Heft 10/2009
Ich verstehe Gott nicht
Der Regisseur Lars von Trier
Broschur mit 88 Seiten, Format: 215 x 280 mm
ISSN 0040-5418
Der Wald ist das Andere, so der hochaktuelle Stand der Wissenschaft. Gigantische tektonische Verschiebungen ließen in Afrika jene unbewaldeten Zonen entstehen, welche die Voraussetzung für die menschliche Seinsform bilden. Die dem Menschen ähnlichste Gestalt, der Schimpanse, war der geistige König der Urwälder. Erst mit der baumlosen Savanne betritt jene Spezies die Naturbühne, die heute an der Klimaschraube dreht und mit der Existenz der eigenen Gattung spielt. Dass der Wald zugleich das Böse darstellt, glaubten jene asketischen Missionare, die unter Einsatz des eigenen Lebens die Germanen bekehrten und die Axt des Fundamentalismus an die heiligen Eichen legten, um das Marterholz daraus zu schnitzen. In ihrer Spur beschwört der Nachfahre der Ordensritter Lars von Trier gegenwärtig das Feindbild Natur, während die technische Zivilisation einen Weg zwischen schwindenden Ressourcen und klimatischen Transformationen sucht. Kerstin Decker befragt den Filmemacher zu seiner neuesten cineastischen Manifestation „Antichrist", und Gunnar Decker entdeckt die Renaissance des Dämonischen auf heilsgeschichtlichem Grund.
Auf dem dionysischen Urboden in Epidaurus landete derweil das Ding. Diesmal ganz blau, signiert von Mark Lammert. Als Gegenstück zu der schwarzen Pyramide, die in Stanley Kubricks „2001 - Odyssee im Weltraum" die Menschwerdung des Affen auslöst, erscheint Hans-Thies Lehmann die Lammertsche Bühne zu Gotscheffs „Die Perser". Jedes gelungene Kunstwerk, hatte bereits Pierre Klossowski gewusst, vollzieht einen Exorzismus. An den bekennenden Dämonologen Goethe wagte sich der neue Burgtheaterintendant Matthias Hartmann und setzte mit einem Gesamt-„Faust" auf Welttheater im selbsternannten Welthauptstadttheater - ohne jedoch so recht zu überzeugen, wie unsere Wien-Korrespondentin Margarete Affenzeller berichtet.
Das eigentliche Problem, so Klossowski, besteht darin, für Dämonenbefall attraktiv zu wirken. Die Dämonen kommen beileibe nicht zu jedermann, sondern sind äußerst wählerisch. So gesehen lässt sich die unermüdliche Umgestaltungstätigkeit der neuen Atelierleiterin am Berliner Deutschen Theater, Katja Haß, auch als ein Instrument verstehen, Besucher aus beiden Welten anzulocken, wie es Gunnar Decker in seinem Porträt zeigt. Auch für Holger Bergmann, den gegenwärtigen Leiter des Ringlokschuppens in Mülheim, stellt der Raum die entscheidende Zukunftskategorie des Performativen dar. Im Gespräch mit Sebastian Kirsch erläutert er die sich eröffnenden Möglichkeiten, die ab kommender Spielzeit eine in Freies Theaterhaus Ruhr umbenannte Spielstätte dem Theater von morgen offeriert. Zukunftsfähige Konzepte vermisst dagegen Wolfgang Engler, Rektor der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch", bei den politischen Akteuren, die mehr oder minder alle glauben, sie könnten jenen Status quo wiederherstellen, der einmal Stabilität verkörperte. Die Lehre der Weltenwenden 1989 und 2008 lässt sich auf jenen einfachen Punkt zuspitzen, dass es darum geht, sich der Zukunft überhaupt zu stellen, also das Bewusstsein auf die Höhe der Zeit zu hieven.
Ganz gegenwärtig geht es dagegen in Schottland zu. Lena Schneider besucht das legendäre Fringe Festival in Edinburgh und stößt, wenn auch nicht auf Dämonen, so doch auf vibes der neuen britischen Dramatik, die sich sehen lassen kann, auch wenn sie keine Rezepte bietet, die Welt zu kurieren. Dass in Weißrussland respektive in Minsk immer noch die Uhren angehalten werden, und wie das Belarus Free Theatre, die einzige freie Theatergruppe des Landes, sich dagegen aufbäumt, berichten Erik Altorfer und Stephan Roppel. Frank Raddatz beobachtet radikale Tendenzen in Barcelona, und Dorte Lena Eilers treibt sich in Osnabrück herum, wo Intendant Holger Schultze und Dramaturg Jürgen Popig die Stadt mit einem dramaturgischen Netz von neuen Stücken aus Europa überziehen.
Theater der Zeit wartet gespannt, wo die Dämonen sich demnächst einrichten, um jene Mischung von Mut und Besessenheit anzurühren, die obsessives Theater auszeichnet.
Die Redaktion
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Künstlerinsert | Seite 2 |
Bühnenräumevon Katja Haß | |
Porträt | Seite 8 |
Räume in der ZeitDie Bühnenbildnerin Katja Haß im Porträtvon Gunnar Decker | |
Gespräch | Seite 12 |
Ich verstehe Gott nichtEin Gespräch mit dem dänischen Regisseur Lars von Triervon Lars von Trier und Kerstin Decker | |
Essay | Seite 16 |
Lauernde Bestie MenschLars von Trier blickt hinter die Kulissen unseres Zivilisiertseinsvon Gunnar Decker | |
Neustart | |
Das Fremde in unsDas Deutsche Theater Berlin eröffnet seine erste Spielzeit unter Ulrich Khuonvon Gunnar Decker | Seite 20 |
Wiener GroßbaustelleMatthias Hartmann hat seine erste Spielzeit als Intendant des Burgtheaters eröffnetvon Margarete Affenzeller | Seite 23 |
Freie Szene | Seite 26 |
Der Aufstand gegen die WirklichkeitEin Gespräch mit Holger Bergmann, dem künstlerischen Leiter des Mülheimer Ringlokschuppenvon Sebastian Kirsch und Holger Bergmann | |
Hochschulen | |
Heilige Kühe kann man melkenBologna und die Künste – wie Schweizer Hochschulen die traditionelle Schauspielausbildung umkrempelnvon Crescentia Dünßer | Seite 30 |
Bewegung entsteht im KopfDie Schweizer Ausbilderin, Institutsleiterin und Reformerin Leonie Stein im Porträtvon Crescentia Dünßer | Seite 32 |
Alte Modelle modifizierenDas 20. Treffen deutschsprachiger Schauspielstudierender in Zürich sucht nach dem neuen Schauspielertypusvon Klaus Witzeling | Seite 33 |
20 Jahre Mauerfall | Seite 34 |
Eine radikale Alternative im KapitalismusWolfgang Engler, Soziologe und Rektor der Berliner Schauspielschule „Ernst Busch“, im Gesprächvon Wolfgang Engler und Holger Teschke | |
Ausland | |
Aus einer Zone der StilleWie macht man politisches Theater in einer Diktatur? – Das Belarus Free Theatrevon Erik Altorfer und Stephan Roppel | Seite 38 |
Nicht heil, aber heilbarNeue britische Dramatik beim Fringe Festival in Edinburgh entdeckt den Optimismusvon Lena Schneider | Seite 42 |
Auftritt | |
EpidaurusBlutige Clowns: „Die Perser“ von Aischylos - Regie Dimiter Gotscheff, Bühne Mark Lammertvon Hans-Thies Lehmann | Seite 45 |
HamburgEin Toter lebendigen Leibes: Deutsches Schauspielhaus - „Baumeister Solness“ von Henrik Ibsen Regie Martin Kušej, Bühne Martin Zehetgrubervon Klaus Witzeling | Seite 46 |
HamburgAusweitung der Kunstzone - Kampnagel: Internationales Sommerfestival 2009von Klaus Witzeling | Seite 47 |
Detmold / Osnabrück / BielefeldWo die Kanonen blühn - „Die Hermannsschlacht“von Christine Adam | Seite 48 |
OsnabrückWir alle sind Vilho Lampi - Theater Osnabrück: Das Festival Spieltriebe 09von Dorte Lena Eilers | Seite 50 |
Lesarten | Seite 52 |
Ralf-Günter Krolkiewicz „mein taubentraum“Das Geheimnis der Versöhnungvon Hans-Joachim Frank | |
Kolumne | Seite 53 |
Sarah Kane aus Bitterfeldvon Thomas Thieme | |
Stück | Seite 54 |
„Meine Seele anderswo“von José Manuel Mora | |
Verlage im Porträt (4) | Seite 62 |
Die unmittelbare Berührung mit dem WortSechs Fragen an Katharina Eleonore Meyer, Leiterin des Merlin Verlags in Gifkendorf bei Lüneburgvon Anna Opel und Katharina Eleonore Meyer | |
Magazin | |
Insel im Strom der EventkulturDas Theater Junge Generation Dresden, das größte deutsche Kinderund Jugend theater, wird sechzigvon Michael Bartsch | Seite 63 |
Das widerständige ObjektDas Performancefestival In Transit 09 im Haus der Kulturen der Welt Berlinvon Sabine Schouten | Seite 64 |
Das Bolschoi von BerlinEin ungewöhnliches Theatergebäude in Berlin-Karlshorst sucht einen neuen Betreibervon Gunnar Decker | Seite 66 |
Nachruf | Seite 68 |
In memoriam Friedrich GoldmannZum Tod des Komponisten Friedrich Goldmann (1941–2009)von Friedrich Dieckmann | |
Magazin | |
69 Souvenirs am AbgrundEin Edgar Allan Poe-Abend auf der Seebühne Hiddenseevon Ralf Stabel | Seite 69 |
Ich will eine Grenze seinZum Radicals 09 Weekend im Teatre Lliure in Barcelonavon Frank M. Raddatz | Seite 70 |
Buchbesprechung | Seite 71 |
Annette Storr: Regieanweisungen – Beobachtungen zum allmählichen Verschwinden dramatischer Figuren.Parodos Verlag, Berlin 2009, 184 S., 20 EUR.von Anna Opel | |
Radiovorschau | Seite 72 |
Hingehörtvon Gerwig Epkes | |
Linzers Eck | Seite 73 |
Zum 60. Jahrestag der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik oder Warum ich mich an diesen Oktobertag nicht wirklich erinnern kannFolge 18von Martin Linzer | |
Aus den Korrespondentenbüros | Seite 74 |
Berlin: Frust in der freien Szenevon Anna Opel | |
Oldenburg: Finanzspritze fürs Staatstheatervon Alexander Schnackenburg | |
etc.von Sebastian Kirsch | |
Meldungen | Seite 75 |
Aufgelesenvon Sebastian Kirsch | |
Premierenkalender | Seite 76 |
Autoren | Seite 79 |
Impressum | Seite 79 |
Kommentar | Seite 81 |
Auschwitz oder Hollywood?von Sebastian Kirsch | |
Vorschau | Seite 81 |
November 2009 |
Christine Adam
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Holger Bergmann
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