Heft 06/2002
Argentinien
Theater im Moment der Krise
Broschur mit 84 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Die Wahl der Qual: Knapp vier Monate vor der Bundestagswahl hat sich die politische Landkarte Europas markant verändert. Auf Österreich und Italien folgten Frankreich und Holland mit Wahlergebnissen, die Sozialisten und Sozialdemokraten ins Abseits drängen. Linke Reformprojekte, sofern es denn sich überhaupt um solche handelt, werden Land um Land abgewählt oder marginalisiert. Ob Protest aus Enttäuschung oder tatsächliche Abkehr vom Glauben an einen sozial und demokratisch gezügelten Kapitalismus, die eigentliche Mehrheit hat sich längst ihren Reim auf den Gestaltungswillen der Politik gemacht - als Nichtwähler. An diesen vermeintlich Desinteressierten, die aber meist aus Überzeugung keiner Partei ihre Stimme geben wollen, werden auch Schröder und Stoiber nicht vorbeikommen. Zwei Lager stehen sich also gegenüber - die Skeptischen und die Integrierten, Wähler, die keine Alternative mehr sehen, und solche, die in "Schroiber", wie der Humor der Straße die Lage erkannt hat, den Fortbestand ihrer höchst fragilen Lebensangelegenheiten erhoffen. Dabei hatten Schröder, Fischer und Co. vier lange Jahre Zeit, nach Kohl das Ruder herumzureißen. Ihre Bilanz ist kläglich, gemessen werden wollten sie ja an dem, wofür sie antraten.
Und der sich da als die andere Richtung anpreist, steht gleichfalls für das turbodarwinistische Spiel der Freiheit, die nur wenigen angenehm um die Nase weht. Dass ein solcher Satz sich sofort dem Verdacht des Rechtspopulismus ausgesetzt sieht, ist eines der wenigen greifbaren Ergebnisse dieser vier Jahre. Jedoch selbst der über jeden Verdacht erhabene einstige Mitstreiter Daniel Cohn-Bendit hat in einem wenig beachteten Zeitungsinterview Ähnliches formuliert: " ... die Wähler glauben, die Linke habe kein Herz. Sie empfinden es als schreiende Ungerechtigkeit, dass von dem unermesslichen Reichtum nur wenige profitieren - im nationalen wie internationalen Kontext. Die Linke hat darauf keine Antwort gefunden. Und sie schafft es auch nicht, auf die Unsicherheit einzugehen, die durch die Globalisierung ausgelöst wird."
In Argentinien hat die immer wieder als notwendige Modernisierung gepriesene Globalisierung ein ganzes Land ruiniert. Es handelt sich nichtum eine Bananenrepublik, die da in die Hände von Abenteurern fiel, sondern um einen weltwirtschaftlich relevanten Staat mit großer Bevölkerung - und einer blühenden Theaterszene, deren Situation in unserem Schwerpunkt (S. 10 - 19) behandelt wird. Dazu der Abdruck des Stücks "(Un)beflaggte Körper" von Beatriz Catani, präsentiert auf dem Festival "Theater der Welt" (Ende Juni in vier Städten Nordrhein-Westfalens). Auf Frankreich nach der Wahl blickt Barbara Engelhardt aus der Perspektive des Elsass in ihrer Reportage "Eine Woche in Straßburg" (S. 28). Außerdem berichtet Daniel Schreiber aus New York (S. 34), wo er auch mit Richard Maxwell sprach, dessen neueste Produktion "Drummer Wanted" bei den "Theaterformen" (im Juni in Braunschweig und Hannover) gezeigt wird.
In Berlin wird der Senatshaushalt verabschiedet. Erst dann wird sich endgültig beurteilen lassen, ob das "Podewil" in seiner bekannten Form bestehen bleibt (siehe TdZ 5/02). Dass inzwischen auch die renommierten Hochschulen "Ernst Busch" (Schauspiel und Regie) und "Hanns Eisler" (Musik und Musiktheaterregie) für die finalen Streichlisten im Gespräch sind, macht noch einmal deutlich, dass der Zusammenhang zwischen Säen und Ernten nach den massiven Protesten gegen die Schließung des "Podewil" von der Politik offenbar insgesamt noch nicht richtig erkannt wurde. Ja doch, das ist ein anderes Ressort, nicht Kultur. Aber wo würde dieser Zusammenhang nicht deutlicher - auch wenn die Generation Golf, diese Rokoko-Ästhetizisten der spätindustriellen Gesellschaft, wie Friedrich Dieckmann sie in seinem Essay (S. 6) charakterisiert, immer noch schweigt und genießt?
Die Redaktion
Uta Atzpodien
Bodo Blitz
Jörg Buddenberg
Otto Paul Burkhardt
Beatriz Catani
Friedrich Dieckmann
Roland Dippel
Anja Dürrschmidt
Barbara Engelhardt
Silvia Fehrmann
Almuth Fricke
Werner Hecht
Nele Hertling
Stefan Hilpold
Thomas Irmer
Elfriede Jelinek
Andreas Klaeui
Martin Linzer
Dea Loher
Richard Maxwell
Nikolaus Merck
Nikolaus Müller-Schöll
Christian Peiseler
Nina Peters
Johanna Renger
Christina Schmidt
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