Heft 10/2017
Götterdämmerung
Polen und der Kampf um die Theater
Broschur mit 92 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
- Schwerpunkt: Polen
- Fokus: Landesbühnen
Der ideologische Umbau, der in Polen seit Antritt der rechtspopulistischen PiS-Regierung betrieben wird, hat die Kultur fest im Griff. Die „Chronik des (un)guten Wechsels“, die die Theaterwissenschaftlerin Anna R. Burzynska für unseren Polen-Schwerpunkt in diesem Heft zusammengestellt hat, liest sich atemlos. Intendantenposten werden neu besetzt, Festivalbudgets gekürzt, immer wieder kommt es zu Zensurversuchen einzelner Inszenierungen. Mit dem Instrument der Kulturfinanzierung, erklärt unsere Polen-Korrespondentin Iwona Nowacka, halte die polnische Regierung ein mächtiges Kontrollinstrument in den Händen. Besonders verstörend sind dabei die teils gewalttätigen Aktionen aus der Bevölkerung, die den ideologischen Umbau begleiten. Unter dem Deckmantel nationaler Identitätsbewahrung hat sich in Polen eine seltsame Melange gesellschaftlicher Strömungen vereint. Gegen die Inszenierung „Klątwa“ (Der Fluch) von Oliver Frljic am Teatr Powszechny in Warschau etwa protestierten gläubige Katholiken Schulter an Schulter mit dem neofaschistischen ONR. Thomas Irmer sprach mit Paweł Łysak, dem Intendanten des Teatr Powszechny, über die Angriffe auf sein Theater sowie mit den ehemaligen Intendanten Jan Klata und Paweł Wodzinski über ihre politisch initiierte Absetzung. In unserem Stückabdruck beschäftigen wir uns zudem mit dem Chortheater der polnischen Regisseurin Marta Górnicka.
Torsten Münchow, Schauspieler und Kapitän eines kürzlich eröffneten Theaterkahns in Berlin, hat seine Pläne, auch in Polen vor Anker zu gehen, zumindest noch nicht aufgegeben. Tollkühn nennt unser Kolumnist Ralph Hammerthaler diesen Kahn, zu dessen sturmumtobter Eröffnung ebenfalls der Dramatiker Rolf Hochhuth beitrug.
Abenteurer wie Torsten Münchow stehen auch in unserem Schwerpunkt zum Thema Landesbühnen im Fokus. Zwar geht es an diesen Häusern eher selten per Schiff durch die Lande, aber immerhin mit dem Bus. Anlässlich der 17. Deutschen Landesbühnentage, die vom 15. Oktober bis zum 5. November in Wolfsburg stattfinden, traf Gunnar Decker den Intendanten der Uckermärkischen Bühnen Schwedt Reinhard Simon kurz vor der Transformation seines Hauses zur Landesbühne. Mirko Schombert, Intendant der Burghofbühne Dinslaken, spricht über die Herausforderungen des Nomadentums und die Fesseln der Sparpolitik. Und Mitglieder des Ensemble- Netzwerks formulieren Wünsche und Kritik. Gerade Theater im Osten scheinen vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung von der Kulturpolitik immer mehr in die Fläche getrieben zu werden. Warum nach Einschätzung der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger aber besonders Theaterfusionen – wie das geplante Staatstheater Nordost – arbeitsrechtlich Sorge bereiten, schildert Dorte Lena Eilers in ihrem Einleitungstext.
Unser Oktoberheft bildet zudem den Abschluss unserer groß angelegten Reihe zum Neuen Realismus. Bernd Stegemann, dessen bei Theater der Zeit erschienene Publikation „Lob des Realismus“ Initiationspunkt der Essayreihe war, macht sich in seinem Beitrag ausgehend von der Brecht-Lukács-Debatte in den dreißiger Jahren noch einmal für die Möglichkeiten des Realismus im 21. Jahrhundert stark. „Realistische Kunst in der Postmoderne“, schreibt der Berliner Dramaturg, „wäre Kunst, die die unsichtbare Ideologie sichtbar macht, um dadurch ihre Funktion, die Herrschaftsverhältnisse unbegreifbar erscheinen zu lassen, offenzulegen.“
Um unsichtbare Herrschaftsverhältnisse geht es auch der Künstlerin Anne Imhof in ihrer Performance „Faust“ im Deutschen Pavillon der Biennale in Venedig. Thomas Oberender beschreibt, wie in dieser dystopisch-glatten Oberflächenwelt voller Neuzeit-Zombies besonders das Smartphone zu einer Netzwerkstelle im Echtzeitsystem von Instruktion und Überwachung werde. Die anarchische, vom Kap Verdischen Karneval angeregte Tanzkunst von Marlene Monteiro Freitas wirkt demgegenüber wie eine Teufelsaustreibung. Renate Klett hat die Choreografin getroffen, die für sie das Potenzial besitzt, „auf ihre ganz eigene Weise die neue Pina Bausch des Welttheaters“ zu werden. //
Die Redaktion
Artikel | Seite |
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Artikel | Seite |
Künstlerinsert | |
„Faust“, Deutscher Pavillon der 57. Biennale in Venedigvon Anne Imhof | Seite 8 |
Welt ohne AußenAnne Imhofs „Faust“ in Venedigvon Thomas Oberenderzum Online-Extra: Thomas Oberender: Welt ohne Außen. Anne Imhofs „Faust“ im Deutschen Pavillon der Biennale in Venedig als Scripted Space | Seite 12 |
Thema | |
Chronik des (un)guten WechselsWie die PiS-Partei in Polen unter dem Deckmantel struktureller Veränderungen das Land ideologisch umzukrempeln versucht – und damit auch das Theatervon Anna R. Burzyńska | Seite 15 |
Polnisch-polnischer KulturkampfKunst versus Religion? Die Gesellschaft in Polen ist tief gespalten – Künstler sehen sich immer mehr mit Mechanismen der Zensur konfrontiertvon Iwona Nowacka | Seite 19 |
Kollision der WertePawel Lysak, Intendant des Teatr Powszechny in Warschau, über Angriffe auf Schauspieler, staatliche Repression und lokalen Widerstand im Gespräch mit Thomas Irmervon Thomas Irmer und Paweł Łysak | Seite 22 |
WeggefegtIn Polen werden derzeit Intendanzen neu besetzt. Zwei ehemalige Theaterleiter über politische Ränkespiele im Gespräch mit Thomas Irmervon Thomas Irmer, Jan Klata und Paweł Wodzinski | Seite 24 |
Kolumne | Seite 27 |
H. wie HochhuthWhisky mäßig, aber stündlich: ein tollkühner Theaterkahn in Berlinvon Ralph Hammerthaler | |
fokus: landesbühnen | |
Helden der LandschaftWie die Kulturpolitik Theater immer mehr in die Fläche treibt und deren Macher an die Grenzen des Machbarenvon Dorte Lena Eilers | Seite 29 |
RückendeckungMirko Schombert, Intendant der Burghofbühne Dinslaken, über die Kunst des Nomadentums und die Fesseln der Sparpolitik im Gespräch mit Dorte Lena Eilersvon Dorte Lena Eilers und Mirko Schombert | Seite 32 |
Der BombenentschärferReinhard Simon, Intendant der Uckermärkischen Bühnen Schwedt, ist ein Experte für schwierige Situationen – so auch für die neue Aufgabe seines Hauses als Landestheatervon Gunnar Decker | Seite 34 |
Wir fahrn, fahrn, fahrn …Wer an Landesbühnen arbeitet, muss vor allem eines lieben: Theater zu spielen, egal wo. Doch zu welchem Preis? – Wir haben Mitglieder des Ensemble-Netzwerks befragtvon Patrick Schnicke, Julia Glasewald, Marie Förster, Katharina Heißenhuber, Regina Vogel und Raphael Westermeier | Seite 38 |
Neuer Realismus | Seite 42 |
#14 Der Realismus ist totvon Bernd Stegemann | |
Protagonisten | Seite 46 |
Fröhliches ParadiesMarlene Monteiro Freitas’ Choreografien sind surreale Märchen ohne Moral – man möchte sie verlassen oder 1001 Nacht lang weiterguckenvon Renate Klett | |
Auftritt | |
Baden-Baden: Das Schweigen der IntellektuellenTheater Baden-Baden: „Kinder der Sonne“ von Maxim Gorki. Regie und Bühne Otto Kukla, Kostüme Annie Lenkvon Elisabeth Maier | Seite 53 |
Bonn: Bundesstadt for SaleTheater Bonn: „Bonnopoly. Das WCCB, die Stadt und ihr Ausverkauf” (UA) von Ulf Schmidt. Regie Volker Lösch, Bühne Julia Kurzweg, Kostüme Julia Kurzweg und Annegret Riedigervon Martin Krumbholz | Seite 53 |
Gütersloh: Couch-CheruskerTheater Gütersloh: „Raushauen“ (UA) von Tilman Rammstedt. Regie Christian Schäfer, Ausstattung Christian Schäfer und Anna Sun Barthold-Torpaivon Sascha Westphal | Seite 54 |
Hannover: Im GroßstadtmolochSchauspiel Hannover: „Eine Stadt will nach oben“ (UA). Regie Alexander Eisenach, Ausstattung Andreas Alexander Straßer und Julia Wassnervon Joachim F. Tornau | Seite 55 |
Naumburg: Sollbruch-Stelle im MythosTheater Naumburg: „Ich, Uta“ (UA) von Thomas B. Hoffmann. Regie Stefan Neugebauer, Ausstattung Rainer Holzapfelvon Gunnar Decker | Seite 56 |
Oldenburg: Kleine Dramen, große TragödieOldenburgisches Staatstheater: „Utøya“ (DSE) von Edoardo Erba. Regie Peter Hailer, Bühne Dirk Becker, Kostüme Britta Leonhardtvon Alexander Schnackenburg | Seite 57 |
Wien: Über uns die SintflutBurgtheater Wien: „paradies fluten. teil eins der klimatrilogie” (ÖEA) von Thomas Köck. Regie Robert Borgmann, Ausstattung Thea Hoffmann-Axthelmvon Margarete Affenzeller | Seite 59 |
Stück | |
Chor der PolenDie polnische Regisseurin Marta Górnicka über ihr Stück „Hymne an die Liebe“ und die Suche nach Gemeinschaft in zerrissenen Gesellschaften – ein Gespräch mit Thomas Irmervon Thomas Irmer und Marta Górnicka | Seite 62 |
Hymne an die LiebeFür Orchester, Plüschtierchor und die Anderen (Deutsche Übersetzung des Textes: Andreas Volk, zusätzliche Übersetzungen: Heinz Rosenau)von Marta Górnicka | Seite 64 |
Magazin | |
Wie man mit dem Hammer Theater machtDas Sommerfestival auf Kampnagel in Hamburg sucht nach politischer Wirksamkeitvon Robert Matthies | Seite 69 |
Gendersternchen inklusiveDas Festival Spieltriebe in Osnabrück erkundet die Verhältnisse der Geschlechter – und vergisst dabei einesvon Daniel Benedict | Seite 70 |
Pippi LederstrumpfBeim Berliner Festival Pop-Kultur zeigt der Musiker Romano die Möglichkeiten und Grenzen theatraler Selbstinszenierung in digitalen Zeitenvon Maximilian Schäffer | Seite 71 |
Fun ist ein SpaßbadDas Berliner Festival Tanz im August zwischen spaßiger Tiefe und ernster Leichtigkeitvon Sophie Helena Hübner | Seite 72 |
Reisebüro Rinck: Total Immersionvon Monika Rinck | Seite 73 |
Im digitalen RaumTim Zulaufs „Trollhaus – Maison de Trolls“ auf der Suche nach Vernetzungvon Jakob Hayner | Seite 74 |
Homo FabreDas Wiener Festival ImPulsTanz widmet sich dem Werk von Jan Fabrevon Theresa Luise Gindlstrasser | Seite 75 |
Totgesagte leben längerDas Brandenburger Theater wird 200 Jahre altvon Lena Schneider | Seite 76 |
Prometheus der DingeDer Westflügel Leipzig führt „Frankenstein“ zum 20-jährigen Jubiläum der Figurentheatergruppe Wilde & Vogel aufvon Thomas Irmer | Seite 77 |
Die GroßzügigeEin Nachruf auf die Schauspielerin Miriam Goldschmidtvon Peter Brook | Seite 78 |
Unfreie Kunst, verfolgte KünstlerEin Bericht vom 35. Weltkongress des ITI in Segoviavon Thomas Irmer | Seite 78 |
Trump, der Faschismus und die kommunistische HypotheseAlain Badiou: Trump. Amerikas Wahl. Passagen Verlag, Wien 2017, 72 S., 10,20 EUR.; Für eine Politik des Gemeinwohls. Passagen Verlag, Wien 2017, 120 S., 16.30 EUR.von Jakob Hayner | Seite 80 |
ÜbertragenEva Holling: Übertragung im Theater. Theorie und Praxis theatraler Wirkung. Neofelis, Berlin 2016, 350 S., 27 EUR.von Bernhard Siebert | Seite 80 |
Biene MüllerHeiner Müller: „Für alle reicht es nicht“. Texte zum Kapitalismus. Hrsg. v. Helen Müller und Clemens Pornschlegel in Zusammenarbeit mit Brigitte Maria Mayer. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017, 400 S., 16 Evon Erik Zielke | Seite 81 |
Aktuell | |
Meldungen | Seite 82 |
PremierenOktober 2017 | Seite 84 |
TdZ on Tour | Seite 86 |
TdZ on Tour | |
Impressum/Vorschau | Seite 87 |
Autoren Oktober 2017 / Vorschau | |
Was macht das Theater? | Seite 88 |
Was macht das Theater, Sandro Lunin?von Jakob Hayner und Sandro Lunin |
Margarete Affenzeller
Daniel Benedict
Peter Brook
Anna R. Burzyńska
Gunnar Decker
Dorte Lena Eilers
Marie Förster
Theresa Luise Gindlstrasser
Julia Glasewald
Marta Górnicka
Ralph Hammerthaler
Jakob Hayner
Katharina Heißenhuber
Sophie Helena Hübner
Anne Imhof
Thomas Irmer
Jan Klata
Renate Klett
Martin Krumbholz
Sandro Lunin
Elisabeth Maier
Robert Matthies
Iwona Nowacka
Thomas Oberender
Monika Rinck
Maximilian Schäffer
Alexander Schnackenburg
Lena Schneider
Patrick Schnicke
Mirko Schombert
Bernhard Siebert
Bernd Stegemann
Joachim F. Tornau
Regina Vogel
Raphael Westermeier
Sascha Westphal
Paweł Wodzinski
Erik Zielke
Paweł Łysak
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Welt ohne AußenAnne Imhofs „Faust“ in Venedigvon Thomas Oberenderzum Online-Extra: Thomas Oberender: Welt ohne Außen. Anne Imhofs „Faust“ im Deutschen Pavillon der Biennale in Venedig als Scripted Space |
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