Keine Tabus?

Christoph Schroth inszeniert Faust I und II am Schweriner Staatstheater 1979

von

3.9 Rezeption

Die Schweriner Aufführung wird zur Legende. Schon nach einem halben Jahr haben sie über 10 000 Zuschauer gesehen. „Das Theaterereignis in der DDR“, so titelt eine westdeutsche Zeitung.999 1983, nach fünfzig Aufführungen und 25 000 Zuschauern1000 wird die Aufführung zu Ostern im DFF übertragen. Im Vorspann einer Wiederholung, die zur Nachwendezeit im ZDF ausgestrahlt wird, resümiert Wolf-Dieter Lingk: „So was von Begeisterung bei Zuschauern hatten wir bis dahin noch nie erlebt.“ Schwerin sei „mit dieser Faust-Aufführung […] ein Mekka“1001 des ostdeutschen Theaters geworden. Das ist keine Übertreibung. Mit 111 Vorstellungen läuft die Aufführung zehn Jahre lang, bis im Jahr 1989 die Zuschauerzahl auf 60 000 steigt. Durch die Umstrukturierungen der politischen Wende wird die Inszenierung dann abgesetzt. Nicht nur bei Zuschauern, auch bei Kritikern erfreut sich die Aufführung zu DDR-Zeiten von Beginn an großer Beliebtheit. Kritische Gegenstimmen kommen zwar in Form einiger skeptischer Leserbriefe und von den Mitgliedern der Goethe-Gesellschaft Weimar1002, können jedoch die größtenteils äußerst positiven Reaktionen auch der staatlichen Medien nicht aufwiegen. Es scheint fast so, als hätten viele auf diesen Befreiungsschlag gewartet. Von einer „künstlerische[n] Leistung ersten Ranges“, einer „theatralische[n] Gesamtschau von ungeheurer Willenskraft“ und vor allem einem „Höhepunkt unserer sozialistischen Klassikerinterpretation“1003 wird in einer Schweriner Tageszeitung euphorisch gesprochen. Der uns mittlerweile gut bekannte Faust-Kenner und Kritiker Georg Menchén aus Weimar, eine wichtige Stimme, wenn es um Faust auf den DDR-Bühnen geht, zeigt sich begeistert darüber, dass die Aufführung „beim jugendlichen Publikum geradezu sensationell“ ankommt. Wenn er auch durch kurzweiliges Volkstheaterkonzept die philosophische Ausrichtung des Stücks gefährdet sieht, so räumt er in seiner ausführlichen Besprechung die Frische der Schweriner Arbeit ein. „Abgegriffene Sentenzen“ bekämen plötzlich „einen neuen Klang“.1004 Auch der einflussreiche Christoph Funke zeigt sich hochzufrieden.1005 Und sogar die offizielle Parteizeitung der SED, das Neue Deutschland, titelt: „Gelungenes Wagnis“.1006 Mit dieser Schlagzeile wird das Unternehmen Faust in Schwerin wohl am besten zusammengefasst. Auch im Westen findet die Aufführung Respekt. Die FAZ spricht von der „Bühnen-Sensation in der DDR“, in der „das Burleske und Parodistische über das Metaphysische triumphiert“. Man erkenne den „theatralische[n] Protest gegen Pathos, tradierte Rezeption“.1007 1986 gastiert die Produktion in Saarbrücken, worüber das Neue Deutschland stolz berichtet: „In Anwesenheit des saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine und des Leiters der ständigen Vertretung der DDR in der BRD, Botschafter Ewald Moldt, feierte das Publikum in minutenlangen Ovationen und mit Bravorufen die überzeugende Ensembleleistung“.1008

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