Heft 01/2013
Birgit Minichmayr
Ich bin es und bin es nicht
Broschur mit 84 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Kann Kunst, kann Theater heilen? Geht es, wenn im Zusammenhang von Kunst über Veränderung gesprochen wird, weniger um die Erweiterung von Bewusstseinslagen als um eine heilende Wirkung? Der aus Benin stammende Voodoo-Priester und tanzende Choreograf Koffi Kôkô erklärt das 21. Jahrhundert zum Jahrhundert der Spiritualität. „Der Mensch hat die Natur zu sehr herausgefordert. Wenn wir sehen, wie dieser Teufel in uns mit der Welt umgegangen ist, dann ist da eine universelle Reflexion notwendig, um alle Möglichkeiten einer Heilung zu erkunden.“ Johannes Odenthal porträtiert einen Weltkünstler, der uns auf „der Bühne, der Plattform des ‚leeren Rituals‘, wie es Eugenio Barba nennt, auf eine Reise zur anderen Seite der Existenz“ mitnimmt.
Es ist Einar Schleef, der in Nietzsches Spur von der Heilkraft des Chores spricht. Die Videokünstlerin Rebecca Riedel wurde bei der Arbeit für Armins Petras „Droge Faust“ nachhaltig von seinen Aussagen zur Macht des Dionysischen gepackt. Gunnar Decker erfährt die Resultate: visuelle Ekstasen als pure Dröhnung. „Das Video beginnt als eine Art weißes Rauschen und mündet in eine Reihe von Farbexplosionen, erst Rot, dann Blau. Eine albtraumhafte Collage von Bildsequenzen flimmert vorüber. Es ist ein Exzess, aber die Droge ist dabei immer ‚chorisch‘ – die psychedelische Wirkung bleibt dem untergeordnet.“
Trotz aller und in letzter Zeit deutlich kraftloserer Beschwörungen der Postmoderne ist das Geheimnis, ist das Andere weiterhin präsent. Auch Birgit Minichmayr hat Kontakt zu den unaussprechbaren Zonen der Existenz: in Form einer „Kombination aus stabilem Ich und Durchlässigkeit für das Andere, die es ihr auch leicht macht, sich auf unterschiedliche Regiestile einzulassen. „Eine ‚Handschriftensammlerin‘ nennt sie sich“, charakterisiert Christoph Leibold die Kultschauspielerin, die mit der Kraft des Flüchtigen jongliert: „Dass sie einen greifen wollen, das ist halt so. Ich hoffe nur, dass sie mich nie erwischen, so ganz.“ Dagegen zeigt uns Georg Büchner, dessen 200. Geburtstag in diesem Jahr ansteht, die Welt des Linearen und Kontinuierlichen. Allerdings in ihrer gesamten erschütternden Komplexität: „Den Hauptmann rasieren, Marie ermorden, mit wissenschaftlicher Ratio Tiere aufschneiden – die drei Gesten bilden einen Verweisungszusammenhang“, schreibt Sebastian Kirsch über den „Woyzeck“ von Roberto Ciulli und Helmut Schäfer am Theater an der Ruhr.
Empirisch gesehen ist die Erde, wie uns Marx lehrte, weniger Schauplatz von Mysterien denn ein Hotspot für das Kapital. Wie aber der Geldstoff und Performatives zueinanderfinden, untersucht der Schwerpunkt über das Verhältnis von Wirtschaft und Theater. Frank Raddatz spricht mit dem Kulturmanager Bernd Kauffmann über den Trend der Unternehmen, die Sache der Kunst selber in die Hand zu nehmen. Was die mehreren Hunderttausend Euro bezwecken, die die Bosch Stiftung unter dem Label „Szenenwechsel“ in eine Kooperation mit dem Internationalen Theaterinstitut investiert, klärt Patrick Wildermann. Über das Engagement von Siemens in Lateinamerika in Sachen Theaterarbeit berichtet Paul Tischler.
Um sich nicht gleich zu Jahresbeginn in Krisenalarmismus zu verlieren, sei noch darauf hingewiesen, dass der Heidelberger Intendant Holger Schultze einräumt, sich im gerade für 60 Millionen Euro renovierten Haus schon mal „gnadenlos verlaufen“ zu haben, als er vom Wunder einer Verdreifachung der Festabonnements erfuhr. In diesem Sinne wünschen wir allen Leserinnen und Lesern einen guten Start ins neue Jahr. //
Die Redaktion
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Protagonisten | |
KünstlerinsertVideoarbeitenvon Rebecca Riedel | Seite 4 |
Schöne neue WeltWie Rebecca Riedels bildstrudelndes Doppelspiel aus Theater und Film vor aller Augen Relationen verschiebt – bis der Albtraum regiertvon Gunnar Decker | Seite 8 |
Die kühle BrautWie Birgit Minichmayr einem immer entwischt, wenn man glaubt, sie zu kennen. Ein Porträtvon Christoph Leibold | Seite 12 |
Thema | |
Vom „Kälbchen“ des SelbermachensGroße Wirtschaftsunternehmen wollen Kultur nicht mehr nur sponsern, sondern selbst gestalten. Der Kulturmanager Bernd Kauffmann im Gespräch mit Frank Raddatzvon Frank M. Raddatz und Bernd Kauffmann | Seite 16 |
Wenn der Staat ausfälltDas neue Förderprogramm „Szenenwechsel“ der Robert Bosch Stiftung und des Internationalen Theaterinstitutsvon Patrick Wildermann | Seite 21 |
Produktives PingpongJoachim Gerstmeier, Projektleiter Kultur der Siemens Stiftung, über Möglichkeiten, die südamerikanische Theaterszene zu vernetzen im Gespräch mit Paul Tischlervon Joachim Gerstmeier und Paul Tischler | Seite 22 |
Protagonisten | Seite 24 |
Die andere Seite der Existenz„La Beauté du Diable“ von Koffi Kôkô und sein konsequenter Weg einer Spiritualität im Theatervon Johannes Odenthal | |
Kommentar | Seite 27 |
Ohne Moos nix losÜber das drohende Ende der Impulse Theater Biennale in Nordrhein-Westfalenvon Frank M. Raddatz | |
Protagonisten | |
Anatomie oder Talkshow?Das Büchner-Jahr 2013 beginnt mit „Woyzeck“ in Mülheim an der Ruhr und einer Büchner-Revue in Düsseldorfvon Sebastian Kirsch | Seite 28 |
Im Zickzack zum GlückIn Heidelberg eröffnet nach drei Jahren Sanierung ein neues Haus – und das sogar pünktlichvon Otto Paul Burkhardt | Seite 30 |
Ausland | Seite 32 |
Und dann kamen die KriegeÜber ein Brecht-Projekt in Inguschetien. Ein Tagebuchvon Peter Krüger | |
Kolumne | Seite 35 |
Das Bleibendevon Josef Bierbichler | |
Look Out | |
Im Ich-LabyrinthDas Performancekollektiv Shane Drinion durchmisst detailverliebt den Resonanzraum des Persönlichenvon Patrick Wildermann | Seite 36 |
Im Garten Eden von NeuköllnDas Performancekollektiv OnElf beschäftigt sich mit soziopolitischen Themen direkt vor Ort: in den Kiezen Berlinsvon Mehdi Moradpour | Seite 37 |
Auftritt | |
Kassel: Hure zu adoptierenStaatstheater Kassel: „Testosteron“ (UA) von Rebekka Kricheldorf. Regie Schirin Khodadadian, Ausstattung Ulrike Obermüllervon Joachim F. Tornau | Seite 39 |
Leipzig: Leipziger SezessionCentraltheater Leipzig: „mein faust“. Regie und Bühne Sebastian Hartmann, Kostüme Adriana Braga Peretzkivon Christian Horn | Seite 40 |
Mannheim: Amouröse EtüdeNationaltheater Mannheim: „Einer und Eine“ (UA) von Martin Heckmanns. Regie Dominic Friedel, Ausstattung Karoline Biernervon Ralf-Carl Langhals | Seite 41 |
Osnabrück: Auf der verlorenen Seite der WeltTheater Osnabrück: „Ich wünsch mir eins“ (UA) von Azar Mortazavi. Regie Annette Pullen, Ausstattung Gregor Sturmvon Christine Adam | Seite 42 |
Ulm: Die Leiche im SchrankTheater Ulm: „Die Elchjagd“ (DSE) von Micha³ Walczak. Regie Fanny Brunner, Ausstattung Mona Hapkevon Christoph Leibold | Seite 43 |
Wien: Vier Tage für ein HallelujaSchauspielhaus Wien: „Die Glückspilger“; „Wo du nicht bist“; „Die Eroberung der Einsamkeit“; „Das Boot der Millionen“von Margarete Affenzeller | Seite 44 |
Wrocław: Tod den Feinden der RevolutionGrotowski-Institut: „Mauser“ (PEA) von Heiner Müller. Übersetzung Mateusz Borowski und Małgorzata Sugiera, Regie und Installation Theodoros Terzopoulosvon Tadeusz Kornaś | Seite 45 |
Stück | |
Der TotengräberGeorg Seidels DDR-Endzeitstück „Carmen Kittel“von Gunnar Decker | Seite 46 |
Carmen Kittelvon Georg Seidel | Seite 48 |
Magazin | |
Ade MariaDas Festival Fast Forward blickt von Braunschweig aus in Europas Theaterzukunftvon Mirka Döring | Seite 59 |
Unter dem BrennglasDas Festival euro-scene in Leipzig kämpft um den Fortbestandvon Christian Horn | Seite 60 |
Einer von unsWie im „Knasttheater“ der sächsischen Justizvollzugsanstalt Zeithain ein französisches Märchen zur eigenen Geschichte wirdvon Michael Bartsch | Seite 62 |
Von ihm lernenCarl Riha, dem ehemaligen Operndirektor in Karl-Marx-Stadt, zum 90. Geburtstagvon Werner P. Seiferth | Seite 63 |
Der eigensinnige KönigZum Tod des niederländischen Schauspielers Jeroen Willemsvon Susanne Winnacker | Seite 64 |
kirschs kontexteSpieß voran, drauf und dran!von Sebastian Kirsch | Seite 65 |
Die Grande DameZum Tod der Schauspielerin Rosemarie Deibelvon Frank Quilitzsch | Seite 66 |
Volksschauspieler im hessischsten SinneDer Schauspieler Heinz Werner Kraehkamp ist totvon Wolfgang Schneider | Seite 66 |
Linzers Eck: Einer gegen den Rest der Welt„Ein Volksfeind“ von Henrik Ibsen – das Stück des Jahres?von Martin Linzer | Seite 67 |
Die MaterialverarbeitungsmaschineChristoph Schlingensief: Ich weiß, ich war’s. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012, 304 S., 19,99 EUR.; Peter Kern Collection: Hamlet – This is your family. DVD, Filmgalerie 451, 2012, 80 Min., 12,99 EUR.von Sebastian Kirsch | Seite 68 |
Was getan wurde, wird wieder getanJens Roselt und Ulf Otto (Hrsg.): Theater als Zeitmaschine. Zur performativen Praxis des Reenactments. transcript Verlag, Bielefeld 2012, 264 S., 27,80 EUR.von Dorte Lena Eilers | Seite 69 |
Vom Außenseitertum einer SouffleuseSabine Bergk: Gilsbrod. Novelle. Dittrich Verlag, Berlin 2012, 120 S., 14,80 EUR.von Anna Opel | Seite 69 |
Aktuell | Seite 70 |
Meldungen | |
Aktuell: in nachbars garten | |
Film: Muttertier, Sextouristin, Divavon Ralf Schenk | Seite 72 |
Hörspiel: Von tragisch-lächerlichen Clownsvon Gerwig Epkes | Seite 72 |
Kunst: Ein Zurückgekehrtervon Dominic Eichler | Seite 73 |
Musik: Die Fülle in der Beschränkungvon Ulrike Rechel | Seite 73 |
Aktuell | |
PremierenJanuar 2013 | Seite 76 |
in eigener sache | Seite 78 |
Autoren | Seite 79 |
Impressum | Seite 79 |
Gespräch | Seite 80 |
Was macht das Theater, Nikola Duric?von Sebastian Kirsch und Nikola Duric |
Christine Adam
Margarete Affenzeller
Michael Bartsch
Josef Bierbichler
Otto Paul Burkhardt
Gunnar Decker
Mirka Döring
Nikola Duric
Dominic Eichler
Dorte Lena Eilers
Gerwig Epkes
Joachim Gerstmeier
Christian Horn
Bernd Kauffmann
Sebastian Kirsch
Tadeusz Kornaś
Peter Krüger
Ralf-Carl Langhals
Christoph Leibold
Martin Linzer
Mehdi Moradpour
Johannes Odenthal
Anna Opel
Frank Quilitzsch
Frank M. Raddatz
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Wolfgang Schneider
Georg Seidel
Werner P. Seiferth
Paul Tischler
Joachim F. Tornau
Patrick Wildermann
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