Heft 10/2007
Besuch aus der Zukunft
Jonathan Meese und Martin Wuttke
Broschur mit 116 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Mit dem 90-jährigen Kurt Hübner trat im August nicht nur der einflussreichste und wirksamste deutsche Intendant von der Bühne des Lebens ab, sondern mit seinem Tod neigt sich auch eine Ära ihrem Ende zu, die das deutsche Theaterleben bis heute prägt. Wir gedenken seiner Verdienste. Womöglich hätte es ihn erfreut, dass Widerstand in diesem verregneten Sommer zum Zauberwort der Stunde aufzurücken vermochte. Die neue Skyline der Theaterlandschaft, die unsere Redakteurin Dorte Lena Eilers im letzten Heft unter dem Titel „Jetzt kämpfen sie wieder" anhand der Spielpläne deduzierte, beginnt allenthalben in der Wirklichkeit des Theaterlebens Gestalt anzunehmen. Die Antenne trog nicht. Da rührt sich was im deutschen Stadttheaterwald. Walter Benjamin hat in seinen Thesen zum Begriff der Geschichte auf eine Eigentümlichkeit jeder Jetztzeit hingewiesen: Unbewusst richtet sich die Magnetnadel der Gegenwart an einer korrespondierenden Epoche im historischen Jenseits aus. Dabei lässt sich ein Umspringen der geschichtlichen Vorzeichen von Athen auf Rom in den Tiefenstrukturen ebenso registrieren wie die Feinjustierung auf der zeitnahen Oberfläche. Und da halten unübersehbar die 70er-Jahre Einzug auf die bedeutungsvollen Bretter. Irgendetwas muss sich nach einer langen Phase des Stillstands und der Utopielosigkeit im tektonischen Untergrund verschoben haben. Oder wie kann man es sich sonst erklären, dass das Deutsche Theater ausgerechnet jetzt Heiner Müllers totgesagte „Hamletmaschine" aus dem Jahr 1977 auf die Bühne bringt? Eine Inszenierung, deren seismografischem Charakter unser Redakteur Rudolf Mast nachspürt. Ihre Auseinandersetzung mit dem 1975 verstorbenen Rolf Dieter Brinkmann nehmen Martin Wuttke und Jonathan Meese zum Anlass für lustvolle Erkundungen der Verschüttungen und Verwerfungen der deutschen Theaterlandschaft. „Als bekommst du Besuch aus der Zukunft", charakterisierte Frank Raddatz seine Gesprächserfahrung, die von monströsen Kindergeburtstagen über Kasperles Rückkehr zu einem Planeten führt, auf dem 300 Millionen Künstler nach den Sternen greifen. Auf das Feuerwerk folgt die Ankündigung einer Supernova am südlichen Theaterhimmel. Mit einer seltenen Kraftleistung konfrontiert das Staatstheater Stuttgart unter dem Titel „Endstation Stammheim" sein Publikum mit dreißig Jahren Deutscher Herbst.
Schier endlos die Liste von Aufführungen und Beteiligten, die gewonnen werden konnten, sich der Geschichte des deutschen Terrorismus zu stellen. Eröffnen wird diese Bewusstseinsoffensive eine von René Pollesch verantwortete Uraufführung „Liebe ist kälter als das Kapital". Sebastian Kirsch führt mit einem kurzen Text in die Serie von Interviews mit Hans-Werner Krösinger, Volker Lösch, René Pollesch, Rimini Protokoll, Andres Veiel und Intendant wie Regisseur Hasko Weber ins vielschichtige und multiperspektivische Stuttgarter Mammutprojekt ein. Als die wichtigste Eigenschaft des Künstlers in unserer Zeit stuft Martin Wuttke die Fähigkeit ein, an den eigenen Impulsen dranzubleiben. In diesem Sinne werden auch wir in den nächsten Ausgaben weiter berichten, was sich im Stuttgarter Olympiadorf tut oder getan hat.
Doch eines zeigt sich schon jetzt: In der Ära der Globalisierung muss den regionalen Bezügen und Wurzeln immer größere Bedeutung eingeräumt werden. So besinnt man sich in Frankfurt am Main mit einer Festwoche auf das Wahrzeichen Goethe und setzt sich das Haus der Kulturen der Welt in Berlin unter neuer Leitung mit seinen amerikanischen Gründungsvätern auseinander, indem es sich der theatralischen Potenz New Yorks widmet. Bei so viel Rückbesinnung wird den Gegenwartsautoren ganz schwummerig.
Ließ sich vor einigen Jahren für die Gage eines Stückauftrags noch ein veritabler Mittelklassewagen ergattern, reicht sie jetzt kaum noch für ein Technobike. Anja Dürrschmidt und Dorte Lena Eilers diskutieren mit Dramatikern des Hier und Heute die generelle Unterversorgung, mangelnde Kommunikation zwischen Theater und Autoren, Mutlosigkeit und den jüngsten Spritmangel beim Anmixen ästhetischer Molotowcocktails. Mag die Welt auch weiterhin im „Gleichschritt der Verwesung" (Müller in „Hamletmaschine") ihre Runden drehen, rotiert sie doch, wie in diesem Heft nachzulesen ist, allemal etwas interessanter.
Die Redaktion
Artikel | Seite |
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Artikel | Seite |
Gespräch | Seite 4 |
Das Theater kennt sich nichtJonathan Meese und Martin Wuttke im Gesprächvon Frank M. Raddatz | |
Aktuelle Inszenierung | |
Der Preis der VerwandlungGosch und Gotscheff zum Saisonstart am Deutschen Theater Berlinvon Rudolf Mast | Seite 12 |
Die Liebe, ein RingkampfDrei Klassiker und eine Uraufführung zum Spielzeitstart am Schauspiel Frankfurt/Mainvon Esther Boldt | Seite 15 |
Zeitgeschichte | Seite 18 |
Endstation StammheimGespräche mit H. Haug, D. Wetzel, H.-W. Kroesinger, A. Veiel, V. Lösch, H. Weber und R. Polleschvon Nicole Gronemeyer, Sebastian Kirsch und Frank M. Raddatz | |
Autoren am Theater | |
Mehr als das fünfte Rad am TheaterkarrenRolf Kemnitzer, Andreas Sauter und Katharina Schlender im Gesprächvon Anja Dürrschmidt und Dorte Lena Eilers | Seite 24 |
„Die beste Idee der letzten zehn Jahre“Das Festival „Spieltriebe“ in Osnabrückvon Wolfgang Behrens | Seite 29 |
Tanz | Seite 32 |
Echos eines SkandalsYvonne Rainers und Xavier Le Roys Choreografien von „Le Sacre du Printemps“von Constanze Klementz | |
Bühnenmusik | Seite 35 |
Draufhauen oder auch ganz zart seinDer Musiker Malte Preuß im Gesprächvon Bodo Blitz | |
Performance | Seite 37 |
Bitte nicht lächelnnomadic new york – eine Performancereihe im Haus der Kulturen der Weltvon Sabine Shouten | |
Nachruf | Seite 40 |
Die besten Jahre sind dahin …Erinnerungen an Kurt Hübnervon Rudolf Mast | |
Insert | Seite 49 |
Dynamolandumfasst 32 Seiten | |
Auftritt | |
Hans Werner Henzes „Phaedra“ an der Staatsoper uraufgeführtBerlinvon Dorte Lena Eilers | Seite 51 |
Uraufführung von Kai Hensels „Der Feind bist du“Oberhausenvon Hans-Christoph Zimmermann | Seite 52 |
Leipzig:„Mutterland“ von Maria Wojtyszko am LofftLeipzigvon Christian Horn | Seite 53 |
Roberto Cuilli inszeniert Lenz'„Hofmeister“Mülheimvon Sebastian Kirsch | Seite 54 |
„HermannSchlachten_07“ nach Kleist in der WagenhalleStuttgartvon Otto Paul Burkhardt | Seite 55 |
Neue Stücke und Autoren beim Edinburgh Festival FringeEdingburghvon Lena Schneider | Seite 56 |
Kolumne | Seite 61 |
Ausländer rein!von Martin Linzer | |
Magazin | |
Rumhängen 1Das Dortmunder Festival off limits forscht tanzend nach den Formen des Müßiggangsvon Hans-Christoph Zimmermann | Seite 70 |
Der dünne Film der ModerneKarin Neuhäusers "Orestie" gastiert in Epidaurusvon Frank M. Raddatz | Seite 72 |
BücherVeit Sprenger: Despoten auf der Bühne. Die Inszenierung von Macht und ihre Abstürzevon Alexander Karschnia | Seite 73 |
aufgelesenvon Sebastian Kirsch | Seite 73 |
BücherElfriede Jelinek/Christine Lecerf: L'Entretienvon Barbara Engelhardt | Seite 74 |
CDRaymond Queneau: Zazie in der Metro: Mit Ulrich Matthesvon Anna Häusler | Seite 74 |
etc.Der Umbau geht weitervon Sebastian Kirsch | Seite 75 |
Meldungen | Seite 76 |
Premierenkalender | Seite 78 |
Oktober 2007 | |
Impressum | Seite 79 |
Kommentar | Seite 80 |
Zum Tod des usbekischen Regisseurs Mark Weil von Stefan Schmidtke | |
Vorschau | Seite 80 |
November 2007 |
Wolfgang Behrens
Bodo Blitz
Esther Boldt
Otto Paul Burkhardt
Anja Dürrschmidt
Dorte Lena Eilers
Barbara Engelhardt
Nicole Gronemeyer
Anna Häusler
Christian Horn
Alexander Karschnia
Sebastian Kirsch
Constanze Klementz
Martin Linzer
Rudolf Mast
Frank M. Raddatz
Lena Schneider
Sabine Shouten
Hans-Christoph Zimmermann
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