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kirschs kontexte: „Wo er verjagt ist, bleibt die Unruh’“
Zum „Lob des Schleppers“ von andcompany&co
von Sebastian Kirsch
„Viele sind zu viel / Wenn sie fort sind, ist es besser / Aber wenn er vor Ort ist, hilft er“ – so beginnt das „Lob des Schleppers“, inspiriert vom Brecht’schen „Lob des Revolutionärs“, das die Gruppe andcompany&co in „Orpheus in der Oberwelt“, ihrer „Schlepperoper“, anstimmt. „Er organisiert seinen Kampf / Um den Aufenthalt, um die Papiere / Und um die richtige Route. / Er fragt das Grenzregime: / Woraus bestehst du? / Er fragt die Nachrichten: / Wem nütztet ihr?“ Ist es angemessen, dieses Lob aufrechtzuerhalten, nach den jüngsten Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer? Beziehungsweise, da das Wort Katastrophe ein Euphemismus ist, nach den Verbrechen an über 3000 Menschen, die seit Januar dieses Jahres vor der europäischen Außengrenze bereits ertrunken sind?
Jedenfalls: Wo das „Lob des Schleppers“ abgewürgt werden soll, ist mindestens Misstrauen angebracht – schon wegen der Verlogenheit, mit der zurzeit ausgerechnet diejenigen politischen Kräfte die Schuld an den Toten auf „verbrecherische Schlepperbanden“ schieben, die deren Geschäftsgrundlage mit ihrer Grenzpolitik jeden Tag neu schaffen. Außerdem gilt es daran zu erinnern – und das ist auch ein zentrales Motiv der „Schlepperoper“ –, wie sehr sich die öffentliche Darstellung der Schlepperfigur in den letzten zwanzig Jahren geändert hat. Denn der Schlepper war so lange eine Licht- und Heldengestalt, wie sein Geschäft darin bestand, „unsere Brüder und Schwestern aus dem Osten“ über den „Eisernen Vorhang“ zu bringen. Und er hieß damals auch nicht „Schlepper“, sondern „Fluchthelfer“: ein guter Übermittler, Überbringer, Übersetzer im buchstäblichen Sinn. Seitdem er sich allerdings auf das „Einschleu- sen“ angeblicher „Flüchtlingsströme“ aus außereuropäischen Territorien verlegt hat, ist aus dem einstigen Über-Setzer ein gefährlicher Über-Träger geworden.
Man könnte auch sagen: Der Schlepper ist und war seit je ein Hermeneut des Migrationsgeschäfts. Der grenzgängerische Schutzgott der Hermeneutik – nämlich Hermes – ist jedoch eine hochgradig zwielichtige Gestalt (wie die Griechen sehr genau wussten, während die Anhänger der Hermeneutik es bis heute lieber vergessen): Der Übersetzer und Überbringer göttlicher Botschaften zum einen, und zum anderen der Gott der Händler und der Kaufleute – aber eben auch der Gott der Diebe und Betrüger. Diese drei Komponenten hängen untrennbar zusammen, und auch in der Schlepperfigur sind sie unauflöslich vereint. Welcher Teil allerdings gerade mit besonderer Vehemenz aktualisiert wird, darüber entscheidet allein das jeweilige politische Interesse. „Wo zu viel gesprochen wird / Dort wird er schweigen / Und wo humanitäre Katastrophe herrscht / und von Sicherheit die Rede ist / Wird er die Namen fälschen. / Wohin sie ihn jagen, / dorthin geht die Grenze, / und wo er verjagt ist / Bleibt die Unruh’.“ //