Am 18. Februar starb Thomas Langhoff. In seinem Nachruf lässt Gunnar Decker eindrückliche Inszenierungen des Regisseurs Revue passieren und zeigt, wie wichtig dessen Sicht auf die Zeitläufe für das Verständnis des östlichen Teils Deutschlands vor und nach der Wende ist. Kleists „Der zerbrochne Krug“ zum Beispiel: „Der anreisende Revisor ist das Feindbild. Er versteht nichts vom Leben im hiesigen Dorfe, aber ist dennoch bestellt, darüber zu urteilen – mit allen administrativen Vollmachten. Er erklärt den allerdings lässig in seiner sehr speziell-hedonistischen Auslegung des Richteramts befangenen Adam (auch derartige Verstrickung ist Heimat!) zum Störfall einer auch in diesem Dorfe durchzusetzenden neuen Ordnung. Ein Evaluierer, ein Abwickler, ein in seiner vordergründigen Korrektheit ausgetrockneter Westverwaltungsbeamter.“ Dagmar Manzel, Christian Grashof und Volker Braun komplettieren das Mosaik der Erinnerung.
Thomas Langhoff steht für jenes politische Theater, das sich in dieser Weise in der globalen Welt nur schwer wiederfinden lässt. Doch an dessen Anspruch gilt es erst recht unter den veränderten Rahmenbedingungen festzuhalten: „Wenn Theater keine politische Veranstaltung ist, dann hat es schon versagt“, kommentiert Volksbühnenautor Thomas Martin, dessen Stück „Die Patriotin“, das nach dem Einsatz des Spiels um geschichtliche Weichenstellungen fragt, wir erstveröffentlichen. Nicht nur traditionelle Theatertexte, sondern auch neue Theaterformen kommen im Glücksfall „politisch zwingend“ rüber. So betont es die Jury des diesjährigen Stückemarkts, die erstmals ein nichtliterarisches Format in die Auswahl aufnimmt – „Polis3000: respondemus“ von Markus & Markus. Frank Raddatz sprach mit der Chefin des Berliner Theatertreffens Yvonne Büdenhölzer und der Leiterin des TT-Stückemarkts Christina Zintl über die Kriterien der Auswahl szenischer Entwürfe und mit dem Trio von Rimini Protokoll über die Verfahren bei der Umarbeitung von gesprochenem Text in Szenarien, die von eigens erfundenen Spielregeln determiniert werden. Erfolgsautor Lutz Hübner stellt sechs Thesen über das Schreiben für Theater daneben, mit denen sich Geschichten für die Bühne erzählen lassen. Ein Porträt der Dramatikerin Tine Rahel Völcker, die Gunnar Decker an einen verbarrikadierten Kafka erinnert, und ihrer Lust am Text – „Die beste Welt ist hin. Ich geh in mein Unkraut“ – rundet unseren Schwerpunkt über die mutierenden Modalitäten von Autorschaft ab.
Die Spur des Verhältnisses von Politik und Theater führt uns mit Beiträgen von Lena Schneider und Georg Weinand weiter nach Ungarn und in die Niederlande. Schmerzhaft ins Auge stechen dabei die Übereinstimmungen zwischen einer nationalistisch geprägten Instrumentalisierung der Kultur unter Viktor Orbán und der neoliberalen Keule, die der Niederländer Mark Rutte schwingt, um zu liquidieren, was ökonomisch nichts einbringt.
Wie es dagegen um das ästhetische Surplus der Berliner Sophiensaele unter der neuen Leitung von Franziska Werner bestellt ist, prüft Sebastian Kirsch und stößt erfreut auf die Spuren von Größen der politischen Philosophie wie Jean-Luc Nancy und Joseph Vogl. Dessen Bestseller „Das Gespenst des Kapitals“ haust bereits in Tschechows „Der Kirschgarten“, den Luk Perceval am Thalia Theater Hamburg mit Barbara Nüsse als Geste des Abschieds zur Aufführung bringt. Das Kunstinsert präsentiert Arbeiten von Annette Kurz, einer langjährigen Weggefährtin Percevals. Ute Müller-Tischler sprach mit der Bühnenbildnerin über das Authentische nach dem Triumph des Virtuellen, wie es unser Heute prägt: „Wenn ich ein Stück Holz auf die Bühne bringe, dann möchte ich nicht, dass das Holz angemalt wird oder aussieht wie ein Stück Metall, sondern das Holz soll aussehen wie Holz, und die Dinge sollen sein, was sie sind. Aber durch die Kombination oder sagen wir mal Multiplikation der Gegenstände, die dann dort sind, entsteht auch eine Art von Dichte, die diesen ganz konkreten, eigentlich banalen Gegenstand dann wieder eine Überhöhung gibt.“ Nicht das Außergewöhnliche, sondern das Normale und Gängige zum Sprechen zu bringen, bleibt weiterhin eine der vornehmsten Aufgaben des Theaters, das jenseits der Scheinriesen des Marktes und gegen deren vermeintliche Allmacht operiert – „Sterben ohne Grund ist sinnlos“ gibt Thomas Martin im April als Parole der Berliner Volksbühne aus.
Die Redaktion
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Protagonisten | |
KünstlerinsertRaumarbeitenvon Annette Kurz | Seite 4 |
Verdichtete ZeitDie Bühnenbildnerin Annette Kurz im Gesprächvon Ute Müller-Tischler und Annette Kurzzum Online-Extra: Bildergalerie und Interview Annette Kurz | Seite 8 |
Thema | |
Vom BandenbildenTheatertreffenchefin Yvonne Büdenhölzer und TT-Stückemarktleiterin Christina Zintl über neue Formen zeitgenössischer Dramatikvon Frank M. Raddatz, Yvonne Büdenhölzer und Christina Zintl | Seite 12 |
Die SpielreglerHelgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel von Rimini Protokoll über Autorschaftvon Frank M. Raddatz und Rimini Protokoll | Seite 16 |
Der GeschichtenerzählerSechs Thesen über das Schreiben für Theatervon Lutz Hübner | Seite 18 |
Die HöhlenbewohnerinIm Herzen der Sprache – Die Dramatikerin Tine Rahel Völckervon Gunnar Decker | Seite 20 |
Abschied | |
Der GespensterseherZum Tode von Thomas Langhoffvon Gunnar Decker | Seite 22 |
Mein RegisseurDagmar Manzel über Thomas Langhoffvon Dagmar Manzel | Seite 23 |
Ein Leben aus der Geschichte herausChristian Grashof über Thomas Langhoffvon Christian Grashof | Seite 25 |
„Das meiste Leben spielt sich in Gedanken ab“Notate zu „Die Übergangsgesellschaft“von Volker Braun | Seite 26 |
Protagonisten | Seite 28 |
Nicht alles muss glänzenDie unter Franziska Werner neu eröffneten Berliner Sophiensaele bleiben alten Grundsätzen treu – und setzen vermehrt auf kommunikative Zwischenräumevon Sebastian Kirschzum Online-Extra: Bildergalerie Sophiensaele | |
Ausland | |
Das beste Land der WeltWarum es im Ungarn Viktor Orbáns wenig Platz für unabhängiges Theater gibt. Eine Spurensuchevon Lena Schneiderzum Online-Extra: E-Mail Interview mit Andrea Tompa | Seite 32 |
Die Katastrophe ist daIn den Niederlanden zählt Kunst, die mehr als unterhalten will, nicht mehr selbstverständlich zur Demokratievon Georg Weinand | Seite 36 |
Aktuelle Inszenierung | Seite 38 |
Eine AuslöschungLuk Perceval inszeniert „Der Kirschgarten“ am Thalia Theater Hamburgvon Gunnar Deckerzum Online-Extra: Bildergalerie Kirschgarten | |
Look Out | |
Squaredance für John F. KennedyDie Wiener Gruppe toxic dreams ist eine der erfindungsreichsten Verarbeitungsmaschinen von Wirklichkeitvon Margarete Affenzeller | Seite 40 |
Übersetzerin des UnaussprechlichenDie Regisseurin Lydia Ziemke macht jene Erfahrungen sichtbar, die sich tief unter die Haut gegraben habenvon Patrick Wildermann | Seite 41 |
Kolumne | Seite 43 |
www.thilosarrazin.comÜber „den mutigsten Deutschen unserer Zeit“von Nis-Momme Stockmann | |
Auftritt | |
Düsseldorf: In Ribbeck, wo kein Birnbaum wächstForum Freies Theater: „Jesus ich möchte viel Glück beim Angeln“ (UA) von Anna Malunat und Ensemble. Regie Anna Malunat, Bühne Jan Katteinvon Kim Stapelfeldt | Seite 44 |
Hamburg: Arbeit an der UtopieMuseum für Völkerkunde: „Die Generalversammlung der Welt“ (UA) von Meyer & Kowski. Regie Meyer & Kowski, Ausstattung Jörg Kiefelvon Mirjam Meuser | Seite 45 |
Kassel: Lass uns zirkulieren gehenStaatstheater Kassel: „Im Sprung der toten Katze“ (UA) von Katja Hensel. Regie Nicole Oder, Ausstattung Wiebke Meiervon Tina Fibiger | Seite 46 |
Oldenburg: Fiese Morde unter EgoistenOldenburgisches Staatstheater: „Polar Bears“ (DSE) von Mark Haddon. Regie K. D. Schmidt, Bühne Thomas Drescher, Kostüme Alin Pilanvon Alexander Schnackenburg | Seite 47 |
Stuttgart: Totsein ist das LetzteStaatsschauspiel: „Don Karlos“ von Friedrich Schiller. Regie Hasko Weber; „Das Spiel ist aus“ von Jean-Paul Sartre. Regie Sebastian Baumgartenvon Otto Paul Burkhardt | Seite 48 |
Stück | |
Der Dramatiker Thomas Martin im Gespräch mit Frank Raddatzvon Frank M. Raddatz und Thomas Martin | Seite 50 |
Die PatriotinUnter Verwendung von Motiven aus Yukio Mishimas Erzählung „Patriotismus“von Thomas Martin | Seite 51 |
Magazin | |
Volkes EigentumDie Schaubühne Lindenfels in Leipzig macht als Aktiengesellschaft Theatervon Christian Horn | Seite 61 |
Mit Bassflöte und SägebockDie jungeMET zeigt jungen Zuschauern in Fürth und Nürnberg Musiktheater als zeitgenössische Kunstformvon Rainer Hertwig | Seite 62 |
kirschs kontexteKeine Baumbücher mehr, kein Dosenmüll!von Sebastian Kirsch | Seite 63 |
Ein perfektes Lebenskunstwerk?José Enrique Maciàn, Sue Jane Stoker, Jörn Weisbrodt (Hg.): The Watermill Center – A Laboratory for Performance. Robert Wilson’s Legacy. Daco-Verlag, Stuttgart 2012, 358 S., 78 EUR.von Ute Müller-Tischler | Seite 64 |
Geschichtete GeschichteLutz Dammbeck: Kunst & Macht. Arte Edition/ absolut Medien 2011, ca. 600 Min. auf fünf DVDs, 69,90 EUR.von Sebastian Kirsch | Seite 65 |
In eigener Sache | Seite 66 |
Linzers Eck | Seite 67 |
Aus der TränenproduktionÜber glücklose Kirschgärtnerei im Berliner Raumvon Martin Linzer | |
Aktuell | Seite 68 |
Aus den KorrespondentenbürosBremerhaven: Kapellmeister in Mexiko entführtvon Alexander Schnackenburg | |
Aus den KorrespondentenbürosStuttgart: Das Theater bleibt vorerst eine Baustellevon Otto Paul Burkhardt | |
Kommentar | Seite 69 |
Schleef als RentnerFrank Raddatz über das Erbe Einar Schleefs vor dem geschichtslosen Horizont der Konsensgesellschaftvon Frank M. Raddatz | |
Aktuell | |
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Film: Zärtlichkeit und Zornvon Ralf Schenk | Seite 72 |
Hörspiel: Die Farbe des Klangsvon Gerwig Epkes | Seite 72 |
In Nachbars Garten | Seite 73 |
Kunst: Gefährliche Übergängevon Dominic Eichler | |
Musik: Von Riesen, Zwergen und IQ-Testsvon Otto Paul Burkhardt | |
Premieren | Seite 76 |
April 2012 | |
Autoren | Seite 79 |
Impressum | Seite 79 |
Vorschau | Seite 79 |
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Was macht das Theater, Andreas Rochholl?von Dorte Lena Eilers und Andreas Rochholl |
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Verdichtete ZeitDie Bühnenbildnerin Annette Kurz im Gesprächvon Ute Müller-Tischler und Annette Kurzzum Online-Extra: Bildergalerie und Interview Annette Kurz | Seite 8 |
Nicht alles muss glänzenDie unter Franziska Werner neu eröffneten Berliner Sophiensaele bleiben alten Grundsätzen treu – und setzen vermehrt auf kommunikative Zwischenräumevon Sebastian Kirschzum Online-Extra: Bildergalerie Sophiensaele | Seite 28 |
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