Heft 09/2006
Thüringer Kahlschlag
Gespräch mit Kultusminister Jens Goebel
Broschur mit 104 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Einfühlungen Einfühlung begibt sich immer in die gefährliche Nähe des gedanklichen Stillstands. Wer sich einfühlt, will sich wohlfühlen im Anderen, dessen Haut er sich probeweise anlegt, um sich mit einem angenehmen Schauder die fremde Empfindung zu borgen. Wer sich einfühlt, entschuldigt alles, denn er (oder sie) wird zu einem emotionalen Verständnis verführt. Einfühlen kann zu einer Sucht werden - in den gegenwärtigen Debatten wird Einfühlung zu einer fast manischen Strategie: „Wenn ich Günter Grass wäre, hätte ich ..." Analytisches Vokabular hat es bei solcher Beweisführung schwer, die Arbeit des Begriffs wird durch das „Rühren im Deliriensud" (wie es Josef Bierbichler in seiner TdZ-Kolumne umschreibt) ersetzt. Der Mann der Stunde ist - Dirk Pilz bringt es in seinem Text „Grass etc." auf den Punkt - Johannes B. Kerner mit seinem ewigen Mantra: „Wie fühlen Sie sich jetzt?"
Einer, der den Kampf gegen die bürgerliche Einfühlungsästhetik sich auf die Fahne und auf diverse ans Publikum gerichtete Transparente geschrieben hatte, war Bertolt Brecht, dessen 50. Todestag wir im August begingen. Doch die Deutschen - so scheinen es die Umfragen zumindest zu belegen - können mit Brecht nicht mehr allzu viel anfangen; und es verwundert auch nicht, dass sich das Argument, Brecht sei vor allem ein Lyriker gewesen, großer Beliebtheit erfreut. Die Brecht'sche Art des theatralischen Denkens (nicht Fühlens) ist nicht mehr populär, und seine „unartigen Schüler" (so Hans-Jürgen Syberberg im TdZ-Gespräch) Heiner Müller und Einar Schleef sind auch schon Geschichte. Dramatiker, die Brecht ins Heute weitertreiben könnten, sind rar; eine, die es vielleicht kann, ist Dea Loher, die in diesem Jahr prompt den Augsburger Brecht-Preis erhielt. TdZ dokumentiert in dieser Ausgabe sowohl die Dankrede der Autorin als auch Uwe Wittstocks Laudatio.
Einfühlung macht jedoch zu allerletzt vor den Dramatikern halt: Ein breites Publikum verlangt, dass der Theaterregisseur sich gefälligst in die genauen Intentionen des Autors einzufühlen habe. In seinem klugen und weit ausgreifenden Essay „Drama und Theater", den TdZ in diesem Monat abdruckt, nimmt Ivan Nagel die Regisseure und das Theater gegen solche Forderungen in Schutz. Und zudem bürdet Nagel dem Publikum auch noch gedankliche Arbeit auf, wenn er etwa schreibt: „Selbst Hamlet wird erst durch unsere Vermutungsarbeit im Zuschauerraum, die er erzwingt, groß und wirklich." Hier werden die Grenzen der Einfühlung aufgezeigt; an ihre Stelle treten gedankliches Spiel und Konstruktion.
Das September-Heft von TdZ enthält wie gewohnt ein umfangreiches Auslands-Insert, das diesmal in den Fernen Osten schaut: „Rückkopplungen - Japanisches Theater auf dem Weg in die Moderne". Als Herausgeber für dieses Insert konnte Hans-Thies Lehmann gewonnen werden, dem an dieser Stelle für seinen Einsatz aufs Herzlichste gedankt sei.
Eine anregende Lektüre wünscht
die Redaktion
Artikel | Seite |
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Artikel | Seite |
Editorial | Seite 3 |
Einfühlungen | |
Aktuelle Debatte | Seite 4 |
Grass etc.Deutschland hat eine moralische Instanz verlorenvon Dirk Pilz | |
Kahlschlag in Thüringen | |
Thüringer Schlachtsuppe oder Theater und MathematikDas Land Thüringen kürzt seine Zuschüsse für Theater und Orchester | Seite 7 |
„Die Auslastungszahl der thüringischen Theater ist unterdurchschnittlich“Jens Goebel, Thüringer Kultusminister, über Geld und den Vorteil von Gastspielhäusernvon Nina Peters | Seite 10 |
Gespräch | Seite 13 |
„Brechts Inszenierungen waren damals ein richtiger Hammer“Hans-Jürgen Syberberg über die unartigen Schüler Brechtsvon Nina Peters und Frank M. Raddatz | |
Schwerpunkt Festivals | |
Leuchttürme der Post-AvantgardeDas 10. KunstenFESTIVALdesArts in Brüssel zeigte Marthaler, Platel und Kondek und verabschiedete seine Gründerin Frie Leysenvon Wolfgang Behrens | Seite 19 |
Zukunftsweisender TheatertransferDas Eurokaz-Festival feierte sein 20jähriges Bestehen und vernetzte Zagrebs Theaterszene mit der Weltvon Stefan Grund | Seite 24 |
Europas Dramatiker zu Gast bei FreundenManfred Beilharz zweite Theaterbiennale in Wiesbaden präsentierte neue Stücke aus 22 europäischen Ländernvon Shirin Sojitrawalla | Seite 27 |
Gedicht auf eine GurkeDie Bonner Biennale bot einen weit gefassten Überblick über die Vielfalt des Theaters auf dem indischen Subkontinent und zerstörte alte Vorurteilevon Hans-Christoph Zimmermann | Seite 31 |
Das Zimmer und die ZeitLuc Bondy führte mit Jon Fosses „Schlaf“ das Schauspielprogramm der Wiener Festwochen anvon Margarete Affenzeller | Seite 34 |
Ermüdungen und VersöhnlichkeitenDie Wiener Festwochen setzten in ihrem Musikprogramm auf eine Mischung aus erprobten Werken Mozartsvon Ljubisa Tosic | Seite 35 |
Groß und KleinEin Stelldichein der französischen Tanzszene mit integrationistischem Schwerpunkt in Montpelliervon Franz Anton Cramer | Seite 38 |
Essay | Seite 41 |
Drama und Theatervon Ivan Nagel | |
Bertolt-Brecht-Preis | |
Rede zur Verleihung des Bertolt-Brecht-Preisesvon Dea Lohr | Seite 49 |
Von der Mikrophysik der MachtDie Geschichts-Dramatikerin ihrer Generation: Laudatio auf Dea Lohervon Uwe Wittstock | Seite 53 |
Insert | Seite 54 |
Rückkopplungen – Japanisches Theater auf dem Weg in die ModerneHerausgegeben von Hans-Thies Lehmann, Helene Varopoulou und Eiichiro Hirata | |
Kolumne | Seite 73 |
Lebende und Denkendevon Josef Bierbichler | |
Stück | |
LebensrettungsphantasienGerhild Steinbuch im Gesprächvon Hans-Christoph Zimmermann | Seite 74 |
Gebackene Torte, geglückter TagRoger Vontobel inszeniert am Schauspiel Essen Gerhild Steinbuchs „schlafengehn“von Hans-Christoph Zimmermann | Seite 75 |
„schlafengehn“von Gerhild Steinbuch | Seite 75 |
Magazin | |
Theater ist kein AmüsierbetriebDas Künstlerkollektiv LISA präsentierte sich in den Berliner Sophiensaelenvon Christine Wahl | Seite 88 |
Melancholisch fitDas Festival Radikal jung 2006 im Volkstheater Münchenvon Willibald Spatz | Seite 90 |
NachrufSie wollte nicht nur Brecht - Nachruf auf Eleonore Zetzschevon Hartmut Krug | Seite 91 |
NachrufEiner der bedeutendsten Regisseure der arabischen Welt - Zum Tod von Awni Karoumi | Seite 92 |
BücherPeter von Matt: Die Intrigevon Lutz Stirl | Seite 92 |
BücherAdrienne Goehler: verflüssigungen. Wege und Umwege vom Sozialstaat zur Kulturgesellschaftvon Nina Peters | Seite 93 |
Bücher/CDsPeter Hacks nach Aristophanes: Der Friedenvon Wolfgang Behrens | Seite 95 |
Meldungen | Seite 100 |
Premierenkalender | Seite 101 |
September 2006 | |
Impressum | Seite 103 |
Vorschau | Seite 104 |
Heft 10 / 2006 | |
Kommentar | Seite 105 |
Irgendwie Brechtvon Dirk Pilz |
Margarete Affenzeller
Wolfgang Behrens
Josef Bierbichler
Franz Anton Cramer
Stefan Grund
Hartmut Krug
Dea Lohr
Ivan Nagel
Nina Peters
Dirk Pilz
Frank M. Raddatz
Shirin Sojitrawalla
Willibald Spatz
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Lutz Stirl
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Christine Wahl
Uwe Wittstock
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