Heft 03/2016
Wo ist Wir?
Armin Petras in Stuttgart
Broschur mit 72 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Buhrufe bei den Premieren, Zuschauerzahlen, die leicht sinken – nicht immer oder, besser gesagt: immer seltener bewahren Kulturpolitiker in einer solchen Situation einen kühlen Kopf. In Stuttgart indes ist das anders. Während sich Schauspielintendant Armin Petras auch in seiner dritten Spielzeit noch durch die wechselüblichen Phasen des Federnlassens manövriert, wie unser Korrespondent Otto Paul Burkhardt berichtet, hat die Stadt seinen Vertrag vorzeitig bis 2021 verlängert. Einen „künstlerischen Unruheherd“ nennen ihn die Kulturpolitiker lobend, wohl wissend, dass Theater nicht heißt: kurz und knackig – und durchschaubar. Für unseren Stuttgart-Schwerpunkt sprach Armin Petras in der Reihe zum Neuen Realismus mit Nicole Gronemeyer über die Lesbarkeit oder eben Nicht-Lesbarkeit seines Theaters. Sein Alter Ego Fritz Kater liefert mit „I’m searching for I:N:R:I (eine kriegsfuge)“, das wir in diesem Heft veröffentlichen, das passende Stück dazu.
Auch Rostocks Oberbürgermeister Roland Methling besitzt einen kühlen Kopf. Und zwar jenen eines kühl kalkulierenden Bauherrn. Skrupellos muss man seine Entscheidung nennen, zugunsten eines teuren Neubaus am Volkstheater Rostock jetzt Tabula rasa zu machen. Weg mit Schauspiel und Tanz! Das Volkstheater soll ab 2018 ein reines Opernhaus werden. Einen „ultimativen Irrsinns-Coup“ nennt Gunnar Decker diesen Entscheid, eine „bösartige Schildbürgerei“, besitzt Rostock zwar eine ausgeprägte Operntradition, aber eben auch eine große Tradition im Schauspiel. Davon zeugen nicht zuletzt die Inszenierungen zahlreicher Stücke von Rolf Hochhuth, mit dem sich Thomas Irmer und Cornelia Klauß anlässlich seines 85. Geburtstages am 1. April über den Stand – oder eben Missstand – der Demokratie unterhielten.
Weltliebe und Kämpfertum – kaum jemand vereinte diese beiden Lebenshaltungen so konsequent wie der Berliner Germanistikprofessor Frank Hörnigk. Von ihm ging, wie Friedrich Dieckmann schreibt, jener Wärmestrom aus, „den Ernst Bloch für ein unabdingbares Element jedes gelingenden Sozialismus hielt“. Kein Wunder, dass das Lebenswerk dieses „unermüdeten Fahrensmannes“ magischen Zahlen unterlag. „Binnen 13 Jahren (brachte er) (…) eine 13-bändige Gesamtausgabe der Müller’schen Texte zustande.“ Friedrich Dieckmann und Harald Müller erinnern an Frank Hörnigk, der am 30. Januar überraschend verstarb.
An Heiner Müller und seinen radikalen Zeitanalysen hätten sicherlich auch die jungen Theatermacher in der Ukraine ihre Freude. In Natalia Voroschbits Stück „Wi 2.0“ ist es eine vampirähnliche Gestalt aus einer Gogol-Erzählung, die in der Jetztzeit wieder aufmarschiert. Tom Mustroph und Thomas Irmer waren für uns in der Ukraine und berichten von den schwierigen Emanzipationsversuchen der jungen Theaterszene dort. Es sind Realitätserkundungen, die offenbar einen Schmerzpunkt treffen; auf den staatlichen Bühnen, die eher auf Sicherheit setzen, finden sie schwer Platz.
Für das Münchner Residenztheater ist Sicherheit indes keine Kategorie. Mitte Mai wird hier ein Stück gezeigt, das nicht nur inhaltlich politischen Sprengstoff birgt. „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ von Franz Werfel thematisiert den Völkermord des Osmanischen Reiches an den Armeniern. „Eine immer noch offene Wunde im armenisch-türkischen Doppelporträt“, schreibt Gunnar Decker. Regisseur Nuran David Calis wird diesen Roman von türkischen, armenischen und deutschen Schauspielern spielen lassen. Irina Schicketanz entwirft die Bühne dazu. Ihre Arbeiten zeigen wir in unserem Künstlerinsert. //
Die Redaktion
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Künstlerinsert | |
Bühnenbilder und Recherchematerialienvon Irina Schicketanz | Seite 4 |
Weiße FleckenLeben bedeutet in den Bühnen von Irina Schicketanz, auf archaische Weise beschriftet zu werdenvon Gunnar Decker | Seite 8 |
Thema | |
Wo ist Wir?Armin Petras im Gespräch mit Nicole Gronemeyervon Nicole Gronemeyer und Armin Petras | Seite 10 |
Schaffe, schaffeEinen „künstlerischen Unruheherd“ nennt ihn die Kulturpolitik – und verlängerte Armin Petras’ Vertrag als Intendant des Schauspiels Stuttgart vorzeitig. Eine Zwischenbilanzvon Otto Paul Burkhardt | Seite 15 |
Protagonisten | Seite 18 |
Stößchen!Unter der neuen Leiterin Kira Kirsch positioniert sich das brut in Wien als Theaterhaus, das in einem intensiven Dialog mit der Stadt stehtvon Theresa Luise Gindlstrasser | |
Abschied | |
Weltliebe und KämpfertumIn Gedenken an Frank Hörnigkvon Friedrich Dieckmann | Seite 22 |
Erfinder und EntdeckerGegen die Wegnahme von Geschichte: Zum Tod Frank Hörnigksvon Harald Müller | Seite 23 |
Kolumne | Seite 25 |
Die Nächte des Romuald KarmakarWie ein Filmemacher die neue Volksbühne herausfordern könntevon Ralph Hammerthaler | |
Ausland | |
Theater für den DialogZwischen Restauration, Revolution und den Herausforderungen des Krieges im Osten: das Theater in der Ukrainevon Tom Mustroph | Seite 26 |
Taumelnder WodkaschmuggelMit der Adaption von Serhij Zhadans Kultroman „Depeche Mode“ in Charkiw gelingt die Verbindung von Pop und politischer Kritikvon Thomas Irmer | Seite 29 |
Protagonisten | Seite 30 |
Aufruhr in PermanenzDer Schriftsteller und Dramatiker Rolf Hochhuth wird 85. Ein Gespräch mit Thomas Irmer und Cornelia Klaußvon Thomas Irmer, Rolf Hochhuth und Cornelia Klauß | |
Kommentar | Seite 32 |
Bösartige SchildbürgereiDas Rostocker Volkstheater soll nun plötzlich Opernhaus werdenvon Gunnar Decker | |
Look Out | |
Die MaximalbegabteSelbstvergessen und natürlich: Die Schauspielerin Laura Angelina Palacios am Theater Oberhausenvon Martin Krumbholz | Seite 34 |
Am RandDie Schauspielerin Melanie Lüninghöner verleiht am Theater Freiburg gebrochenen Figuren Größevon Bodo Blitz | Seite 35 |
Auftritt | |
Detmold: Das Recht auf SchwermutLandestheater Detmold: „In einem dichten Birkenwald, Nebel“ (UA) von Henriette Dushe. Regie und Ausstattung Malte Kreutzfeldtvon Joachim F. Tornau | Seite 37 |
Heilbronn: Die Aporie der GeschichteTheater Heilbronn: „Der Auftrag. Erinnerung an eine Revolution“ von Heiner Müller. Regie Axel Vornam, Bühne Tom Musch, Kostüme Cornelia Kraskevon Björn Hayer | Seite 38 |
Jena: Angry DriverTheaterhaus Jena: „Taxi Driver“ von Diana Insel und Sebastian Martin nach Motiven von Paul Schrader und Martin Scorsese. Regie Sebastian Martin, Ausstattung Kaja Bierbrauervon Sebastian Schulze Jolles | Seite 39 |
Kiel: Medea von StockportTheater Kiel: „Blindlings“ (DSE) von Simon Stephens. Regie Ulrike Maack, Bühne Wilfried Minks, Kostüme Irmgard Kerstingvon Natalie Fingerhut | Seite 40 |
Oberhausen: Im RudelTheater Oberhausen: „Lulu. Eine Mörderballade“ von The Tiger Lillies nach Frank Wedekind. Regie Stef Lernous, Bühne Sven van Kuijk, Kostüme Marina Sell Cajueirovon Friederike Felbeck | Seite 41 |
Potsdam: Hauptsache hier, Hauptsache wegHans Otto Theater: „Kruso“ von Dagmar Borrmann nach dem Roman von Lutz Seiler. Regie Elias Perrig, Ausstattung Marsha Ginsbergvon Lena Schneider | Seite 42 |
Salzburg: Nicht unterlassene HilfeleistungSchauspielhaus Salzburg: „Illegale Helfer“ (UA) von Maxi Obexer. Regie Peter Arp, Video Beda Percht, Kostüme Isabel Grafvon Theresa Luise Gindlstrasser | Seite 43 |
Tübingen: Alles für die KunstZimmertheater Tübingen: „Biel am See“ (UA) von Joachim Zelter. Regie Axel Krauße, Ausstattung Odilia Baldszun und Axel Kraußevon Otto Paul Burkhardt | Seite 44 |
Stück | |
Gruppenbild mit RiekeDer Regisseur und Opernintendant Jossi Wieler über Fritz Katers „I’m searching for I:N:R:I (eine kriegsfuge)“ im Gespräch mit Otto Paul Burkhardtvon Otto Paul Burkhardt und Jossi Wieler | Seite 46 |
I’m searching for I.N.R.I. (eine kriegsfuge)von Fritz Kater | Seite 48 |
Magazin | |
54 Mal Leben„Die Provinz des Menschen“: Heiner Goebbels transferiert zwei frühere Arbeiten im Dresdner Lipsiusbau in eine großartige multimediale Installationvon Thomas Irmer | Seite 61 |
Was tun? Nichts tun?Zwischen Keksmodell und Artivismus – Die 60. Jahrestagung der Dramaturgischen Gesellschaft diskutiert Handlungsspielräume von (Stadt-)Theater in Zeiten globaler Krisenvon Theresa Schütz | Seite 62 |
kirschs kontexte: Alle Kinder sagen DadaEin Jahrhundert Jekamivon Sebastian Kirsch | Seite 63 |
Beckett im PottGuido Hiß, Robin Junicke, Stefan Keim, Judith Schäfer (Hg.): Unfinished Play. Johannes Leppers Theater. Athena Verlag, Oberhausen 2015, 224 S., 19,50 EUR.von Martin Krumbholz | Seite 64 |
Marionette sucht MaschinistenAlexander Weigel: Das imaginäre Theater Heinrich von Kleists. Vorträge, Theatertexte, Aufsätze. Reihe „Heilbronner Kleist- Studien“, Kleist-Archiv Sembdner, Heilbronn 2015, 296 S., 20 EUR.von Gunnar Decker | Seite 65 |
Aktuell | |
Meldungen | Seite 66 |
PremierenMärz 2016 | Seite 68 |
TdZ on Tour | Seite 70 |
Tdz on Tour | |
Impressum/Vorschau | Seite 71 |
Vorschau | |
Gespräch | Seite 72 |
Was macht das Theater, Mohammad al-Attar?von Thomas Irmer und Mohammad al-Attar |
Mohammad al-Attar
Bodo Blitz
Otto Paul Burkhardt
Gunnar Decker
Friedrich Dieckmann
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