Heft 09/2016
Peter Kurth: Die Verwandlung
Broschur mit 128 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Dieses Heft ist leider vergriffen und nur noch als PDF erhältlich.
September 2016. Zurück aus der Sommerpause, fragt man sich, was dieses Schönwetterwort eigentlich bedeutet: Pause – von was? Vom Alltag? In diesem Sommer sicherlich nicht. Wer nur halbwegs die Medien verfolgte, erlebte eine Reihe von fast (all-)täglichen Schreckensmeldungen. Nizza und die Folgen, der verhinderte Putsch in der Türkei und die Folgen, die Anschläge in Würzburg und Ansbach und die Folgen … Auch unsere Kolumnistin Kathrin Röggla holte die derzeitige Weltlage in einem Fahrstuhl in Thüringen ein. „Jetzt ist München dran“, sagte die Dame neben ihr und schaute sie vielsagend an, „als wäre demnächst eine andere Stadt an der Reihe. Und ist es auch.“
Die Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaft und damit, als deren (Zerr-)Spiegel, auch das Theater stehen, scheinen über den Sommer noch einmal gewachsen. „War ich nicht hierhergefahren, um in Ruhe über den Konflikt nachzudenken, also den Konflikt als Motor eines Textes?“, fragt sich unsere Frau im Fahrstuhl Kathrin Röggla. Ja, schon. Aber wie, wenn täglich neue Erschütterungen hinzukommen, wenn der Konflikt in viele kleine, teilweise einander widersprechende Einzelkonflikte zerfällt?
Bezüglich der Türkei gibt es in dieser Ausgabe indes einen Vorschlag: Ersan Mondtag analysiert in seinem Text „Monsterehe“ das Verhältnis zwischen Angela Merkel und Recep Tayyip Erdogan, einem, wie er schreibt, veritablen Gut-Böse-Paar, unter dramentheoretischen Gesichtspunkten. Welche Parallelen finden sich in der Literatur-, Theater- oder Kinogeschichte, fragt der Regisseur und kommt dabei auf „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ – Erdoğan als „laute, vulgäre, zugleich empfindsame, brutale, grelle Martha, und George ist die akademische, wortwägende, alles in sich fressende, beobachtende Merkel“. Eine Lesart, die vor allem viel über George, also Merkel, verrät und den von ihr verwalteten Zustand unserer Demokratie.
Um die Lesbar- und damit Veränderbarkeit von Welt geht es auch in dem Essay von Boris Groys zum Neuen Realismus. Der derzeit in New York lehrende Philosoph beschreibt in einem großen gedanklichen Bogen vom Realismus des 19. Jahrhunderts bis in unser heutiges Internetzeitalter, warum die Avantgarde und Post-Avantgarde mit ihrer Auffassung der Kunst als Technologie, die jenseits aller Psychologie in der Lage sein sollte, die Welt auf technische Weise zu verändern, an ein Ende gekommen sind. Spannende Volte: Es ist tatsächlich der einst verpönte Realismus, der wieder Einzug hält in die Kunst.
Debatten? Peter Kurth sagt, er habe schon so manche Debatte über das Wie des Theaters kommen und gehen sehen. Er versuche lieber, die Dinge direkt auszudrücken. Ohne Gedöns. So schreibt es Otto Paul Burkhardt über den Schauspieler aus Stuttgart. Doch was heißt hier Stuttgart! Peter Kurth „hat zurzeit einen Lauf“, und das nicht nur mit Theaterrollen wie Onkel Wanja und dem Handlungsreisenden, sondern auch im Film: Im Mai gewann er für seine Titelrolle in dem Kinofilm „Herbert“ den Deutschen Schauspielerpreis – und kurz darauf den Deutschen Filmpreis. „Wie fühlt sich das an?“ – „Da freut man sich. Man genießt ein bisschen diese Aufmerksamkeit, und dann sollte man tunlichst wieder weiterarbeiten.“ Ohne Gedöns.
Im Sommer dürften auch viele Berliner Brandenburg durchquert haben, denn „wenn man zur Ostsee will“, witzelte schon Theaterbarde Rainald Grebe vor etlichen Jahren, muss man da durch. Will heißen: nicht hin, kein Halt nirgends. Wie falsch er damit lag, merkte nicht nur Grebe, der jetzt selbst in Brandenburg wohnt, sondern auch unsere Autoren, die für den Schwerpunkt Theater in Brandenburg die Häuser in Cottbus, Senftenberg, Potsdam, Schwedt und Brandenburg an der Havel besuchten. Mit unserem Künstlerinsert möchten wir in dieser Ausgabe der großen deutschen Kostümbildnerin Moidele Bickel gedenken, die am 17. Mai 2016 im Alter von 79 Jahren in Berlin verstarb. Wenige Monate vor ihrem Tod hatten die Kostümbildnerin Florence von Gerkan und Theater-der-Zeit-Cheflektorin Nicole Gronemeyer die Gelegenheit, mit ihr über ihre Arbeit für legendäre Regisseure wie Peter Stein, Luc Bondy und Patrice Chéreau zu sprechen. Schlagt keine Modezeitungen auf, war Moidele Bickels Rat, geht lieber auf die Straße und schaut euch die Leute an.
Zum Schluss noch eine Personalie: Seit August verstärkt als neuer Redakteur Jakob Hayner unser Team. Wir begrüßen ihn herzlich und freuen uns auf die Zusammenarbeit. //
Die Redaktion
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Künstlerinsert | |
Skizzen und Kostümentwürfevon Moidele Bickel | Seite 8 |
Opulent war nur die FantasieZum Tod der großen deutschen Kostümbildnerin Moidele Bickelvon Nicole Gronemeyer und Florence von Gerkan | Seite 12 |
Protagonisten | |
Die VerwandlungJe mehr du vom Leben auf die Fresse bekommen hast, sagt der Schauspieler Peter Kurth, desto tiefer kannst du in deine Arbeit eintauchenvon Otto Paul Burkhardt | Seite 16 |
MonstereheDas Böse des einen ist nicht das Gute des anderen – Was uns das Merkel-Erdogan-Verhältnis über den Zustand unserer Demokratie verrätvon Ersan Mondtag | Seite 26 |
Kolumne | Seite 29 |
Die Frau im Fahrstuhlvon Kathrin Röggla | |
Neuer Realismus | Seite 30 |
#9 – Für den Neuen Realismus oder Die Rückkehr der Seelevon Boris Groys | |
Thema | |
Grenzland TheaterEin Ministerpräsident im Feenkostüm, Musicals mit Wikingern – und eine enge Kooperation mit Polen. Die Uckermärkischen Bühnen Schwedt sind in vielerlei Hinsicht einzigartigvon Tom Mustroph | Seite 41 |
Der mit dem Elch kämpftSchauspieldirektor Mario Holetzeck ringt am Staatstheater Cottbus mit dem gefährlichen Reviertier Menschvon Gunnar Decker | Seite 44 |
On the road againWarum die neue Bühne Senftenberg unter Intendant Manuel Soubeyrand wieder mehr in die Fläche strebt. Ein Gespräch mit Thomas Irmervon Thomas Irmer und Manuel Soubeyrand | Seite 47 |
Das VersprechenMehr sein als eine Stadthalle – Wie sich das Theater Brandenburg nach etlichen Abwicklungsrunden unter der neuen künstlerischen Leiterin Katja Lebelt wieder ins Spiel bringen willvon Lena Schneider | Seite 50 |
Flucht nach vornDas Hans Otto Theater Potsdam muss zehn Jahre nach seinem Neubau wieder das Improvisieren lernen – zu seinem Glückvon Lena Schneider | Seite 53 |
Protagonisten | Seite 56 |
Die Kunst der FugeDie Kosten für die Sanierung der Berliner Staatsoper Unter den Linden explodieren. Die Geschichte eines Politikversagensvon Thomas Flierlzum Online-Extra: Birgit Walter: Versammelte Unschuld | |
Kommentar | Seite 59 |
Hire and FireÜber die desaströse Personalpolitik in Trier und Rostockvon Gunnar Decker und Elisabeth Maier | |
Protagonisten | |
Leben in seinem wesentlichen AusdruckLaudatio auf Gunnar Decker zur Verleihung des Heinrich-Mann-Preises der Akademie der Künste Berlinvon Friedrich Dieckmann | Seite 60 |
Das neue TNS ist daDer Start von Stanislas Nordey als Intendant am Nationaltheater Straßburg gleicht einer kopernikanischen Revolutionvon Maurice Taszman | Seite 62 |
Festivals | |
Vergessen Sie, dass ich Russin binDie Wiener Festwochen unter Schauspielchefin Marina Davydova widersetzen sich dem Denken in Ost und Westvon Margarete Affenzeller | Seite 64 |
Die Sterne wiedersehnVom Versuch, in einer vom Terror gezeichneten Stadt ein Festival zu feiern. Eine Reise zum Kunstenfestivaldesarts nach Brüsselvon Lena Schneider | Seite 66 |
Baseball, König und KonsumidolDas diesjährige Festival Theaterformen in Braunschweig brachte zeitgenössisches südostasiatisches Theater auf die Bühnevon Theresa Schütz | Seite 70 |
Let the music playDie Münchener Biennale – Festival für neues Musiktheater vollzieht unter der Leitung von Daniel Ott und Manos Tsangaris eine performative Wendevon Egbert Tholl und Rita Argauer | Seite 72 |
L’amour c’est moiDie dritte Ausgabe des Schweizer Theatertreffens geht diesmal in der französischsprachigen Romandie über die Bühnevon Anne Fournier | Seite 76 |
Look Out | |
„Wir spielen, also sind wir“Das Theaterkollektiv Prinzip Gonzo tritt gegen den neoliberalen Kapitalismus anvon Theresa Schütz | Seite 78 |
Virtuoser RebellDer Schauspieler Johannes Kienast ist der lang gesuchte Aufrührer im Jugendstilplüsch des Staatstheaters Cottbusvon Gunnar Decker | Seite 79 |
Stück | |
Reste der UtopieDer Dramatiker Oliver Bukowski über sein Stück „Birkenbiegen“ im Gespräch mit Gunnar Deckervon Gunnar Decker und Oliver Bukowski | Seite 80 |
Birkenbiegenvon Oliver Bukowski | Seite 82 |
Magazin | |
Postkoitale ZukunftsdebattenDie Autorentheatertage am Deutschen Theater Berlin verlieren mehr und mehr an Bissvon Kerstin Car | Seite 95 |
Schüsse auf dem MaidanDas Festival Wilder Osten. Ereignis Ukraine in Magdeburg zeigte neue Dramatik aus dem Land im Bürgerkriegvon Thomas Irmer | Seite 97 |
Bilder gegen den TerrorInternationales Kinder- und Jugendtheater beim Festival Schöne Aussicht in Stuttgart zwischen Poesie und Politikvon Elisabeth Maier | Seite 98 |
kirschs kontexte: Mimesis und TerrorAnmerkung zu einem ewigen Streitfallvon Sebastian Kirsch | Seite 99 |
Crystal-Rausch in OstsachsenDas 9. Sächsische Theatertreffen im Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzenvon Andreas Herrmann | Seite 100 |
Sozialistischer DrillDie Osnabrücker Inszenierung „Oshi-Deutsch“ zeigt mit den Mitteln des Recherchetheaters die Geschichte der „DDR-Kinder von Namibia“von Christine Adam | Seite 101 |
Utopie folgt IndustrieMit Auswärtsspiel: Blumenthal bewegt sich das Theater Bremen auf die Menschen im randständigen Norden der Stadt zuvon Alexander Schnackenburg | Seite 102 |
Das RudelgesetzDie 1. Landshuter Sperr-Tage zeigen: Martin Sperrs Niederbayern ist heute fast überallvon Christoph Leibold | Seite 103 |
Blick der Künste hinter die olympischen KulissenZwei Stücke des überregionalen Festivals Projeto Brasil in Dresden-Hellerauvon Michael Bartsch | Seite 104 |
Im Rücken die Ruinen von EuropaAuf dem GREC-Festival in Barcelona wurde die Uraufführung der deutsch-katalanischen Koproduktion „Büro für postidentisches Leben“ gezeigtvon Jakob Hayner | Seite 105 |
Auf der Schwelle zum BösenIn „Lus“ vom Teatro delle Albe durchlebt der Zuschauer eine unerklärliche Transgression – ein Schock für aufgeklärte Menschenvon Renate Klett | Seite 106 |
Anarckeyyy!Schorsch Kamerun: Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens. Ullstein, Berlin 2016, 256 S., 18 EUR.von Jakob Hayner | Seite 108 |
Müllers Traumtexte auf der CouchPeter Staatsmann: Theater des Unbewussten. Der selbstanalytische Prozess im Schreiben Heiner Müllers. Stroemfeld, Frankfurt am Main 2015, 369 S., 28 EUR.von Thomas Irmer | Seite 109 |
Tempeltradition und trommelnde Duracell-HasenDas internationale Festival FIDENA widmete sich in diesem Jahr dem asiatischen Figurentheater und erkundete die Traditionen des Puppenspielsvon Sarah Heppekausen | Seite 110 |
Die RiesenmarionetteBeim Festival Blickwechsel in Magdeburg beschlossen die Ensembles des ostdeutschen Puppentheaters, künftig die Fäden gemeinsam in die Hand zu nehmenvon Tom Mustroph | Seite 111 |
Aktuell | |
Meldungen | Seite 118 |
TdZ on Tour | Seite 119 |
PremierenSeptember 2016 | Seite 120 |
Impressum/Vorschau | Seite 127 |
Autoren September 2016/Vorschau | |
Gespräch | Seite 128 |
Was macht das Theater, Alejandro Quintana?von Alejandro Quintana und Elisabeth Maier |
Christine Adam
Margarete Affenzeller
Rita Argauer
Michael Bartsch
Moidele Bickel
Oliver Bukowski
Otto Paul Burkhardt
Kerstin Car
Gunnar Decker
Friedrich Dieckmann
Thomas Flierl
Anne Fournier
Nicole Gronemeyer
Boris Groys
Jakob Hayner
Sarah Heppekausen
Andreas Herrmann
Thomas Irmer
Sebastian Kirsch
Renate Klett
Christoph Leibold
Elisabeth Maier
Ersan Mondtag
Tom Mustroph
Alejandro Quintana
Kathrin Röggla
Alexander Schnackenburg
Lena Schneider
Theresa Schütz
Manuel Soubeyrand
Maurice Taszman
Egbert Tholl
Florence von Gerkan
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Die Kunst der FugeDie Kosten für die Sanierung der Berliner Staatsoper Unter den Linden explodieren. Die Geschichte eines Politikversagensvon Thomas Flierlzum Online-Extra: Birgit Walter: Versammelte Unschuld |
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