Kommentar

Vor dem Kollaps

Wie eine fehlgeleitete Kulturpolitik die freie Szene in Wien gefährdet

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2003 machte Wien von sich reden, weil ein Kulturstadtrat eine Reform auf den Weg gebracht hatte, die die freie Theaterszene in Wien verändern sollte. Eine scheinbar unüberbrückbare Kluft zwischen freien Gruppen und Theaterhäusern sollte überwunden werden. Die Gießkannenförderung sollte durch das Prinzip der „Ganz oder gar nicht“-Förderung ersetzt werden, ganzjährig bezahlte Kuratoren sollten die Verteilung der Projektförderung der Stadt Wien übernehmen, und sogenannte Koproduktionshäuser sollten zusätzliche Orte der künstlerischen Distribution werden. Ziele der Reform waren Professionalisierung und Internationalisierung der freien Szene. Alle vier Jahre wurde zusätzlich eine unabhängige Jury berufen, die über vierjährige Konzeptförderungen für Gruppen, Festivals und Häuser zu entscheiden hatte. Zwischendurch kursierten Schlagworte wie Mindestgagen und geregelte Anstellungsverhältnisse. Heute macht Wien von sich reden, weil die hochsubventionierten Wiener Festwochen (10,5 Millionen Euro aus dem Kulturbudget der Stadt Wien) sich unter neuer Leitung in ein Subkulturgewand kleideten, samt entsprechenden politischen Diskursen. Doch die Rechnung ging nicht auf: Der Intendant stimmte als Zeichen seiner politischen Integrität kommentarlos der fristlosen Entlassung seiner neuen Kuratoren zu. Zwei Bauernopfer, um den Intendantenkopf nach heftiger Kritik kulturpolitisch zu retten.

„Ideal Paradise“ von Claudia Bosse/theatercombinat (Wien 2016). Foto Eva Würdinger
„Ideal Paradise“ von Claudia Bosse/theatercombinat (Wien 2016). Foto Eva Würdinger

Und wie ist die Situation der freien Szene heute? Das Gesamtvolumen der Projektförderung bewegt sich seit 2004 bei um die 2,6 Millionen Euro, wobei sich die Höhe der Einzelprojektförderungssummen jährlich reduziert. Betrug 2006 die höchste Projektförderung noch 60 000 Euro, liegt sie 2017 bei nur 35 000 Euro und im Durchschnitt bei 18 250 Euro. Also wieder Gießkannenprinzip. Zudem konnte 2011 in der Jury noch über mehr als 12 Millionen Euro entschieden werden, 2018 hingegen nur noch über um die 6,5 Millionen Euro, da mehrere Institutionen aus dem Entscheidungsbereich dieser Jury herausgelöst wurden und nun wieder direkt in die Verantwortung des Kulturstadtrats fallen.

Es herrscht Intransparenz bei den Förderkriterien, der Geldverteilung sowie bei der Besetzung der Jurys, Kuratorien und Intendanzen. Hinzu kommen eine auffällige Ämterhäufung einzelner Personen sowie eine verblüffende Ähnlichkeit der künstlerischen Profile bei der Neubesetzung von Intendanzen.

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