Heft 05/2002
Schwerpunkt Italien
Theater in schwieriger Zeit
Broschur mit 80 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
BETREFF PODEWIL UND BERLINER KULTURPOLITIK: Die Entscheidung für die Budgetkürzungen und damit Streichung des Podewil ist schon einigermassen gespenstisch für mich, da gerade diejenigen Künstler, die zurzeit formal und inhaltlich wesentliche Neuerungen zum Theater beitragen und damit im Moment auch eine grössere Öffentlichkeit erreichen, ihre Projekte hier zuerst, oder in Berlin zuerst hier, realisieren konnten: Stefan Pucher, Gob Squad, Meg Stuart, Gesine Danckwart, viele, die im Moment mit mir zusammen im Prater der Volksbühne arbeiten etc. Die Einsparungsmassnahme erscheint irgendwie überangepasst und wirkt wie eine nachträgliche Verhinderung von künstlerischen Positionen, die sich gerade durchzusetzen beginnen, nach meiner Meinung politisch wichtiger sind als die der Kulturbewahrer, wie sie so aber nur in Zusammenarbeit mit dem Podewil entstehen konnten. Mit der Schliessung des Podewil hätten sich die traditionellen, entpolitisierten, Theater nicht infrage stellenden, Künstlerpositionen durchgesetzt, und die, die nach anderen Gründen suchen, warum es wichtig se in könnte, Theater zu machen, und nach soziologischen und politischen Erklärungen der Kunst suchen, werden weiterhin marginal isiert. Kann das wirklich der Ernst sein des Berliner Kultursenators?
Wer dauernd behauptet "Theater muss sein ", kommt ungeschoren davon, und alle, die da doch nochmal fragen dürfen, nach seinem Sinn abseits vom Unterhaltungs- oder Unterweisungsbedarf des Bildungsbürgertums, werden einfach ausradiert? Konsequent wäre es für eine Politik, wie sie der Entschluss des Kultursenators zu signalisieren scheint, auch die Volksbühne oder wenigstens den Prater zu schliessen! Was jetzt mal mein Vorschlag wäre! Das Podewil ist ein wichtiger Teil meiner Biographie, und ehrlich gesagt, habe ich das ganz körperliche Gefühl, zusammen mit dem Podewil geschlossen worden zu sein oder mich selbst streichen zu müssen. Was mir natürlich mit der Schliessung von mindestens drei Opernhäusern nicht so gegangen wäre, das hätte mich eher ermutigt. Der Prater profitiert im Moment ganz entschieden von der Arbeit der Macherinnen des Podewil. Und ich frage mich, in welcher anderen Institution in den nächsten Jahren spannende Gegenentwürfe zum Stadttheater mit genügend Selbstbewusstsein ausgestattet werden können, um überhaupt vorzukommen oder was zu bewegen oder zumindest um "reich und berühmt" zu werden.
Rene Pollesch
Sozialistisch denken, kapitalistisch handeln? Noch von der amerikanischen Westküste erreichten die Redaktion erstaunt besorgte Anfragen zum "Podewil". Was, dieses Haus wird wirklich geschlossen? Leitung und Personal hatten indes den Eingangsbereich bereits mit prominenten Protestadressen regelrecht tapeziert. Neben der vom Berliner Senat vorgesehenen Mittelkürzung wiegt die geplante Umfunktionierung des Gebäudes zum Sitz des Museumspädagogischen Dienstes besonders schwer - auch wenn der Kulturveranstalter "Podewil" als solcher erhalten bleiben soll. Aber der Produktionsort, diese Werkstatt für Künstler unterschiedlichster Sparten und eben auch Theaterkünstler, wäre unwiederbringlich dahin. Heidi Hoh, Polleschs hier geprobte Selbstausbeutungsvirtuosin, soll kein Aufenthaltsrecht mehr haben.
Während beim Berliner Theatertreffen Stefan Puchers, Meg Stuarts und Rene Polleschs Arbeiten gewürdigt und gefeiert werden, wird auch "reich & berühmt" noch einmal im großen Saal an der Klosterstraße über die Bühne gehen - und der diesmal so wie noch nie greifbare Zusammenhang zwischen beiden Veranstaltungen im gleichen Moment kulturpolitisch verworfen. Der selbst für Berliner Verhältnisse noch neue Kultursenator Thomas Flierl, der die so genannte Leuchtturmpolitik seiner Vorgänger auf eine breitere Basis zu stellen beabsichtigte, hat dem Sparsenat das Gegenteil von dem angeboten, wofür er eigentlich stehen wollte. Die hehre Formel "Kein Theater schließen" mit dem Opfer des "Podewil" mehr oder weniger durchgebracht und dabei die Klientel, die möglicherweise seine Partei mit linksliberalem Herzen so weit nach vorn gewählt hat, verprellt. In der Rückschau sieht die Preisgabe des einst schönen Hofgartens (TdZ 10/01 ) nun wie der erste Schritt einer "Podewil"-Totalvernichtung aus, mit mehr als unguten Zeichen auf Kommendes. Man möchte mit Pollesch rufen: Schließt doch auch die Schulen und Universitäten und überhaupt alles, was bloß Geld kostet und sich nicht sofort mit Distinktionsgewinn konsumieren lässt. Wir sind zu arm zuni Sparen, lautete Flierls flottester Satz, noch vor den hilflosen Rudermanövern. Man kann sich auch in echte Armut sparen, wenig Geld an der fa lschen Stelle wegnehmen - damit noch mehr dort erwartet wird, wo es sich sicher noch ein Weilchen gutgehen lässt. Mit Distinktionsgewinn.
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