Kolumne

Signor Hoffmann

München leuchtet: Samouil Stoyanov und der verkorkste Allerweltsmensch

von

Kamel Daoud ist angetreten, um es mit Albert Camus aufzunehmen. Wie mittlerweile alle wissen, antwortet Daouds Roman „Der Fall Meursault“ auf eine Lücke in Camus’„Der Fremde“. Diese Lücke hat keinen Namen und keine Familie, sie klafft auf in der Gestalt eines Arabers, den ein von der Sonne geblendeter Franzose namens Meursault erschießt. Der jüngere Bruder Harun trägt nun all das nach, was Camus weggelassen hat, weil er es literarisch nicht brauchen konnte. In den Münchner Kammerspielen wird Harun von Samouil Stoyanov verkörpert; und es ist nicht verkehrt zu behaupten, dass dieser Schauspieler weder Daoud noch Camus nötig hat, denn er spielt das Ereignis Stoyanov, durchlässig und verletzlich, ohne bei handwerklichen Tricks Zuflucht zu suchen. 1989 in Sofia geboren, aufgewachsen in Linz, wirkt dieser jungenhafte, ein bisschen dickliche Austrobulgare wie in die Welt geworfen, ein Camus’scher Existentialist inmitten der Widerworte von Daoud. Seine ganze Erscheinung ist brüchig und darum so menschlich, wie es Theaterei niemals hinbekommt. Die in München müssen ihn schon länger kennen. Warum haben sie mir nichts gesagt? Von fern erinnert er an den jüngeren Philip Seymour Hoffman, sagen wir, in „Happiness“.

Im ICE nach München, Fahrtzeit sechs Stunden und 14 Minuten, hab ich den gerade erschienenen Roman „Signor Hoffman“ gelesen. Der in Guatemala geborene Autor Eduardo Halfon schreibt am liebsten über sich selbst, und so kann der Protagonist gar nicht anders heißen als Eduardo Halfon. In Süditalien aber setzt er sich auf ein Podium und wird rätselhaft als Signor Hoffman begrüßt. Später stellt sich heraus, dass der Augenblick der Begrüßung dem Augenblick des Todes von Philip Seymour Hoffman in seinem New Yorker Badezimmer entsprach. „Als hätte das Sterben seinen Namen freigesetzt, und jetzt triebe dieser lose durch die Welt, ein Schweben durch die Welt, so dass jeder auf der Welt ihn plötzlich in der Luft erhaschen könnte und ihn sagen und ihn verkörpern.“

Am Abend zuvor, ehe ich auf Samouil Hoffman treffe, stelle ich mit Alexeij Sagerer mein Buch über Alexeij Sagerer vor, auf dem Theaterfestival Rodeo, in der Cafébar Import Export. Es ist so voll, dass Leute stehen müssen. Kurz vor Beginn hab ich Matthias Lilienthal auf dem Radl herfahren sehen. Seit mehr als einem Jahr leitet er die Kammerspiele. Eigentlich kennen wir uns von früher, von einem Abendessen in Teheran, bei dem wir nebeneinandersaßen und viel geredet haben, aber heute tun wir beide so, als würden wir uns nicht kennen, ohne ersichtlichen Grund. Trotzdem nehme ich mir vor, dass ich morgen sein Haus besuche, wo er doch heute zu uns gekommen ist.

In meinen Vertrag hab ich eine Flasche Wodka hineinschreiben lassen, sodass Alexeij und ich jetzt nicht nur allerhand zu reden und vorzulesen haben, sondern auch allerhand zu trinken. Seitdem das Buch fertig ist, begegnen wir einander wie Veteranen, mit grimmigem Humor, mit Herzlichkeit und Spott. Du fragst mich jetzt gleich nach den Tieren, frotzelt er herüber. Ja klar, weil Tiere, ob Schweine oder Schafe, in seinem Theater, dem proT, eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Ein Schaf, hat er einmal zu mir gesagt, produziere immer nur Schaf, zu hundert Prozent, als liege darin etwas Ideales. Im Zweifel betrifft es die schauspielerische Kunst, ihre Unmittelbarkeit, unverbogen und unberechenbar, nicht eingehegt durch ein So-tun-als-ob, durch Repräsentation.

Alles, was Samouil Stoyanov sagt, ist österreichisch gefärbt. Gern auch verhaspelt er sich, wie wir uns alle verhaspeln, wenn wir schnell etwas Wichtiges mitteilen wollen. Im Bühnenbild hängt eine runde Sonne, blendend hell, weil der Mord eine Ausrede braucht. Stoyanov sagt Zonne – verdammt, jetzt hat er sich wieder verhauen –, aber er spielt mit seinem Fehler, sagt Sonne, Zonne, Sonne, haha, und seine Mitspielerin greift es auf. Warum nicht Zonne, klingt ja lustig.

In seinem Roman erzählt Halfon, dass Philip Seymour Hoffman einmal vor ihm in der Schlange gestanden habe, in einem Café in Greenwich Village. Und dass er ihm habe sagen wollen, wie sehr er die künstlerische Fähigkeit schätze, „einer kleinen Geschichte Größe zu verleihen, Allerweltsfiguren in bestimmten Szenen erhaben und liebenswert erscheinen zu lassen, Figuren, die zerbrechlich waren und verkorkst und banal“.

Das ist auch die Kunst von Samouil Stoyanov. Zwar wird er den ermordeten Bruder überleben und sogar alt werden, aber immer nur als der jüngere, der zweitrangige, eine banale Existenz, die dem Schmerz der Mutter nichts entgegenzusetzen weiß. Er läuft halt so mit. Aber zu hundert Prozent. Stoyanov produziert immer nur Stoyanov. //

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