Heft 05/2018
Kunst gegen Kohle
Ruhrfestspiele Recklinghausen. Intendant Frank Hoffmann
Broschur mit 80 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Als im Jahr 1993 die Vampire über dem Ruhrgebiet kreisten, war der Aderlass bereits im Gange: Die Kohlekrise traf die Region am westlichen Rande Deutschlands hart. Zechen wurden geschlossen, die verbleibenden Betriebe mittels Subventionen von Bund und Land gestützt. 2018 soll nun endgültig Schluss sein mit der Kohle. Mit dem Bergwerk Prosper-Haniel in Bottrop wird im Ruhrgebiet die letzte Steinkohlenzeche schließen. Was folgt, ist die Kunst, neben Projekten aus Kultur, Bildung und Sport, wie die Initiative „Glückauf Zukunft!“ der RAG-Stiftung verkündet. Ein sinnvoller Ersatz? Während Ludger Vortmann, Autor des 1993 erschienenen Romans „Müller – Der Ruhrpottvampir“, einen satirischen Blick auf die Versuche wirft, die Leerstellen, die die Kohle gelassen hat, mit Kunst zu füllen, hat Frank Hoffmann, Intendant der Ruhrfestspiele Recklinghausen, eine ganz andere Geschichte zu erzählen. Sein Festival, dessen Leitung er nach nunmehr 14 Jahren abgeben wird, ist überhaupt erst aus der Kohle entstanden: Als Zechenkumpel im Winter 1946/47 Hamburger Theatermachern Heizmaterial für ihre Spielstätten zur Verfügung stellten, schickten diese im Gegenzug Gastspiele nach Recklinghausen. Kunst gegen Kohle – die Ruhrfestspiele waren geboren, mit einem einzigartigen Publikum, wie Frank Hoffmann im Gespräch mit Martin Krumbholz berichtet. Denn hier saßen sie, die Arbeiter, die andernorts im Theater fehlten.
Auch in Berlin ging es im Jahr 1993 einer Institution an den Kragen. Das Schiller-Theater wurde geschlossen, während ein anderes Theater seinen Höhenflug antrat: die Volksbühne Berlin unter der Intendanz von Frank Castorf. 25 Jahre und einen Intendantenwechsel später steht das weltberühmte Haus am Rosa-Luxemburg-Platz jedoch ebenfalls blutleer da. Am 13. April verkündete die Berliner Kulturverwaltung, dass Chris Dercon, bis dato Intendant der Volksbühne, im gegenseitigen Einvernehmen zurückgetreten sei. Vorausgegangen war eine halbe Spielzeit voll künstlerischer Flops und scharf geführter Debatten samt Volksbühnen-Besetzung. Das eigentliche Skandalon indes ist das grandiose Scheitern der Berliner Kulturpolitik, die unter Federführung des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller und des damaligen Kulturstaatssekretärs Tim Renner die Intendanz mit all ihren Luftschlössern erst ermöglicht hatte. Jakob Hayner hat diesen Fall kommentiert.
Von der Politik übermannt wurde die Kunst auch im großen Jubiläumsjahr 1968, um das es in unserem Schwerpunkt in diesem Heft geht. Fünfzig Jahre nach Studentenrevolte und „Prager Frühling“ erinnern sich die Schriftstellerin Barbara Honigmann und der Dramatiker Lothar Trolle an die Ereignisse in Ost und West. Letzterer schrieb zudem ein Dramolett für dieses Heft: „Die Sieger“ heißt es und ist in unserem Stückabdruck zu finden. Gunnar Decker vermisst in einem groß angelegten Essay die Resonanzen von ’68 in Film und Theater. In Düsseldorf, Augsburg und München erkunden wir, wie Theatermacher sich heute mit dem Jahr 1968 auseinandersetzen, während unsere Kolumnistin Kathrin Röggla dafür plädiert, lieber gleich Jubiläen fürs Zukünftige zu erschaffen.
Eine Siegerin, würde Mark Lammert sagen, ist die Schauspielerin Valery Tscheplanowa, die im Januar mit dem renommierten Ulrich-Wildgruber-Preis ausgezeichnet wurde, nicht. Sie spiele nicht auf und schon gar nicht: gegen. Es sei die Souveränität, die bei dieser Ausnahmeerscheinung strahle. Wir veröffentlichen die furiose Laudatio von Mark Lammert, in der er sich dieser „Katze von Kasan“ nähert. In unserem Künstlerinsert porträtieren wir zudem den kongenialen Gesamtkunstwerker und Puppenspieler Nikolaus Habjan, den Sabine Leucht für uns traf.
Mit der Mai-Ausgabe 2018 hat auch Theater der Zeit ein Jubiläum zu begehen. Vor 25 Jahren, im Mai 1993, erschien nach über einjähriger Pause die erste Ausgabe der neu gegründeten Zeitschrift Theater der Zeit, ökonomisch, strukturell und inhaltlich auf neue Beine gestellt. Im Editorial hieß es damals: „In einer Situation weltgeschichtlicher Umwälzungen will die Zeitschrift Theaterleuten aus Ost und West, aus Nord und Süd ein Forum der Kritik, der Debatte, der Verständigung eröffnen; in einer zerklüfteten Theaterlandschaft will sie zu einer gemeinsamen Sprache beitragen.“ Ein Anliegen, dem wir auch heute noch mit aller Dringlichkeit folgen. //
Die Redaktion
Artikel | Seite |
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Artikel | Seite |
Künstlerinsert | |
Puppenvon Nikolaus Habjan | Seite 6 |
Der PuppenmagierEin Mann, elf Puppen, fünfzehn Rollen – Nikolaus Habjan ist ein so charmanter wie begnadeter Gesamtkunstwerkervon Sabine Leucht | Seite 10 |
Thema | |
Der Traum vom AnderswerdenDie sechziger Jahre als Zeit des Aufbruchs – und des Abbruchsvon Gunnar Decker | Seite 13 |
Zwölf StudentenÜber das Jahr 1968 im Ostenvon Barbara Honigmann | Seite 16 |
Rauch und Randale? Theaterabende über 1968„Animal Farm“ von George Orwell in der Regie von Felix Ensslin und dem belgischen Agora-Theater am Forum Freies Theater Düsseldorfvon Sebastian Kirsch | Seite 18 |
Rauch und Randale? Theaterabende über 1968„1968: Geschichte kann man schon machen, aber so wie jetzt ist’s halt scheiße“ von Peer Ripberger am Theater Augsburgvon Shirin Sojitrawalla | Seite 19 |
Rauch und Randale? Theaterabende über 1968„1968“ von Leonie Böhm, Gintersdorfer/Klaßen, Anna-Sophie Mahler, Wojtek Klemm, Alberto Villareal, Henrike Iglesias und dem Collectif Catastrophe an den Münchner Kammerspielenvon Sabine Leucht | Seite 20 |
Kolumne | Seite 22 |
RetrotopiaDas ’68 nach ’68 oder Warum wir Jubiläen fürs Zukünftige brauchenvon Kathrin Röggla | |
Stück | |
Danach kam nur noch SchweigenDer Dramatiker Lothar Trolle über ’68 und sein Stück „Die Sieger“ im Gespräch mit Jakob Haynervon Lothar Trolle und Jakob Hayner | Seite 24 |
Die Siegervon Lothar Trolle | Seite 25 |
Protagonisten | |
Die Sache mit der Kohlevon Ludger Vortmann | Seite 28 |
Und da sitzen diese Arbeiter tatsächlichSeit 14 Jahren leitet Frank Hoffmann mit großem Erfolg die Ruhrfestspiele Recklinghausen – Mit dem Ende des Steinkohlebergbaus in der Region geht nun auch seine Intendanz zu Ende. Ein Gesprächvon Frank Hoffmann und Martin Krumbholz | Seite 32 |
Kommentar | Seite 35 |
Burn, Berlin, Burn!Über das Ende der Intendanz von Chris Dercon an der Volksbühne Berlinvon Jakob Hayner | |
Protagonisten | |
Die Katze von KasanKatjuscha oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben. Aus dem Kriegstagebuch eines Laudators. Preisrede für Valery Tscheplanowavon Mark Lammert | Seite 36 |
Die KämpferinDas Festival FIDENA in Bochum wird 60 – Unter der Intendantin Annette Dabs hat es sich zu einer Drehscheibe der internationalen Figurentheaterszene entwickeltvon Sarah Heppekausen | Seite 40 |
Ein Ausbildungstempel im WestendDie Zürcher Hochschule der Künste bietet auf ihrem Campus eine radikal interdisziplinäre Lehre – Einblicke in Christoph Fricks Semesterprojekt „Kasimir und Karoline“von Bodo Blitz | Seite 42 |
Look Out | |
Here are we, one magical momentDer Schauspieler André Kaczmarczyk ist in kürzester Zeit zum umschwärmten Liebling des Düsseldorfer Publikums gewordenvon Martin Krumbholz | Seite 44 |
Das LandschaftsprinzipDie Regisseurin Caitlin van der Maas macht Musiktheater, das Gewissheiten auflöst und den Zuschauer als Mitdenkenden brauchtvon Sabine Leucht | Seite 45 |
Auftritt | |
Berlin: Schwarze RomantikBerliner Ensemble: „Krieg“ von Rainald Goetz. Regie und Bühne Robert Borgmann, Kostüme Bettina Wernervon Jakob Hayner | Seite 49 |
Essen: Die Grenze zwischen oben und untenGrillo-Theater: „Der Prinz, der Bettelknabe und das Kapital“ (UA) von Christine Lang und Volker Lösch. Regie Volker Lösch, Ausstattung Carola Reuthervon Martin Krumbholz | Seite 49 |
Hannover: Der ungezähmte SchauspielerSchauspiel Hannover: „Mephisto“ nach dem Roman von Klaus Mann. Regie Milan Peschel, Bühne Nicole Timm, Kostüme Magdalena Musialvon Dorte Lena Eilers | Seite 51 |
Heidelberg: Tödliche LiebeTheater Heidelberg: „Faust (Margarete)“ von Charles Gounod mit Texten aus Elfriede Jelineks „FaustIn and out“; „Faust“ mit Motiven aus „Faust II“ von Johann Wolfgang von Goethevon Björn Hayer | Seite 53 |
Jena: Verschlungen vom KrokokapitalismusTheaterhaus Jena: „Dostojewskis Krokodil“ nach der Erzählung von Fjodor M. Dostojewski. Regie Christian Franke, Bühne Sabine Mäder, Kostüme Rahwa Oreyonvon Lilli Helmbold | Seite 54 |
Landshut: Des Dichters WolkenkuckucksheimKleines Theater – Kammerspiele Landshut: „Torquato Tasso“ von Johann Wolfgang von Goethe. Regie Sven Grunert, Bühne Sascha Gross, Kostüme Sascha Gross und Luci Hofmüllervon Christoph Leibold | Seite 55 |
Linz: Sterben ist der BrauchLandestheater Linz: „Anatomie Titus Fall of Rome“ von Heiner Müller. Regie Stephan Suschke, Bühne Momme Röhrbein, Kostüme Angelika Rieckvon Margarete Affenzeller | Seite 57 |
Osnabrück: Über Grenzen hinwegTheater Osnabrück: „Medea² – Dois mundos, uma narraçao“ nach Euripides, Franz Grillparzer, Jean Anouilh, Christa Wolf und mit Texten von Paulina Chiziane. Regie Dominique Schnizer, Ausstattung Christivon Christine Adam | Seite 58 |
St. Gallen: Dunkle Machenschaften im AlpenparadiesTheater St. Gallen: „Lugano Paradiso oder So schön wie dieses Jahr hat der Flieder lange nicht geblüht“ (UA) von Andreas Sauter. Regie Jonas Knecht, Bühne Markus Karner, Kostüme Heidi Waltervon Harald Müller | Seite 60 |
Wien: Frischzellenkur für den GoldeselBurgtheater: „jedermann (stirbt)“ (UA) von Ferdinand Schmalz. Regie Stefan Bachmann, Bühne Olaf Altmann, Kostüme Esther Geremusvon Christoph Leibold | Seite 61 |
Magazin | |
Die Welt der kommunizierenden ObjekteAn der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin gibt es einen neuen Masterstudiengang für digitales Puppenspielvon Tom Mustroph | Seite 65 |
Selbstbestimmung und GefährdungDas Theater am Rand im Oderbruch feiert sein zwanzigjähriges Bestehen – und kann auf eine einzigartige Entwicklung zurückblickenvon Tom Mustroph | Seite 66 |
Reisebüro Rinck: Es geht ihnen gut!von Monika Rinck | Seite 67 |
Die bayerischen BuddenbrooksEine Familien- und Heimatgeschichte jenseits der Genrekonventionen – Josef Bierbichler steht in seinem Film „Zwei Herren im Anzug“ vor und hinter der Kameravon Thomas Irmer | Seite 68 |
Zuschauend verführen lassenZum Tod der Theaterkritikerin Erika Stephanvon Matthias Caffier | Seite 69 |
zwischen den sintflutennachruf auf gerd rienäckervon Peter Konwitschny | Seite 70 |
Ein moderner Don QuichotteZum Tod des großen russischen Schauspielers und Theatermachers Oleg Tabakowvon Gunnar Decker | Seite 71 |
Heiße Revolution, coole RevolteHeinz Bude: Adorno für Ruinenkinder. Eine Geschichte von 1968. Carl Hanser Verlag, München 2018, 128 S., 17,00 EUR.von Lilli Helmbold | Seite 72 |
Die Erfindung der DrehbühneFaust-Welten. Goethes Drama auf der Bühne. Hg. von Claudia Blank, Henschel Verlag, Leipzig 2018, 208 S., 200 Abb., 34,95 EUR.von Christoph Leibold | Seite 72 |
Aus nachgelassenen PapierenPeter Hacks: Marxistische Hinsichten. Politische Schriften 1955–2003. Hg. von Heinz Hamm. Eulenspiegel Verlag, Berlin 2018, 608 S., 19,99 EUR.von Holger Teschke | Seite 73 |
Aktuell | |
Meldungen | Seite 74 |
PremierenMai 2018 | Seite 76 |
TdZ on Tour | Seite 78 |
TdZ on Tour | |
Impressum/Vorschau | Seite 79 |
Autoren Mai 2018 / Vorschau | |
Gespräch | Seite 80 |
Was macht das Theater, Volker Gerling?von Thomas Irmer und Volker Gerling |
Christine Adam
Margarete Affenzeller
Bodo Blitz
Matthias Caffier
Gunnar Decker
Dorte Lena Eilers
Volker Gerling
Nikolaus Habjan
Björn Hayer
Jakob Hayner
Lilli Helmbold
Sarah Heppekausen
Frank Hoffmann
Barbara Honigmann
Thomas Irmer
Sebastian Kirsch
Peter Konwitschny
Martin Krumbholz
Mark Lammert
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