Heft 11/2012
Das Rätselwesen
Die Schauspielerin Patrycia Ziółkowska
Broschur mit 80 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Für einige Jahre waren wir von dem Albtraum, dass auf dem Weltenthron jemand residiert, der stolz darauf ist, keine Zeitungen zu lesen und als Lieblingsbuch „Die kleine Raupe Nimmersatt nennt“, befreit. Diese Tage konnten bald gezahlt sein, denn rasend schnell nähern sich die Prasidentschaftswahlen in den USA. Frank Raddatz sprach mit dem Dramatiker Tony Kushner daruber, warum der erste schwarze Mann im Weisen Haus nach wie vor Titanisches leistet – und erfuhr, weshalb die groste Gefahr heute nicht nur fur die US-Amerikaner darin besteht, vor den Prinzipien des Marktes zu kapitulieren. Grandios, grotesk, grausam ist Kushners aktuelles Kurzstück „Wir allein, wir, die das Geheimnis bewahren, nur wir werden unglücklich sein“ aus der Einakter-Sammlung „Der kleine Kushner“, das wir in diesem Heft abdrucken. In dem Stück liest die Präsidentengattin Laura Bush im Himmel unter der Obhut eines Engels toten irakischen Kindern Dostojewski vor.
Paul Tischler flankiert den US-Schwerpunkt dieses Heftes, indem er die künstlerischen Leiter des New York Theatre Workshops Linda S. Chapman und James C. Nicola befragte. „Wenn man ein Künstler in diesem Land ist, muss man ein Unternehmer sein. Man muss sein Leben als Geschäft sehen“, erklären sie. Trotzdem sei die Position des Theaters auch in den USA singulär: „Es gibt keine anderen Plattformen. (…) Das Theater ist der letzte Ort, um sich mit Ideen zu beschäftigen.“ Christine Richter-Nilsson untersuchte die neueste amerikanische Dramatik und akklamiert eine „selbstbewusste Generation von afrikanisch- und asiatisch-amerikanischen Autoren, deren Dekonstruktion der vermeintlich politisch korrekten middle class seit 2008 auf besonders fruchtbaren Boden fällt“.
„Occupy the Sky!“, fordern Schillers „Räuber“ an den Städtischen Bühnen Münster, wo sich der neue Intendant Ulrich Peters trotz der städtischen Sparpläne zum politischen Theater bekennt. Auch im beschaulichen Konstanz hat man die Zeichen der Zeit erkannt und untersucht angeleitet von dem Intendanten und Juristen Christoph Nix, wie das Glück funktioniert. Die Antwort führt nach Ostafrika, nach Blantyre – 200 Kilometer südlich des Malawisees. Lena Schneider informiert uns, wie es zur Zusammenarbeit im Projekt „Welt 3.0“ kam – und welche Rolle Frank-Walter Steinmeier dabei spielt. Politisches Theater, das sich gegen die Meinung des breiten Mainstreams zu behaupten weiß, findet sich auch im Theater Vorpommern, wo seit Kurzem die Löschner-Brüder das Zepter schwingen und mit dem Slogan „Kein Risiko“ polarisieren. Gunnar Decker kann nur Gutes berichten.
Gleiches gilt für Patrycia Ziółkowska. Die Schauspielerin ist „keine Diva, aber auf anspruchsvolle Art umwegreich, mit vielen verborgenen Kammern und Kämmerchen“, beobachtete Gunnar Decker und schwärmt von der „Amazone am Stehpult“: „Eine höhere Form von Musik. Nicht nur die der Worte und Bewegungen, auch die der Pausen und des Stillstands.“ Als weitere starke Frau zeigt sich die Bühnenbildnerin Barbara Ehnes, die ihre Skepsis gegenüber einem Männerbild, das sich in Allmachtsvorstellungen hineinsteigert, szenografisch produktiv zu machen weiß. Ute Müller-Tischler sprach mit der Künstlerin, die bei Wilfried Minks Bühnenbild studiert hat und Marina Abramović zu ihren Lehrern zählt.
Erfrischend zeigt sich in diesem Herbst: Kunst und Theater muss das Andere behaupten – wie auch immer es sich formiert, welche Gestalt oder Farbe oder welchen Klang es auch immer annimmt. Die Renaissance des Politischen kann sich nur in der Öffnung zum Undefinierten, Unausgeloteten, Heterogen vollziehen. //
Die Redaktion
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Protagonisten | |
KünstlerinsertBühnenvon Barbara Ehnes | Seite 4 |
Raumkörper FaustDie Bühnenbildnerin Barbara Ehnes im Gespräch mit Ute Müller-Tischler über architektonische Alchemievon Ute Müller-Tischler und Barbara Ehnes | Seite 8 |
Die Stille nach „Antigone“Die Schauspielerin Patrycia Ziółkowska weiß: Umwege erhöhen die Ortskenntnisvon Gunnar Decker | Seite 12 |
Thema | |
Titan ObamaDer US-amerikanische Schriftsteller und Dramatiker Tony Kushner über die Folgen des Reaganismus und die Präsidentschaftswahlen in den USA im Gespräch mit Frank Raddatzvon Frank M. Raddatz und Tony Kushner | Seite 17 |
Adam und SteveDie künstlerischen Leiter des New York Theatre Workshops Linda S. Chapman und James C. Nicola im Gespräch mit Paul Tischler über institutionalisiertes Betteln und das Unternehmertum des Künstlersvon Paul Tischler, Linda S. Chapman und James C. Nicolazum Online-Extra: Gespräche mit Amrita Ramanan (Arena Stage Theater) sowie Wilfried Eckstein und Sylvia Blume (Goethe-Institut Washington) | Seite 20 |
Everybody liesÜber Eskapismus und Dekonstruktion der „middle class“ in der neuesten US-amerikanischen Dramatikvon Christine Richter-Nilsson | Seite 24 |
Stück | Seite 27 |
Der kleine Kushner(Auszug)von Tony Kushner | |
Kommentar | Seite 31 |
Unnötige Provokationen – was sonst?Über den Umgang mit dem Mohammed-Film „The Innocence of the Muslims“von Sebastian Kirsch | |
Protagonisten | |
Alles auf Risiko!Unter der neuen Intendanz von Dirk Löschner polarisiert das Theater Vorpommern das Publikum, indem es die Grenzen des Spielbaren erkundetvon Gunnar Decker | Seite 32 |
Occupy the skyIn Münster kämpft der neue Intendant Ulrich Peters mit den Spielplänen der Stadt und für die Rückkehr des politischen Theatersvon Michael Böhm | Seite 36 |
Der Griff nach dem GlobusWie das Theater Konstanz Afrika entdeckt – und warum das über den anderen Kontinent ebenso viel erzählt wie über das Prinzip Stadttheatervon Lena Schneider | Seite 38 |
Wie funktioniert das Glück?Der Konstanzer Intendant Christoph Nix im Gespräch mit Bodo Blitz über seine Spielzeit „Afrika – in weiter Ferne so nah“von Bodo Blitz und Christoph Nix | Seite 41 |
Kolumne | Seite 43 |
Janz Berlin is eene ClooudÜber das nonlineare Wirklichkeitsverständnis des postmodernen Menschen am Feldbeispiel der Berliner Cocktailpartyvon Nis-Momme Stockmann | |
Look Out | |
Schwarzgrau mit ZwischenrufenDie Figuren von Alexander Finkenwirth zeigen, wie schwierig es ist, ein guter Mensch zu seinvon Lena Schneider | Seite 44 |
Zum HeulenDie Schauspielerin Vanessa Stern dekonstruiert urkomisch weibliche Rollenmodellevon Anna Opel | Seite 45 |
In eigener Sache | Seite 47 |
50 Jahre Schaubühne Buchvorstellung und Festakt | |
Auftritt | |
Berlin: Polleschs Molière-WerdenVolksbühne: „Don Juan“ von René Pollesch nach Molière Regie René Pollesch, Bühne Bert Neumann, Kostüme Nina von Mechowvon Sebastian Kirsch | Seite 49 |
Cottbus: Een Tichter!Staatstheater Cottbus: „Der Laden. Zweiter Abend“ (UA) nach Erwin Strittmatter. Theaterfassung Holger Teschke, Regie Mario Holetzeck, Bühne Gundula Martin, Kostüme Susanne Suhrvon Lena Schneider | Seite 50 |
Essen: Kumpel ohne KohleSchauspiel Essen: „Rote Erde“ (UA) nach dem Roman von Peter Stripp. Bühnenfassung von Beate Seidel und Volker Lösch. Regie Volker Lösch, Bühne Carola Reuther, Kostüme Sarah Roßbergvon Friederike Felbeck | Seite 51 |
Frankfurt am Main: Faust, Fäuste, Fäustinnen. Schauspielhaus: „Faust. Erster Teil“ von Johann Wolfgang von Goethe. Regie Stefan Pucher, Bühne Barbara Ehnes, Kostüme Marysol del Castillo„Faust. Zweiter Teil“: Regie Günter Krämer, Bühne Herbert Schäfer, Kostüme Falk Bauer; „FaustIN and out“ von Elfriede Jelinek: Regie Julia von Sell, Kostüme Michaela Kratzer, David Gontervon Shirin Sojitrawalla | Seite 52 |
Hannover: Weltekel und KartoffelsalatSchauspiel Hannover: „Tod und Wiederauferstehung der Welt meiner Eltern in mir“ (UA) von Nis-Momme Stockmann. Regie Lars-Ole Walburg, Bühne Robert Schweer, Kostüme Gwendolyn Bahrvon Patrick Wildermann | Seite 54 |
Magdeburg: Das Familientrara als WirtschaftsblablaTheater Magdeburg: „Der Wichtigtuer“ (DEA) von David Gieselmann frei nach Ludvig Holbergs „Herr Vielgeschrey – der Mann, der nie Zeit hat“. Regie Martin Pfaff, Ausstattung Anja Krehervon Mirka Döring | Seite 55 |
Zürich: Und der Haifisch, der hat TränenSchauspielhaus: „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ von Bertolt Brecht. Regie Sebastian Baumgarten, Bühne Thilo Reuther, Kostüme Jana Findeklee und Joki Tewesvon Elisabeth Feller | Seite 56 |
Zürich: Die Hölle des AltersTheater Winkelwiese: „Wir waren“ (SEA) von William Pellier. Regie Stephan Roppel, Ausstattung Marcella Incardonavon Dominique Spirgi | Seite 57 |
Magazin | |
Theater im Übergang60 Jahre Maxim Gorki Theater Berlinvon Gunnar Decker | Seite 59 |
Beseelte WiedergeburtDas neu belebte Theaterfestival Basel setzt auf Vielfalt statt auf Exklusivitätvon Dominique Spirgi | Seite 60 |
Die Ferkeleien der PolitikMatthias von Hartz verabschiedet sich als Leiter des Sommerfestivals auf Kampnagel in Hamburg gewohnt widerständigvon Klaus Witzeling | Seite 61 |
Warten aufs UfoDer erste Teil des Schweriner Doppelpassprojekts „Spielstätte Stadt“ macht deutlich, wie permanent die Krise wirklich istvon Christina Fleischmann | Seite 62 |
kirschs kontexteDer Froschkönig. Hommage auf Helmut Kohlvon Sebastian Kirsch | Seite 63 |
Kein Draußen mehrIm Jubiläumsjahr Friedrich II. ist die Matthus-Oper „Kronprinz Friedrich“ ein Kainszeichen im herrschenden Belustigungsbetriebvon Heinz Klunker | Seite 65 |
Wer so viel gibtZum Tod von Niels Ewerbeck, Intendant des Mousonturm Frankfurtvon Anja Dirks | Seite 67 |
Virtuos analysierender GeistIvan Nagel: Schriften zur Politik. Suhrkamp, Berlin 2012, 295 S., 26,95 EUR.von Frank M. Raddatz | Seite 68 |
Ärgerlich formelhaftFriederike Wißmann: Hanns Eisler. Komponist, Weltbürger, Revolutionär. C. Bertelsmann, München 2012, 304 S., 19,99 EUR.von Gunnar Decker | Seite 69 |
Vom Gastwirtssohn zum GroßgenieP. Sprengel: G. Hauptmann. Bürgerlichkeit und großer Traum. C.H. Beck, München 2012, 848 S., 38 EUR.; G. Hauptmann: Die große Hörspiel Edition. Der Hörverlag, München 2012, 8 CDs, 475 Min., 29,99 EUR.von Holger Teschke | Seite 69 |
Linzers Eck | Seite 71 |
Glück-Interruptus in der Lausitz?Mit dem „Geizigen“ zeigt das Senftenberger Theater, dass es nicht länger auf Kosten seiner Zuschauer geizen willvon Martin Linzer | |
Meldungen | Seite 72 |
In Nachbars Garten | |
FilmVielleicht auch glücklichvon Ralf Schenk | Seite 74 |
HörspielDer Glaube an die Selbstbestimmungvon Gerwig Epkes | Seite 74 |
KunstDer umgekehrte Blickvon Dominic Eichler | Seite 75 |
MusikHebt eure mageren Fäuste!von Ulrike Rechel | Seite 75 |
Premieren | Seite 76 |
November 2012 | |
Autoren | Seite 79 |
Impressum | Seite 79 |
Vorschau | Seite 79 |
Gespräch | Seite 82 |
Was macht das Theater, Schorsch Kamerun?von Sebastian Kirsch und Schorsch Kamerun |
Bodo Blitz
Michael Böhm
Linda S. Chapman
Gunnar Decker
Anja Dirks
Mirka Döring
Barbara Ehnes
Dominic Eichler
Gerwig Epkes
Friederike Felbeck
Elisabeth Feller
Christina Fleischmann
Schorsch Kamerun
Sebastian Kirsch
Heinz Klunker
Tony Kushner
Martin Linzer
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James C. Nicola
Christoph Nix
Anna Opel
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Holger Teschke
Paul Tischler
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