dem Kulturressort finanziert, sondern anteilig aus Umwelt, Kultur und Wissenschaft und Forschung.

Künstlerische Praxis nach Corona

Die Pandemie verändert bereits jetzt künstlerische Praktiken und Formate, genauso wie Finanzierungsnotwendigkeiten und Existenzen. Dies wird sich fortsetzen. Künstler:innen und die Künste werden dabei aller gesellschaftlichen Legitimität und Sichtbarkeit bedürfen. Dazu kann der FÄN beitragen, indem er wissenschaftliches, künstlerisches und Bewegungswissen zusammenbringt, damit sie sich gegenseitig verstärken und in die Breite der Gesellschaft hineinwirken.

Wir brauchen ein Mit-, nicht Nebeneinander der unterschiedlichen Wissensformen. Und eine offene Debatte darüber, ob sich ein Hochpreisland wie das unsere, das bekanntlich arm an Bodenschätzen und reich nur an der Ressource Kreativität ist, es sich leisten kann, bei der Jahrhundertaufgabe der Nachhaltigkeit auf das Können und Vermögen der Künstler:innen zu verzichten bzw. sie überwiegend am oder unter dem Existenzminimum zu halten.

1 https://www.fonds-aesthetik-und-nachhaltigkeit.de https://www.iass-potsdam.de/de/blog/2021/05/einmischenermoeglichen-kultur-und-nachhaltigkeit-verbinden

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