Marcel Cremer und die Agora
Ein Lesebuch zum Theater der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens
Herausgegeben von AGORA Theater und Christel Hoffmann
Taschenbuch mit 352 Seiten, Format: 120 x 200 mm
ISBN 978-3-95749-281-4, Mit zahlreichen Abbildungen
Marcel Cremer war ein Grenzgänger. Nicht nur als Gründer und Leiter des AGORA Theaters, einer freien Gruppe in St. Vith, die als herausragende Institution der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien vorbildhafte Wirkung für ein interkulturelles Theater hat. Auch als Regisseur schuf er großartige Inszenierungen für Erwachsene und Kinder gleichermaßen, die die Zuschauer begeisterten, aber auch provozierten. Er entwickelte eine eigene Arbeitsmethode – das Autobiografische Theater, die er auch in Workshops vermittelte. Christel Hoffmann, Wegbegleiterin von Marcel Cremer (1955–2009), gibt Einblick in sein nach wie vor aktuelles Werk. Tagebuchaufzeichnungen, Gedichte, Briefe, Reden und Manifeste, zu einem aufschlussreichen Lesebuch kompiliert, zeigen Kämpfe, Rückschläge und Erfolge eines leidenschaftlichen Theatermachers.
Anhand einzelner Inszenierungen wird darüber hinaus gezeigt, wie das Erbe von Cremer am AGORA Theater, das 2020 sein vierzigstes Jubiläum feiert, weitergeführt wird: in einer offenen künstlerischen Auseinandersetzung, die die eigenen Wurzeln nicht leugnet und doch in die Zukunft weist.
1987 war ich 17 Jahre alt und hatte mich mit Leib und Seele dem Kampfsport verschrieben. Als künftiger Dan-Träger wurde ich als möglicher Leiter einer der neuen Hap-Ki-Do-Schulen gehandelt, die an vielen Orten Belgiens entstanden. Für mich, einen Landjungen aus Ostbelgien, versprach diese Perspektive eine Aufwertung des Selbstgefühls, die Erfahrung eigener Wirksamkeit und einen Ort, an dem ich wahrgenommen werden könnte – jenseits der biografischen Schablonen meiner Herkunft. Zu der Zeit war ich mit Petra verbunden, meiner ersten großen Liebe. Fast gönnerhaft gab ich ihrem Wunsch nach, mit ihr ein Theaterstück des AGORA Theaters zu besuchen. Während sie diese Einladung formulierte, erinnerte ich mich an meine früheren Schuljahre. Besuche von Aufführungen des AGORA Theaters waren für Schüler in Ostbelgien zu dieser Zeit keine Seltenheit. In meinen Erinnerungen saß ich während der Vorstellungen in den letzten Reihen und spielte Skat mit meinen Freunden. Bis die Veranstaltung endlich vorbei war.
Als wir die Turnhalle betraten, in der das Theaterstück spielen sollte, fühlte ich mich zuerst wie zu Hause. Sport – das kannte ich. Trotzdem war ich irritiert: Theater braucht doch eine Bühne? Hier gab es nur einen links und rechts von Stuhlreihen umgebenen Steg. Der Aufbau erinnerte mich an eine Modenschau. Doch schnell wurde mir etwas anderes bewusst. Mir gegenüber saßen Menschen, die mich ebenso sahen wie ich sie und die auf das, was bald zu sehen sein würde, warteten, ja es erwarteten. Menschen, die meinem Zusehen zusahen, meine Erwartung spiegelten. Die Inszenierung begann mit dem Auftritt der Spieler. Irritiert lauschte ich Texten und sah eine überwältigende und – ja – gewalttätige Bilderflut. Später lernte ich die Verbindungen verstehen, die mir plötzlich so bedeutsam erschienen. Texte von Pablo Neruda, Nâzim Hikmet, Bertolt Brecht und anderen jeweils durch ihre Exilsituation definierten Autoren wurden gesprochen. Und dann als Höhepunkt die – wie man im digitalen Zeitalter sagen müsste – in Echtzeit durchgeführte Schlachtung eines Huhns auf der Bühne. Im Hintergrund, am Kopfende des Stegs liefen auf einer Leinwand derweil Dokumentaraufnahmen von der Entmachtung Allendes in Chile, vom Militärputsch in Griechenland, von der Machtübernahme des Militärs in der Türkei. Ich habe nichts davon zuordnen können; aber ich habe etwas davon verstanden. Trotzdem versuchte ich zuerst, diese eben auch „kriegerischen“ Bilder in mein Kampfsport-Ethos zu übertragen.
Ein paar Tage später hörte ich im ostbelgischen Radio eine Sendung, in der Marcel Cremer – der Regisseur dieser Inszenierung – scharf angegriffen wurde. Der Tenor lautete: Das darf man nicht machen, das darf Theater nicht. Ich war beeindruckt von dieser Aufregung, dieser Wirkung, und in meinem jugendlichen Idealismus fühlte ich mich aufgefordert, den mir unbekannten Autor eines mir immer noch nicht verständlichen Stücks zu verteidigen. Ich griff zum Hörer und rief die Radiohotline an, um an der öffentlichen Diskussion über das Stück teilzunehmen. Ich war nervös, weil ich dachte: Hier, in der ländlichen deutschsprachigen Region Belgiens kennt fast jeder jeden. Ich war mit Landwirten aufgewachsen. Meine Kindheit fand auf dem Dorf statt. Das Töten von Tieren gehörte zu meinem Erfahrungsinhalt. Also wusste ich, die ganze Aufregung um den Schlachtvorgang musste etwas mit dem anderen Kontext zu tun haben, in dem er stattgefunden und gleichzeitig gezeigt worden war: mit dem Theater.
Ich weiß bis heute nicht, wie ich zu dieser Entscheidung des AGORA-Gründers Marcel Cremer stehe, diese Aktion im Stil des Wiener Aktionismus zum Zentrum einer politisch aufgeladenen Inszenierung zu machen. Aber ich weiß, dass die Aufregung um diese inszenatorische Entscheidung mir die Differenz zwischen der Bühne des Theaters und der Bühne der Realität deutlich gemacht hat: Das „zweckentfremdete“ Schlachten eines Huhns auf der Bühne als Beitrag zur geistigen Nahrung wird im Gegensatz zum Schlachten eines Huhns in der modernen Massentierhaltung als sinnlos, ja sadistisch und tierquälerisch deklariert. Auch erinnere ich mich nicht mehr, welche Worte mein 17-jähriges Selbst im Radio gefunden hat, um diese empfundene Ungerechtigkeit auszudrücken. Bemerkt aber habe ich ihn, das heißt, ich habe ihn auf dem Theater gesehen. Das Stück hieß „Algunas Bestias“ und einer der Spieler des AGORA Theaters war Roland Schumacher. Er war mein Lehrer an der Schule, an der ich zu dieser Zeit mein Abitur machte, und sprach mich wenige Tage nach dem Anruf im Radiostudio an, um mir mitzuteilen, dass Marcel Cremer sich gerne mit mir treffen würde. Meine erste Begegnung mit dem Menschenfänger, dem Mann, der begeistern, führen und verführen konnte. Und großartiges Theater auf die Bühne gebracht hat. Am 17. Mai 1987 fand dieses erste Treffen in seinem Heimatdorf Crombach statt. So bin ich zur AGORA gekommen. Und wie viele davor und danach damit zu einer davor nie erahnten und bis heute nicht vollendeten Zukunft.
Marcel Cremer war Gründer, Denker, Regisseur und Autor dieses AGORA Theaters. Eine ungeheure Fülle an Macht und Möglichkeiten, die wir heute, auf der Basis seines Erfolgs, vielleicht auf mehrere Schultern verteilen können. Seine Geschichte steht für sich selbst: Er inszenierte 36 Stücke mit der AGORA. Diese führten zu 3500 Aufführungen in über dreißig Ländern und zu zahlreichen Preisen und Auszeichnungen. Durch das Prinzip learning by doing entwickelte Marcel über diese vielen Produktionen hinweg die Methode des „Autobiografischen Theaters“, die mittlerweile im deutschsprachigen Theater und bei theaterpädagogischen Ausbildungszentren auf immer breiteres Interesse stößt.
Der Tod Marcels im Jahr 2009 war in doppelter Hinsicht ein Einschnitt. In einem Bild zusammengefasst: Im Moment seines Todes fingen wir – das Ensemble des AGORA Theaters – an, nicht mehr nur on the road, sondern auch in der Sicherheit eines Baus aus Steinen zu leben. Das Unwahrscheinliche wurde wahr. Zeitgleich mit dem Tod des Gründers wurde seine Gründung institutionalisiert. Das AGORA Theater bekam „ein Zuhause“ im 2009 eröffneten Kulturzentrum Triangel in St. Vith und eine Basisförderung, die der Institution AGORA eine langfristige, davor nie dagewesene finanzielle Absicherung bot. Nach und mit der Trauer kam die Frage: Was tun? Ich erinnere mich an den ersten Workshop, den ich zusammen mit Viola Streicher nach Marcel Cremers Tod gegeben habe. Der Strohhalm, an den wir uns klammerten, waren seine Worte. Fetzen und Fragmente, in denen er den sich permanent verändernden Prozess seiner Arbeit mit uns festzuhalten versucht hatte. Um noch einmal auf die Kultur meiner ostbelgischen Herkunft zu kommen: Beim Skat heißt es „Wer schreibt, der bleibt“. Hier wurden die niedergeschriebenen Momentaufnahmen einer Arbeitsweise, die davon lebte, sich ständig zu erneuern, zu unserer Berechtigung, nach seinem Tod weiter zu arbeiten, weiter als Theater zu existieren. Viele von uns, vielleicht besonders ich, der durch das Ensemble mit der Leitung des Theaters beauftragt wurde, haben diese Phase zunehmend so erlebt, dass aus verinnerlichten (Grund-) Sätzen in der Praxis Worthülsen werden konnten. Regeln, die wir selbst als Spieler als enorm produktiv erlebt hatten, liefen manchmal Gefahr, zu sterilen Gesetzen zu verkommen. Prinzipien wurden zu Dogmen und die AGORA zur Institution, deren Aufgabe darin bestand, diese zu verteidigen.
„No dog’s ever pissed on a moving car“. Das war Marcel Cremers Lieblingszitat aus einem Interview mit Tom Waits, den er sehr verehrte. Dieses fahrende Auto gibt ein Bild davon, warum er die Terminologie, die „AGORA sei in/eine Bewegung“, so wichtig fand. Die von mir, von uns als die einzig wahre Form der Bewegung definierte und verschriftlichte Form seiner Methode geriet in Gefahr ein Auto mit Motorschaden zu werden und zum Stillstand zu kommen. Das Kuriose – oder vielleicht auch gar nicht so Kuriose – daran ist, dass dieses Festhalten und Umsetzen funktioniert hat. Wir blieben erfolgreich mit den Stücken, die wir puristisch strikt nach unserem Verständnis seiner mit uns erarbeiteten Methode entwickelten. Doch Theater ist aktuell. Die Arbeit des The9 aters ist alltägliche Arbeit, weil ihr brennender Mittelpunkt die Fragen des Tages sind. Persönlich formuliert: Gerade weil ich – und andere – durch Marcel Cremer zu Theatermachern geworden waren, stellte sich immer drängender die Frage: Machen wir noch ein Theater, dass 17-Jährige zu einem solchen Erlebnis führen kann, wie es mir als 17-Jähriger ermöglicht wurde? Die Antwort lag und liegt nahe: Ja, aber nicht ohne in Bewegung zu bleiben. Was also tun?
Die AGORA existiert bereits. Sie kann nicht zwei Mal gegründet werden, so wie niemand zwei Mal geboren werden kann. Obwohl: Ist nicht das Theater der Ort, an dem diese Frage immer wieder gestellt wird? Was heißt Veränderung, wenn wir die Texte und Erfahrungen der Vergangenheit mitund ernstnehmen? Die AGORA will sich nicht neu gründen, aber muss sich immer wieder neu finden und erfinden.
Egal, wie sicher, gewachsen und vom Ensemble getragen unsere Grundsätze auch sein mögen, so können wir uns doch nie auf sie allein verlassen, wenn es um das Finden von Bildern und Themen sowie das Sprechen auf dem Theater im Hier und Jetzt geht. Diese Geschichte macht uns aus, sie verbindet uns mit einer möglichen Zukunft. In einem immer noch andauernden Prozess mussten und müssen wir Methode und Mittel unserer Theaterarbeit neu befragen. Wir konnten und können dabei erleben, dass viele Aspekte, z. B. die Mittel der Autobiografischen Methode, aktueller denn je sind. Mit aus der Gegenwart und den Möglichkeiten und Erfahrungen neuer Ensemblemitglieder hergeleiteten Veränderungen kombiniert, kann das Erbe Marcel Cremers unsere Arbeit auch heute erfolgreich leiten. Vielleicht kann ich das Ergebnis dieses Prozesses für mich bis heute mit folgendem Motto zusammenfassen: Wir brauchen die Wurzeln, aber wir suchen den Flug. Von wo aus – welchem Ort, welcher Geschichte – und mit wem – welchem Zuschauer – wir sprechen, wer wo und wie für wen spricht: Dies sind Fragen, die zu stellen wir mit Marcel Cremer gelernt haben und die unsere aktuellen Produktionen an unsere Zeit stellen.
Noch heute denke ich oft an Marcel Cremers letztes großes Projekt: „Wanted Hamlet“. Ein Stück um oder zu Hamlet – allerdings auch ein Stück ohne Hamlet. Natürlich haben wir Shakespeare gelesen. Aber mit der Produktion versuchten wir herauszufinden, welche Fragen sich aus der Lektüre des Klassikers für uns, für unsere Gemeinschaft, für unsere Zeit ergeben. Die Frage, die sich immer in den Produktionen des AGORA Theaters stellt, ist die nach unserem Leben. Als ein Leben mit anderen.
Ich erinnere mich gut an eine der wesentlichen Sentenzen Marcel Cremers: „Alle Figuren der Weltliteratur stecken in jedem einzelnen Menschen.“ Ich kann nicht sagen, dass es mich überrascht, aber doch, wie froh ich bin, dass die Gründungsenergie, die Bildungskraft, ja die Engstirnigkeit von Marcel Cremer (also letztendlich er selbst) uns die AGORA gegeben hat. Heute bin ich – auf Zeit – verantwortlich für dieses Theaterensemble. Zusammen mit allen seinen alten, neuen, bleibenden, engagierten, spielenden und organisierenden, zufriedenen und manchmal auch unzufriedenen Mitgliedern. Das AGORA Theater ist ein Raum, der immer wieder neu entsteht. Hannah Arendt, die für unser Ensemble in jüngster Zeit zum zentralen Gegenstand einer Produktion geworden ist, hätte vielleicht gesagt: ein Raum der Erscheinung. Arendt hat diese politische Kategorie mit Blick auf die Ästhetik des Theaters, der Kunst insgesamt, entwickelt. Wir sind überzeugt davon, dass wir mit den ästhetischen Mitteln unserer Arbeit auch in die andere Richtung arbeiten: die Fragen der politischen Gegenwart in den Blick zu bekommen. Welche Möglichkeiten schafft Veränderung? Wohin genau unser Weg in den nächsten Jahren führt, wissen wir noch nicht. Weder wir als Theaterensemble noch die Gesellschaft als Ganzes. Aber ich bin überzeugt davon, dass das von Marcel Cremer mit dem Ensemble der AGORA Geschaffene und Erreichte in seinem Reichtum und Potenzial uns ermöglicht, die Fragen der Zeit zu erkennen. Wir tragen dazu bei, die Mittel zu entwickeln, sich diesen Fragen zu stellen.
Dieses Buch ist der Versuch, Kontingenz mit Kontinuität, Erinnerung mit Geschichte, Tradition mit Veränderung und Treue mit Verrat als Diskursangebot aus dem AGORA Theater heraus auf die Agora unserer Gesellschaft zu bringen. Christel Hoffmann hat in einer über zwei Jahre dauernden Aufarbeitung aus Marcel Cremers Tagebuchaufzeichnungen, Inszenierungsmitschriften, Briefen, Vorträgen und Reden eine beeindruckende Auswahl getroffen. Ihr Textbeitrag gibt ausführlichen Einblick in das Wirken eines Gründers, Poeten und Regisseurs. Die von ihr ausgewählten Texte führen die Leser bei der Lektüre – und für Christel Hoffmann war es immer entscheidend, dass dieser Band ein „Lesebuch“ sein sollte – in die Begegnung mit einem poetischen, politischen und polemischen Menschen. Sie erleben ihn in der Darstellung seiner theaterpraktischen Aktivität, ebenso wie als zweifelnden Menschen oder an seinem Ensemble verzweifelnden Regisseur.
Diesen Texten unseres Gründers sind in einem ersten Teil vier Texte vorangestellt, die sich mit Inszenierungen und Reflexionen der heutigen AGORA beschäftigen. Drei Texte von Sebastian Kirsch, Susanne Winnacker und Luna Ali, die ihre Außensicht auf zwei der aktuellsten Inszenierungen der AGORA mit den Lesern teilen: „Animal Farm – Theater im Menschenpark“ und „Hannah Arendt auf der Bühne“. Inszenierungen, die ohne die mitunter schmerzhafte, aber unglaublich wertschätzende Befragung unseres Theaterhandelns durch Felix Ensslin und Ania Michaelis nicht entstanden wären. Claus Overkamp, der „Heute: Kohlhaas“ 2011 als erster Regisseur inszenierte, der nicht aus dem Ensemble selbst stammt, war für diese Öffnung der Wegbereiter. Den Übergang zum Hauptteil dieses Buches bildet der Beitrag zum Thema „Collectif!“, der auf Anfrage von Jean Debevfe, Marianne Hanse und Didier de Neck – den Gründer*innen des Théâtre de la Galafronie aus Brüssel – anlässlich der „Royale Révérence“, einer dreitägigen „Beerdigungsfeier“ des Theaters, im April 2018 entstanden ist.
Welche Agora – welchen Raum der Solidarität und der Auseinandersetzung – brauchen wir in Zukunft? Zukunft braucht und hat immer eine Geschichte. Ohne den Gründer Marcel Cremer und ohne die vielen Ensemblemitglieder, die – zum Teil von Beginn an – für die Kontinuität und Geschichte des AGORA Theaters stehen, gäbe es uns nicht. Und ohne Impulse von außen können wir nicht überleben. Für diese Impulse, diese Öffnung stehen in den letzten Jahren die Inszenierungen durch Regisseure, die wir neu zur AGORA eingeladen haben. Das Theater geht eben immer weiter. Neben den oben erwähnten, in diesem Band besprochenen Inszenierungen stehen dafür – neben Stückentwicklungen innerhalb der Theaterpädagogik wie dem internationalen Jugendprojekt „Identity“ – z. B. Inszenierungen wie „König Lindwurm“, ein Solostück des Ensemblemitglieds Viola Streicher, die als langjährige Lebensgefährtin von Marcel Cremer und seine Erbin auch den Impuls und die Textrechte für diesen Band gegeben hat. Oder die Inszenierung von Slavoj Žižeks „Die drei Leben der Antigone“. Oder die Bearbeitung von Hannah Arendts Fabel über die „Weisen Tiere“, eine Inszenierung für sehr junge Zuschauer – und, in der Tradition unseres Theaters, für jeden anderen Zuschauer auch.
Die anachronistisch anmutende Entscheidung, den kleinen Ausblick auf die Theaterpraxis der AGORA heute, wie sie sich in der Auseinandersetzung mit dieser Geschichte in der Gegenwart entwickelt, den Reflexionen des Gründers Marcel Cremer voranzustellen, ist – davon bin ich überzeugt – ganz in dessen Sinne: Wir reflektieren, mit der Hilfe der Leser, das Angebot des Wirkens in seiner Zeit, um uns der Frage nach der eigenen Wirksamkeit heute zu stellen. Es ist sozusagen die autobiografische „Ich-Geschichte“ des AGORA Theaters, die am Anfang eines jeden künstlerischen Prozesses unseres Theaters steht.
Kurt Pothen, Künstlerischer Leiter des AGORA Theaters
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Zum Lesebuchvon Kurt Pothen | Seite 5 |
Das AGORA Theater in der Nachfolge von Marcel Cremer | |
Ein Chor liest Sloterdijkvon Sebastian Kirsch | Seite 14 |
Hannah Arendt auf der Bühne – eine Be-schreibungvon Susanne Winnacker | Seite 27 |
Die Sprache bei ihren Worten nehmenvon Luna Ali | Seite 34 |
Die Gründer sind tot, lang lebe das Gründenvon Felix Ensslin, Ania Michaelis und Kurt Pothen | Seite 43 |
Schlachte nie ein Huhn auf der BühneEin Lesebuch mit Gedichten und Texten von Marcel Cremervon Christel Hoffmann | Seite 47 |
I. Die Bühne ist der Ort der Freiheit. Die Bühne ist der Hort der Freiheit.von Marcel Cremer | Seite 77 |
II. Wenn wir ERINNERUNGEN spielen, teilen wir sie mit dem Zuschauer. Das befreit uns und ihn aus der EINSAMKEIT.von Marcel Cremer | Seite 90 |
III. Ihr alle, meine Kunst ist radikaler, weil ich in meiner Erziehung mehr Prügel bekommen habe.von Marcel Cremer | Seite 96 |
IV. Inszenieren ist: Du träumst Bilder und sie entstehen in den Köpfen der Schauspieler.von Marcel Cremer | Seite 105 |
V. Ich wünsch mir oft so sehr dass mir jemand MUT macht. Aber ich muss dann zuerst denjenigen MUT machen, dass sie mir MUT machen.von Marcel Cremer | Seite 109 |
VI. Ein Blick ist mehr als ein Wort. Ein Augenblick ist mehr als immer. Ein Wort ist mehr als zwei.von Marcel Cremer | Seite 115 |
VII. Wie kann ich ohne Namen leben? Findet mir einen Namen Gebt mir einen Namen. Ich möchte heiSSen wie ein Wochentag An dem jeder lacht.von Marcel Cremer | Seite 119 |
VIII. Nichts bleibt, wie es ist. Im Gepäck haben wir die Erinnerung. Wir werden neue Grenzen überschreiten, neue Kontinente betreten, uns neue Wege ebnen. die Segel zu setzen und die Welt zu bereisen.von Marcel Cremer | Seite 131 |
XVI. Die Lyrik geht an Orte, ohne Worte. Erst wenn sie angekommen sind da Worte. Vorher werden sie wortlos unsäglich. (nach Rilke-Lektüre)von Marcel Cremer | Seite 179 |
IX. Wenn zwei eine Wolke betrachten, dann ist die Wolke für den einen ein Hexe ngesicht, Für den anderen ist die Wolke ein Buckelwal. Während die beiden darüber streiten, wer Recht hat, zieht die Wolkvon Marcel Cremer | Seite 186 |
X. Geh nie in den Wald, um die Feder des Raben zu suchen. Du wirst sie nicht finden. Und sonst auch blind sein.von Marcel Cremer | Seite 224 |
XI. Ich habe viele Tiere gemalt. Auch Katzen. Schwarze. Gelbe. Gefleckte. Aber eine Haifischkatze nie. Auf so eine Idee muss erstmal einer kommen.von Marcel Cremer | Seite 237 |
XII. Wenn Der Löwe, der Hirsch und der Hase die Geschichte der Jagd schreiben würden und nicht die Jäger, wäre es eine andere.von Marcel Cremer | Seite 245 |
XIII. Zwischen Schaukelpferd und Schaukelstuhl da lebt der Mensch.von Marcel Cremer | Seite 254 |
XIV. Ich will nicht sterben Jeden Abend Ich will nicht sterben Am Ende der Welt Für den König von Dänemark. Ich will nicht sterben FÜR KEINEN KÖNIG DIESER ODER JENER WELT.von Marcel Cremer | Seite 259 |
XV. So wenig wie das Kind weiSS dass es ein Kind ist weiSS der Horizont dass es ihn gibt, wirklich gibt.von Marcel Cremer | Seite 270 |
XVII. Wie kann ich gleichzeitig Mit dieser Gegend So verwurzelt sein und doch in einem so heimatlos. Bin ich der Baum? Bin ich das Blatt vom Baum?von Marcel Cremer | Seite 288 |
XVIII. Adresse: MARCEL CREMER CROMBACH, 49 4780 St. Vith Belgienvon Marcel Cremer | Seite 308 |
XIX. Wenn ich zu lange sitze an einem Ort, verwandelt sich der Wind in Durchzug, der mich krank macht.von Marcel Cremer | Seite 315 |
XX. Ich liebe dich und alle Worte reichen nicht es dir zu sagen.von Marcel Cremer | Seite 331 |
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