Heft 04/2015
Jürgen Holtz
Schauspieler und Scharfdenker
Broschur mit 88 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
- Schwerpunkt Kinder- und Jugendtheater
Die Worte seien ihm schon wie Asche im Mund. Das sagt ein Intendant, der vor nicht mal einem Jahr enthusiastisch, zupackend, mitreißend einen schwierigen Posten antrat. Der mit Zahlen beschossen wurde. Und mit künstlerisch erfolgreichen Produktionen reagiert. Sewan Latchinian, Intendant des Volkstheaters Rostock, schreibt Gunnar Decker, „glaubte als Retter zu kommen“. Gesucht jedoch war: „ein Abwickler“. „Am 25. Februar beschloss die Rostocker Bürgerschaft mit 26 zu 21 Stimmen den Abbau von (…) Musiktheater und Tanz.“ Der mecklenburg-vorpommerische Kultusminister Mathias Brodkorb habe gedroht, die Landeszuschüsse an Rostock nicht auszuzahlen, wenn die Bürgerschaft anders entscheide. „Schönes Demokratieverständnis!“
Schönes Kulturverständnis! Mit solchen Politikern ist keine Politik zu machen, und eine Zukunft sowieso nicht, sehen sie doch nicht, dass die Zukunft, die vielmehr Gegenwart ist, schon bereitsteht. „Next Generation“ nennt sich ein Projekt, das in Stefan Keims einführendem Text zu unserem Kinder- und Jugendtheater-Schwerpunkt im Mittelpunkt steht. Entwickelt wurde es am Bochumer Schauspielhaus von Nuran David Calis gemeinsam mit 37 „Ghetto-Kids“. Dies ist nur eines der Beispiele, von denen Stefan Keim, die Hausporträts über das Junge Ensemble Stuttgart und das Dresdner Theater Junge Generation sowie Jutta Maria Staerk, künstlerische Leiterin am COMEDIA Theater Köln, Stefan Fischer-Fels, künstlerischer Leiter des Berliner GRIPS Theaters, und Kay Wuschek, Intendant des Theaters an der Parkaue in Berlin, berichten. Das KJT ist – von vielen nach wie vor verkannt – ein integraler Bestandteil der künstlerischen Szene: experimentierfreudig, kreativ, performativ, authentisch, wild – und ja: demokratisch. Es schließt niemanden aus. „Die Jugendlichen sind da, im selben Raum, man kann sie nicht wegklicken. Und will es auch gar nicht (…) Im Gegenteil, sie versprühen eine mitreißende positive Energie, Lust auf Zukunft.“
„Die Parlamente und der Staat müssen ihre Ideologie der Versorgung aufgeben. Dann sehen und verstehen sie, dass Kultur und Soziales zwei Seiten derselben Medaille sind, die Allgemeinheit heißt. Sie ist die Waage. Die Allgemeinheit verarmt, wenn die Kultur verarmt und/oder der Quotenpornografie verfällt.“ Diese Sätze stammen von Jürgen Holtz, Schauspieler, Scharfdenker, Theatervisionär, der sich derzeit, wie er sagt, häufig Gedanken um die Vergänglichkeit mache. Soeben ist im Verlag Theater der Zeit ein umfangreiches Buch von ihm erschienen: „‚He, Geist! Wo geht die Reise hin?‘ Reden. Einreden. Widerreden“ mit Texten und Zeichnungen von ihm. Gunnar Decker hat den 82-Jährigen porträtiert.
Jürgen Holtz spielt momentan den Zirkusdirektor Caribaldi in „Die Macht der Gewohnheit“ am Berliner Ensemble, dessen aus Machtposen entstandene Einsamkeit uns zu einem weiteren „Zirkusdirektor“ führt: Richard III., gespielt von Lars Eidinger an der Schaubühne Berlin. Ein sich verbrennender Bühnenstar, wie Thomas Irmer schreibt, „der Eidinger als viel diskutierter Hamlet der Ostermeier-Inszenierung von 2008 in diesem Shakespeare-Zusammenhang immer noch ist“. Jan Pappelbaum hat für diesen „Meister der Interaktion“ ein komplettes Globe Theatre in die Schaubühne gesetzt, dessen wahnwitzige Konstruktion er im Gespräch mit Ute Müller-Tischler erklärt.
Alt in neu, neu in alt: Das Elektrotheater Stanislawski in Moskau geht genau den umgekehrten Weg. Im traditionsreichen Gebäude des ehemaligen Stanislawski-Studios hat vor wenigen Monaten eines der modernsten Theater Moskaus eröffnet. Ein Haus, wie Dorte Lena Eilers schreibt, das mit seinen komplett sanierten Räumen und der „multifunktional, multiperspektivisch und daher multinie- mehr-wie-bisher bespielbaren Blackbox-Bühne“ mehr Laboratorium sein will als Repräsentationsort. Ein offener Raum, der mitten in der politischen Eiszeit auch mit Regiestars aus Europa kollaboriert.
Verabschieden müssen wir uns in dieser Ausgabe von Fred Düren, dem großen Schauspieler und Friedenskämpfer, der im März im Alter von 86 Jahren verstarb. Friedrich Dieckmann erinnert an ihn. Und an einen seiner prägenden Sätze: „Ich glaube an Gemeinschaften, die ohne Ideologie das Richtige tun.“ //
Die Redaktion
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Künstlerinsert | |
Das Globe Theatrevon Jan Pappelbaum | Seite 4 |
Der Griff in die ZeitlosigkeitDie Bühnenräume von Jan Pappelbaum versetzen Shakespeares Stücke in einen schwebenden Zustand – jetzt das Globe Theatre für „Richard III.“ an der Berliner Schaubühne. Ein Gesprächvon Ute Müller-Tischler und Jan Pappelbaum | Seite 8 |
Monolog im Echoraum„Richard III.“ an der Schaubühne Berlin in der Regie von Thomas Ostermeiervon Thomas Irmer | Seite 11 |
Thema: Kinder- und Jugendtheater | |
Liebe, Lust und EinsamkeitDas Kinder- und Jugendtheater hat keine Scheu vor neuen Formen und radikalen Themen – und kämpft trotzdem immer noch mit Vorurteilenvon Stefan Keim | Seite 12 |
Gefällt’s dir?Haltungen zu formulieren fällt immer schwerer – Gesprächvon Jutta Maria Staerk, Stefan Fischer-Fels, Kay Wuschek und Patrick Wildermann | Seite 16 |
ErstkontaktErfahrungen mit Theater kann man gar nicht früh genug machen – Das Dresdner Theater Junge Generationvon Michael Bartsch | Seite 20 |
FreispieleMit theaterpädagogischem Engagement macht das Junge Ensemble Stuttgart Theater für alle Generationenvon Manfred Jahnke | Seite 22 |
Protagonisten | |
Mit SchiedsrichterDas Staatstheater Darmstadt hat mit Karsten Wiegand einen neuen Intendanten – und ein ganz besonderes Ensemblevon Shirin Sojitrawalla | Seite 24 |
Zirkus der AlbträumeDer Schauspieler Jürgen Holtzvon Gunnar Decker | Seite 26 |
Kolumne | Seite 29 |
Das politische Wohlgefühlvon Josef Bierbichler | |
Protagonisten | Seite 30 |
Zerrissene HeimatIn seinen Performances thematisiert der libanesische Künstler Rabih Mroué stets sein Land, seine Herkunft und seine Familie – mit großer Wirkungvon Renate Klett | |
SCORES – Insert Tanzquartier Wien | Seite 33 |
uncanny valleyvon Paul Wenninger, Peter Jakober, Andreas Spiegl und Kabinett ad Co. | |
Ein Krieg und sein Doublevon Andreas Spiegl | |
Diorama und Displayvon Paul Wenninger | |
Anmerkungen zur Musik von uncanny valleyvon Peter Jakober | |
Protagonisten | |
KahlschlagDas Volkstheater Rostock: Wo die Böcke zu Gärtnern werdenvon Gunnar Decker | Seite 33 |
Aus der FalleDem polnischen Universalgenie Tadeusz Kantor zum 100. Geburtstag – eine längst fällige Wiederentdeckungvon Uta Schorlemmer | Seite 36 |
Der FriedenskämpferDem Schauspieler Fred Düren zum Gedächtnisvon Friedrich Dieckmann | Seite 38 |
Ausland | Seite 40 |
Mission ElectricMitten in der politischen Eiszeit eröffnet in Moskau ein neues Theater: das Elektrotheater Stanislawski, das als offener Kulturraum auch mit Regiestars aus Europa kollaboriertvon Dorte Lena Eilers | |
Look Out | |
Schau mir in die Augen, Kleines!Die freie Theatergruppe pulk fiktion bietet Kindern Theater auf Augenhöhevon Carolin Gerlach | Seite 44 |
Die konservative LinkeDer deutsch-polnische Regisseur Krzysztof Minkowski provoziert mit nicht gerade konsensfähigen Thesenvon Margarete Affenzeller | Seite 45 |
Auftritt | |
Aarau: Die Zukunft eines taumelnden KontinentsTheater Marie: „Zukunft Europa“: „www.fiverr.com“ (UA), „Enzyklopädie des Verschwindens“ (UA) und „Costa Concordia. Mare Nostrum“ (UA) von Ariane Koch, „Ich bin das Tier mit dem Fell“ (UA) und „Reykjavon Andreas Tobler | Seite 47 |
Berlin: Nihilismus trifft EsoterikDeutsches Theater: „Unerträglich lange Umarmung“ (UA) von Iwan Wyrypajew. Regie Andrea Moses, Bühne Rebecca Ringst, Kostüme Svenja Gassenvon Gunnar Decker | Seite 48 |
Kassel: Das Leben muss weiter-, weiter-, weitergehenStaatstheater Kassel: „Die Kunst der Selbstabschaffung“ (UA) von Rebekka Kricheldorf. Regie Schirin Khodadadian, Ausstattung Ulrike Obermüllervon Joachim F. Tornau | Seite 49 |
Würzburg: Der Clown im FahrstuhlMainfranken Theater: „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ von Bertolt Brecht und „Der Auftrag“ von Heiner Müller. Regie Stephan Suschke, Bühne Momme Röhrbein, Kostüme Angelika Rieckvon Christoph Leibold | Seite 51 |
Zürich: Sterben in surrealer SchönheitTheaterhaus Gessnerallee: „Gespenster“ nach Henrik Ibsen. Regie Markus&Markusvon Andreas Tobler | Seite 52 |
Stück | |
Die Welt als eine veränderbare beschreibenArmin Petras, Autor, Regisseur und Intendant des Staatsschauspiels Stuttgart, über sein erstes Kinderstück „kreidekreis“ im Gespräch mit Otto Paul Burkhardtvon Otto Paul Burkhardt und Armin Petras | Seite 54 |
kreidekreiserzählt nach einer übertragung aus dem alt-chinesischen von klabundvon Armin Petras und Lara Kugelmann | Seite 56 |
Magazin | |
Grenzen, die über Menschen gehenTilman Gersch, neuer Intendant des Ludwigshafener Theaters im Pfalzbau, fragt mit dem Festival Offene Welt nach Heimat und Fremdheitvon Ralf-Carl Langhals | Seite 65 |
Nur der Regisseur ein Künstler?Ein Kommentar zum Kommentar zu „Baal“von Thomas Maagh | Seite 66 |
Ronconi furiosoZum Tod des italienischen Regisseurs und Theaterleiters Luca Ronconivon Peter Kammerer | Seite 67 |
Hausbesuch PraxisDie neue Christoph-Schlingensief-Gastprofessur holt Theatermacher für szenische Forschungsprojekte an die Ruhr-Universität Bochumvon Sebastian Kirsch | Seite 68 |
kirschs kontexte: Noch ein Wort zu „Baal“von Sebastian Kirsch | Seite 69 |
Wer vieles bringt …Günther Rühle: Theater in Deutschland 1945 – 1966, Fischer Verlag, Frankfurt/Main, 1519 S., 46 EUR.von Gunnar Decker | Seite 70 |
Aktuell | Seite 72 |
Meldungen | |
Aktuell: in nachbars garten | |
Film: Die Armee der Hundevon Ralf Schenk | Seite 74 |
Literatur: Wo Wir war, soll wieder Ich werdenvon Katrin Schuster | Seite 74 |
Kunst: Ein schönes Wirrwarrvon Ute Müller-Tischler | Seite 75 |
Musik: Die Stille nach dem Aufruhrvon Ulrike Rechel | Seite 75 |
Aktuell | Seite 76 |
PremierenApril 2015 | |
TdZ on Tour | Seite 78 |
TdZ on Tour in Berlin | |
Impressum/Vorschau | Seite 79 |
Gespräch | Seite 80 |
Was macht das Theater, Johan Simons?von Johan Simons und Martin Krumbholz |
Margarete Affenzeller
Michael Bartsch
Josef Bierbichler
Otto Paul Burkhardt
Gunnar Decker
Friedrich Dieckmann
Dorte Lena Eilers
Stefan Fischer-Fels
Carolin Gerlach
Thomas Irmer
Manfred Jahnke
Peter Jakober
Kabinett ad Co.
Peter Kammerer
Stefan Keim
Sebastian Kirsch
Renate Klett
Martin Krumbholz
Lara Kugelmann
Ralf-Carl Langhals
Christoph Leibold
Thomas Maagh
Ute Müller-Tischler
Jan Pappelbaum
Armin Petras
Ulrike Rechel
Ralf Schenk
Uta Schorlemmer
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