Geschlossene Gesellschaft?
Künstlerische Interventionen zur kulturellen Vielfalt
Herausgegeben von Wolfgang Schneider
Broschur mit 72 Seiten, Format: 210 x 280 mm
ISBN 978-3-95749-104-6, Durchgehend farbig illustriert
Während auf dem europäischen Kontinent schon wieder Zäune gezogen und Mauern errichtet werden, zeigen Theaterkünstler der nächsten Generation, wie es anders geht: Künstlerische Interventionen entdecken kulturelle Vielfalt – im Kiez und im Kaff, in Geschichte und Geschichten, mit Recherchen der Realität und mit Formaten der Fiktion. Anlässlich der gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen ist auch das Theater für junges Publikum gefordert, klare Haltung zu beziehen. Es geht um Identitäten und Interaktionen, um das Dazugehören und das Außenvorbleiben, um Freundschaft und Fremdheit.
Das neue IXYPSILONZETT. Jahrbuch für Kinder- und Jugendtheater 2017, herausgegeben von Wolfgang Schneider für die ASSITEJ Deutschland, gewährt Einblicke in die Praxis, stellt Personen und Projekte vor, lässt Akteure zu Wort kommen. Und wie immer gibt es die wichtigsten Informationen zu Premieren, Preisen und Festivals!
Editorial
Geschlossene Gesellschaft?
Künstlerische Interventionen zur kulturellen Vielfalt
Die Zeitgenossenschaft ist ebenso wie die Zielgruppenorientierung ein Profi l des Kinder- und Jugendtheaters. Deshalb spielt Gesellschaft schon immer eine Rolle auf den Bühnen für junge Zuschauer*innen. Es geht um Identitäten und Interaktionen, es geht um das Dazugehören und das Außenvorbleiben, es geht um Freundschaften und Fremdheiten. In einer Gesellschaft leben Menschen unter bestimmten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen zusammen, definiert der Duden. 1944 beschreibt Jean-Paul Sartre seine existentialistische Weltanschauung von der Hoffnungslosigkeit einer Notgemeinschaft in dem Drama „Geschlossene Gesellschaft“, ein Jahr später präsentiert der Philosoph Karl Popper die liberale Idee einer „offenen Gesellschaft“, in der Meinungsfreiheit als oberstes Gebot gilt und Religionen zur Neutralität verpflichtet sind.
Die Spielzeit 2016/17 ist sowohl von einer „Willkommenskultur“ geprägt als auch von „Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Wir oder ihr? Rein oder raus? Und wer ist das Volk? Das Kinder- und Jugendtheater hat eine Antwort: Den kreativen Freiraum nutzen als humanistisches Plädoyer – denn die Würde des Menschen ist unantastbar! Künstlerische Interventionen entdecken kulturelle Vielfalt, im Kiez und im Kaff, in Geschichte und Geschichten, mit Recherchen zur Realität und mit Formaten der Fiktion.
Offen für die gesamte Gesellschaft
Während auf dem europäischen Kontinent schon wieder Zäune gezogen und Mauern errichtet werden, zeigen Theaterkünstler* innen der nächsten Generation, wie es anders geht, dem Anderen zu begegnen. Die darstellenden Künste thematisieren Ausgrenzung und Inklusion, operieren interdisziplinär und interkulturell, sind spezifi ziert auf Prozesse und Partizipation. Insbesondere das Theater für junges Publikum ist offen für die gesamte Gesellschaft, ermöglicht Theater in der Schule und Schule im Theater, agiert im öffentlichen Raum und reagiert auf geschützten Bühnen. Heißt es nicht immerzu, die Gesellschaft werde sich verändern? Ja, aber wohin, mit welchem Ziel und welchen Konsequenzen? Der Berliner Rapper Volkan T. zieht eine kritische Bilanz: Politik und Medien suggerieren ein Bild von Vielfalt, das mehr auf Unterschiede setzt als auf Gemeinsamkeiten, das Vorurteilen mit Vorurteilen begegnet, das nicht die repräsentiert, um die es eigentlich geht. Er plädiert für Offenheit und Toleranz, befürwortet Projekte der kulturellen Bildung und empfiehlt diese kritisch denen, die der Vielfalt mit Angst und Vorurteilen begegnen.
Theater muss teilhaben und teilhaben lassen
Ähnlichen Handlungsbedarf bei den Theatern der Republik konstatiert Geesche Wartemann in ihrem Beitrag. Bewusstes Diversitätsmanagement ist noch lange nicht selbstverständlich, Ausnahmen bestätigen leider nicht die Regel. Sie unterstützt damit die Position der Performerin Simone Dede Ayivi, die sich für Repräsentation, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung für Künstler*innen of color starkmacht und in deren Tun Christian Schönfelder einen Einblick gewährt. Die Theaterhäuser müssen sich bewegen und öffnen, stellt auch Bernd Mand fest. Das Theater muss endlich teilhaben und teilhaben lassen. Am Leben, an seinem Publikum, an der Welt. Dafür solle es sich verstärkt politisch positionieren, einmischen, Stellung beziehen.
Mutige und innovative Ansätze und Beispiele aus der Praxis belegen, es ist etwas in Bewegung – und das über die Landes grenzen hinaus. Ob in der langjährigen Arbeit mit Gefl üchteten im boat people projekt Göttingen, das Luise Rist beschreibt, ob am theaterkohlenpott in Herne, das seit vielen Jahren ganz genau hinguckt und zuhört und Projekte und Stücke mit seinem Publikum entwickelt, wie Georg Kentrup anschaulich darstellt, ob in Produktionen wie „Flugo!“, das mit Clowns ohne Grenzen in Schweden seinen Anfang nahm. Julius Heinicke zeigt in seinem Beitrag, dass Rassismus und Ausgrenzung unterschiedliche Formen annehmen können, dass Vorbehalte gegen das „Fremde“ in Afrika nicht die gleichen sein müssen wie in Europa. Und dass dementsprechend auch Förderprogramme, so wünschenswert sie grundsätzlich sind, auch immer auf die jeweilige Gesellschaft und die be stehenden Zustände angepasst werden müssen.
Kinder und Jugendliche als Akteur*innen
Themen und Geschichten mit seinem Publikum zu verhandeln, zu diskutieren, zu verändern, das ist das Credo der Beiträge dieses Jahrbuchs. Entscheidend dafür – das beschreibt Henrik Adler in seinem Artikel – ist, dass man Kinder und Jugendliche als Akteur*innen begreift, die selbst gestalten. Dafür braucht es Räume, in denen sie selbstbestimmt und gleichberechtigt agieren können, im Dialog, in Partnerschaft mit den Erwachsenen. Auch hier ist Öffnung und Umdenken gefragt. Auch hier liegt eine Chance.
Demokratie ist die Gesellschaftsform, die Menschen Freiheits-, also Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Demokratie lebt von einer offenen Gesellschaft. Und in jener gibt es selbstverständlich auch „jede Menge zu kritisieren, verbessern, modernisieren“, sagt Harald Welzer, Professor für Transformationsdesign an der Universität Flensburg, dessen Thesen Julia Dina Heße ihren Ausführungen zum Thema voranstellt. Die offene Gesellschaft braucht Modifi kation und Modernisierung, um sich dynamisch zu stabilisieren in einer sozialen und natürlichen Umwelt, die stetig in Bewegung ist.
Manches deutet darauf hin, dass im Theater für junges Publikum ein Paradigmenwechsel überfällig ist, von der Angebotsorientierung hin zu mehr Teilhabeermöglichung. Gelebte Demokratie braucht die Partizipation als Lebenselixier.
Seit dem 22. September 2016 ist jeder Tag der offenen Gesellschaft gewidmet (www.die-offene-Gesellschaft.de), 365 Tage lang, bis zur nächsten Bundestagswahl. Machen wir mit, auch mit Kinder- und Jugendtheater!
Wolfgang Schneider
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Geschlossene Gesellschaft?Künstlerische Interventionen zur kulturellen Vielfaltvon Wolfgang Schneider | Seite 1 |
Vielfalt als AlibiEin Plädoyer für Individualität und Heterogenitätvon Volkan T. | Seite 4 |
Die offene GesellschaftVom Auftrag, Zukunft durchzuspielenvon Julia Dina Heße | Seite 7 |
„Unser Weg entsteht mit denen, die ihn mit uns gehen.“Aus der Praxis des boat people projekt in Göttingenvon Luise Rist | Seite 10 |
Undoing DifferencesVon der Notwendigkeit eines Diversitätsmanagementsvon Geesche Wartemann | Seite 12 |
Ein Akt der SelbstermächtigungPositionsbestimmung der Performerin Simone Dede Ayivivon Christian Schönfelder | Seite 14 |
Von der Emanzipation zur KollaborationDer gesellschaftliche Wandel des Kinder- und Jugendtheaters in Deutschlandvon Henrik Adler | Seite 16 |
Die kohlenpott-RealitätWie das Theater in die Stadt hineinwirktvon Georg Kentrup | Seite 19 |
Ab in die Realität!Theater für junges Publikum mischt sich einvon Bernd Mand | Seite 21 |
Anderswo ist meist nicht genausoWie uns Theater andere Weltbilder zugänglich machtvon Julius Heinicke | Seite 23 |
Flugo!Aus der Praxis von Clowns ohne Grenzen in Schwedenvon Pelle Hanæus | Seite 25 |
Quer gelesen | |
Realitäten und BühnengeschehenEin Streifzug durch die Publikationen zum Kinder- und Jugendtheater in der Spielzeit 2015/16von Ilona Sauer | Seite 29 |
Ein Jahr des Kinder- und JugendtheatersMein Rückblick auf die Spielzeit 2015/16von Wolfgang Schneider | Seite 36 |
Sieben auf einen StreichHier kommen die Schauspieler*innen zu Wortvon Lea Wittig, Gerrit Bernstein, Lina Hoppe, Henning Jung, Johanna Martin, Angelina Berger und Benjamin Werner | Seite 39 |
Service | |
PreiswürdigAuszeichnungen für Kinder- und Jugendtheater 2016 | Seite 46 |
Festivaltermine | Seite 48 |
ASSITEJ DeutschlandPremieren in der Spielzeit 2016/17 | Seite 50 |
ASSITEJ AustriaPremieren in der Spielzeit 2016/17 | Seite 66 |
ASSITEJ SchweizPremieren in der Spielzeit 2016/17 | Seite 68 |
ASSITEJ LuxemburgPremieren in der Spielzeit 2016/17 | Seite 69 |
ASSITEJ LiechtensteinPremieren in der Spielzeit 2016/17 | Seite 69 |
Impressum |
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Weitere Beiträge von Wolfgang Schneider
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Matthias Rebstock, Jens Roselt und Geesche Wartemann im Gespräch mit Wolfgang Schneider, bearbeitet von Micha Kranixfeld
Ein Jahr des Kinder- und Jugendtheaters
Mein Rückblick auf die Spielzeit 2017/18
Der Modellbauer
Zum Tod des Regisseurs der „Linie 1“ Wolfgang Kolneder
Die Pionierin
In Gedenken an Geesche Wartemann, die erste Professorin für Kinderund Jugendtheater
Mitspielkunst als Profil
Laudatio auf pulk fiktion zur Verleihung des George Tabori Förderpreises des Fonds Darstellende Künste
Bibliographie
Beiträge von Wolfgang Schneider finden Sie in folgenden Publikationen:
IXYPSILONZETT 02/2022
Märchen
Heft 09/2022
BRACK IMPERieT
„Hedda Gabler“ von Vegard Vinge und Ida Müller in Oslo
Heft 02/2022
Henry Hübchen
Jeden Monat die wichtigsten Themen bei Theater der Zeit
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