Kommentar

Bösartige Schildbürgerei

Das Rostocker Volkstheater soll nun plötzlich Opernhaus werden

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Das Volkstheater Rostock soll ein reines Opernhaus werden. Foto Judith Zinke
Das Volkstheater Rostock soll ein reines Opernhaus werden. Foto Judith Zinke

Einst nannte man Rostock das Bayreuth des Nordens. Das war noch vor 1900, als die Wagner-Sänger probesingend die Ostsee entdeckten. Inzwischen ist die Ostsee hinreichend entdeckt – aber das einstige Bayreuth des Nordens scheint längst vergessen. Mit dem Argument, dass Rostock auch eine Operntradition besitzt, hat Volkstheater-Intendant Sewan Latchinian, wie kein Zweiter in Rostock, für den Erhalt der Sparten Oper und Tanz gestritten. Denn von solch gegenseitigen Verstärkereffekten lebt ein modernes Vierspartenhaus.

Nun aber hat Rostocks Oberbürgermeister Roland Methling, der im vergangenen Jahr mit herrischer Geste Latchinian wegen seines nicht aufhörenden Beharrens auf der Musiktheatersparte den Stuhl vor die Tür stellte und ihn dann, auf Beschluss der Bürgerschaft und nach heftigen Bürgerprotesten, kleinlaut wieder hereinholen musste, den ultimativen Irrsinns-Coup gelandet: Das Volkstheater soll Opernhaus werden, das Schauspiel wird ab 2018 eingestellt. Welch bösartige Schildbürgerei! Warum aber will er die lange Schauspieltradition des Volkstheaters handstreichartig beenden? Weil dies der einzige Weg sei, so Methling, „hochwertiges Theater und einen Neubau auf Kurs zu halten“. Wie verlogen geht es eigentlich zu in einer Stadt, deren Oberhaupt erklärt, man müsse das Schauspiel schließen, um es „hochwertig“ zu erhalten? Wo es dann doch gar nicht mehr existiert?

Am 18. Dezember 2015 deutete sich das neuerliche Volkstheater-Unglück bereits an. Da erwiderte Methling im Interview mit der Ostsee-Zeitung auf den Einwand, Kritiker würfen ihm vor, er wolle „das Theater kaputtsparen“: „Falsch! Niemand hat sich nach der Wende so intensiv für einen Theaterneubau eingesetzt wie ich.“ So ist das in Rostock, die einen reden vom Theater als Kunstform und kulturellem Begegnungsort der Stadt, der Oberbürgermeister versteht immer nur Immobilie: Grundstücke kaufen und etwas neu bauen! Auch wenn das, wofür man baut, dann gar nicht mehr existiert. Die Kluft zwischen beiden Interessenlagen scheint im „Goldküsten“-Land Mecklenburg-Vorpommern offenbar unüberbrückbar groß geworden zu sein.

Wenn das Schauspiel des Volkstheaters geschlossen wird, dann gibt auch Schwerins Kultusminister die bislang gesperrten Fördergelder für den 50 Millionen Euro teuren Neubau frei. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Erst mal abbauen, schließen, Leute entlassen, Kritiker mundtot machen, dann sich an keine Versprechungen mehr erinnern können – dieses triste Spiel um die Theater wird in Mecklenburg-Vorpommern bereits seit zwanzig Jahren aufgeführt. Man liebt sie nicht, man will sie nicht – aber dann sollen die Landes- und kommunalen Politiker das auch so offen sagen. Warum sagt Methling nicht: Der Zerstörer, das bin ich, weil ich Künstler, vor allem Schauspieler – es handelt sich um 15 festangestellte am Volkstheater! – für ein schmarotzendes Pack halte, das sich noch dazu unbotmäßige Töne erlaubt!

Aber der Provinzdünkel braucht die großen Töne: Das mickrige Schauspiel weg, wir werden jetzt ein prachtvolles Opernhaus! Das kostet in jedem Falle – nichts ist teurer als große Oper – viel mehr als ein klug sparendes Vierspartenhaus. Dass Rostock kein Bayreuth werden wird, aber ist so klar wie ein sonniger Julitag in Warnemünde. Unverständlicherweise hat der im Weggehen begriffene Volkstheater-Geschäftsführer Stefan Rosinski durch seine Rechenexempel den Oberbürgermeister erst mit der absurden Opernhausargumentation aufmunitioniert – ein makabres Abschiedsgeschenk nicht nur an den Intendanten, auch ans Rostocker Publikum!

Rostock spielt den „Volksfeind“ nun live, was dafür spricht, dass Sewan Latchinians kürzliche Ibsen-Inszenierung immerhin den Nerv des Oberbürgermeisters getroffen hat. Ein städtischer Sumpf, ein fauler Provinzfriede, eine kommunale Mafia, die sich bei ihren unsauberen Geschäften nicht gern stören lässt. Aber, Herr Methling, das war Ibsen-Text pur, was da auf der Bühne gezeigt wurde, auch wenn es in Ihren Ohren anders geklungen haben mag! Das Schauspiel jedenfalls, das scheint hinlänglich bewiesen, hat in Rostock keine Lobby, leider. //

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