Heft 03/2018
Zur Sache, Schatz!
Über Lohnunterschiede und Lolita-Klischees
Broschur mit 80 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Frauen machen Theater, Männer sind Theater.“ Als die Theaterkritikerin Renate Klett 1974 als damalige Regieassistentin am Schauspiel Frankfurt ihren Vertrag nur unter der Bedingung verlängern wollte, dass sie auch inszenieren dürfe, „konnte man sich noch leisten“, wie sie später schrieb, „ein solches Ansinnen für einen schlechten Scherz zu halten. ‚Aber Renate, du als Frau‘“, so lautete der O-Ton. Heute ließe sich Thomas Bernhards Eingangszitat aus dem „Theatermacher“ zum Glück etwas anders formulieren. Frauen sind dank Kämpferinnen wie Renate Klett nicht nur mittlerweile Theater, als Intendantinnen, Spartenleiterinnen, Gründerinnen von Kollektiven, sie machen auch nach wie vor welches – und zwar sehr gutes. Dennoch sei die Staffelstabübergabe, die gerade zwischen den Generationen von Theaterfrauen stattfinde, wichtig, erklärt die Bonner Schauspielchefin Nicola Bramkamp in unserem Schwerpunkt „Das starke Geschlecht“. Gemeinsam mit der Vorsitzenden des ensemble-netzwerks Lisa Jopt erläutert sie im Gespräch mit Dorte Lena Eilers, warum die Frauenfrage im Theater auch heute noch aktuell ist. Jüngste Studien wie die des Deutschen Kulturrates „Frauen in Kultur und Medien“ zeigen, dass nach wie vor Kolleginnen bei gleicher Arbeit schlechter bezahlt werden, nach wie vor gibt es zu wenig Intendantinnen, Regisseurinnen und Autorinnen im Theater. „Burning Issues“ lautet daher der Titel, unter dem Lisa Jopt und Nicola Bramkamp am 11. März zu einem bundesweiten Treffen der Theatermacherinnen ans Theater Bonn einladen.
Jopt, die derzeit als Schauspielerin am Theater Bochum arbeitet, geht es dabei auch um Körperbilder. „Meine Realität findet im Theaterfundus statt. … Er zeigt die Maschigkeit des Netzes. Welche Körper dürfen auf der Bühne präsent sein und welche eher nicht.“ Ein Aspekt, den Anna Volkland in ihrem Text um Fragen zur aktuellen Darstellungsvielfalt von Frauenfiguren auf der Bühne erweitert. Kathrin Röggla indes möchte angesichts der medialen Hysterie, wie sie sich zum Teil in der MeeToo-Debatte äußere, an einer gewissen linken Tektonik festhalten. „Gezielte Diskurseffekte werden heute oft genug eingesetzt, um ganz reale Machtfragen in den Hintergrund treten zu lassen“, schreibt sie in ihrem Essay.
Während am Saarländischen Staatstheater in Saarbrücken, dessen Neustart unter Bodo Busse unser Korrespondent Björn Hayer für uns beobachtet hat, immerhin das Stück einer weiteren zentralen Theaterautorin, nämlich Elfriede Jelineks „Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!)“ auf dem Programm steht, beklagt Shirin Sojitrawalla einen Mangel an weiblichen Regiehandschriften am Schauspiel Frankfurt. Unter dem neuen Intendanten Anselm Weber wird die Hauptbühne ausschließlich von männlichen Regiegrößen bespielt – das aber zumindest bemerkenswert.
Im Porträt widmen wir uns in diesem Heft der Schauspielerin Steffi Kühnert, einer echten Kämpferin, wie Gunnar Decker berichtet, die es für einen Filmdreh schon mal auf sich nimmt, den Ärmelkanal zu durchschwimmen. Ihr Spezialgebiet daher: starke Frauen-, aber auch Männerfiguren, angefangen von Leander Haußmanns „Nora“ 1990 in Weimar bis hin zum Herrenschneider Wormser in Jan Bosses furiosem „Hauptmann von Köpenick“ derzeit am Deutschen Theater Berlin. Victoria Behr ist die Frage, ob Mann oder Frau auf der Bühne, schlussendlich egal. Im Dream-Team mit Regisseur Herbert Fritsch entwirft die Kostümbildnerin sowieso am liebsten Figuren, deren Körperbilder in alle Richtungen driften. „Es handelt sich ganz einfach immer um eine Kunstfigur. Das macht das Ganze noch absurder“, erklärt sie im Gespräch mit Ute Müller-Tischler. Wir zeigen Victoria Behrs Kostüme in unserem Künstlerinsert.
Als im Januar die „alljährliche Schneeballschlacht der Superreichen“ stattfand, wie unser Kolumnist Josef Bierbichler den Weltwirtschaftsgipfel in Davos betitelt, war auch das Performancekollektiv Rimini Protokoll nicht weit. In Zürich kam Ende Januar der vierte Teil der Staat-Tetralogie „Weltzustand Davos (Staat 4)“ zur Uraufführung. Im Gespräch mit Christoph Leibold erläutern Helgard Haug und Stefan Kaegi von Rimini Protokoll ihr ausgetüfteltes Regiekonzept, das es in „Staat 1–4“ erlaubt, Zuschauer zu Akteuren auf den Großbaustellen der (Post-)Demokratie zu machen. Bierbichler indes lässt es „schamrot werden“, „derselben Spezies angehören zu müssen wie diese fern jeder Geisteskultur agierenden, komplett instinktgesteuerten, ausschließlich auf Profit ausgerichteten ‚Weltenlenker‘“ in Davos.
Besonders freuen wir uns, in diesem Heft den frisch gekürten Kleist-Förderpreisträger Lars Werner vorstellen zu können. Paula Perschke sprach mit dem Autor über sein Stück „Weißer Raum“, das wir in unserem Stückabdruck veröffentlichen. //
Die Redaktion
Artikel | Seite |
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Artikel | Seite |
Künstlerinsert | |
Kostümevon Victoria Behr | Seite 4 |
Die Kostüme sind der RaumDie Kostümbildnerin Victoria Behr über grotesk große Kleider, aufgetürmte Haare und Schauspieler in Plastik im Gespräch mit Ute Müller-Tischlervon Ute Müller-Tischler und Victoria Behr | Seite 8 |
Thema | |
Für einen lausigen FeminismusÜber Ablenkungsmanöver und die realen Fragen von Macht – Was es heißt, als Schriftstellerin feministisch zu agierenvon Kathrin Röggla | Seite 11 |
Kriegsbemalung, kein BalzsymbolNicola Bramkamp und Lisa Jopt über das erste Treffen der Theatermacherinnen in Bonn, geschlechtsspezifische Lohnunterschiede und die Deutungshoheit der Masse Mann – ein Gespräch mit Dorte Lena Eilersvon Dorte Lena Eilers, Nicola Bramkamp und Lisa Jopt | Seite 14 |
Augenaufschläge, LippenschürzenKein Ende der Klischees? Fragen zur aktuellen Darstellungsvielfalt von Frauenfiguren auf der Bühnevon Anna Volkland | Seite 18 |
Protagonisten | Seite 20 |
Die SelbstüberwinderinÜberbordend, ein einziges Kraftwerk – Die Schauspielerin Steffi Kühnertvon Gunnar Decker | |
Kolumne | Seite 23 |
Materialschlachtvon Josef Bierbichler | |
Protagonisten | |
Unter der Maske des ManagersIn „Staat 1–4“ von Rimini Protokoll werden die Zuschauer zu Akteuren auf den Großbaustellen der (Post-)Demokratie. Helgard Haug und Stefan Kaegi im Gespräch mit Christoph Leiboldvon Rimini Protokoll und Christoph Leibold | Seite 24 |
Der Gast ist der StarDas Schauspiel Frankfurt startet unter seinem neuen Intendanten Anselm Weber unaufgeregt – besonders weibliche Regiehandschriften fehlenvon Shirin Sojitrawalla | Seite 28 |
Traum und KritikDas Saarländische Staatstheater in Saarbrücken sucht unter dem neuen Intendanten Bodo Busse noch nach echten Akzentenvon Björn Hayer | Seite 32 |
Look Out | |
Meister des BestiariumsErst arbeitete er für den Laufsteg, dann fand er ins Theater – Der Bühnen- und Kostümbildner Josa Marxvon Martin Krumbholz | Seite 34 |
Die RegenbogenträumerinGrazil und suggestiv – Die Schauspielerin Sophie Melbinger besticht durch ihre Bühnenpräsenzvon Björn Hayer | Seite 35 |
Auftritt | |
Berlin: Schöne analoge WeltTheater an der Parkaue: „Die Maschine steht still“ (DSE) nach E. M. Forster. Regie Evy Schubert, Ausstattung Isabelle Kaiservon Anna Opel | Seite 39 |
Bremen: Und nebenan herrscht KriegTheater Bremen: „Ein Haus in der Nähe einer Airbase“ (UA) von Akın Emanuel Sipal. Regie Frank Abt, Ausstattung Susanne Schubothvon Matthias Schumann | Seite 40 |
Heilbronn: „So politisiert wie ein Handtuch“Theater Heilbronn: „Unterwerfung“ nach Michel Houellebecq. Regie Axel Vornam, Ausstattung Tom Muschvon Elisabeth Maier | Seite 41 |
Plauen: Hitlers Reiz und Müllers AnalyseTheater Plauen Zwickau: „German History. Ein Deutschland-Abend mit Texten von Heiner Müller“. Regie und Ausstattung Roland Mayvon Andreas Herrmann | Seite 42 |
Rudolstadt: Lachen über dem AbgrundTheater Rudolstadt: „Der Meister und Margarita“ nach Michail Bulgakow von Niklas Rådström. Regie Alejandro Quintana, Ausstattung Henrike Engelvon Gunnar Decker | Seite 43 |
Stuttgart: Das Theater ist die Kirche der ZweiflerSchauspiel Stuttgart: „Das 1. Evangelium“ (UA) frei nach dem Matthäus-Evangelium. Regie Kay Voges, Bühne Michael Sieberock-Serafimowitsch, Kostüme Mona Ulrichvon Otto Paul Burkhardt | Seite 44 |
Wien: Wiener WitwenTheater in der Josefstadt: „Suff“ (UA) von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov. Regie Alexandra Liedtke, Bühne Raimund Orfeo Voigt, Kostüme Johanna Laknervon Christoph Leibold | Seite 45 |
Wien: Befreite KörperSchauspielhaus Wien: „Ein Körper für jetzt und heute“ (UA) von Mehdi Moradpour. Regie Zino Wey, Ausstattung Davy van Gervenvon Margarete Affenzeller | Seite 46 |
Zittau: Mehr als ein „Metoo“-BeispielGerhart Hauptmann-Theater: „Oleanna“ von David Mamet. Regie Toni Burghard Friedrich, Ausstattung René Fußhöllervon Michael Bartsch | Seite 47 |
Zürich: Am Anfang war das A-WortTheater Neumarkt: „Die Hauptstadt“ (UA) von Robert Menasse. Regie Tom Kühnel, Bühne Jo Schramm, Kostüme Daniela Seligvon Barbara Villiger Heilig | Seite 48 |
Stück | |
Die ungewollte RechercheDer Autor Lars Werner über sein Stück „Weißer Raum“ im Gespräch mit Paula Perschkevon Paula Perschke und Lars Werner | Seite 50 |
Weißer Raumvon Lars Werner | Seite 52 |
Magazin | |
Alhambra in KreuzbergDas TAK Theater im Aufbau Haus Berlin startet unter neuer Leitung – als Komplementärentwurf zum Berliner Maxim Gorki Theatervon Tom Mustroph | Seite 67 |
Globaler StorytellerDie Aufführungen des iranischen Autors Nassim Soleimanpour beginnen damit, dass dem Schauspieler der Text überreicht wird – ein Theater ohne Probevon Tom Mustroph | Seite 68 |
Reisebüro Rinck: Herpès de Provencevon Monika Rinck | Seite 69 |
Künstler ohne GrenzenDie Jahrestagung der Dramaturgischen Gesellschaft am Theater Vorpommern in Greifswald beschäftigt sich mit den Dramaturgien des Widerstandsvon Thomas Irmer | Seite 71 |
Die lyrische Chronik eines JahrhundertsBertolt Brecht: 100 Gedichte. Mit Katharina Thalbach und Sylvester Groth, Regie Torsten Feuerstein. Der Audio Verlag, Berlin 2018, drei CDs mit Booklet, Laufzeit drei Stunden, 19,99 Euro.von Holger Teschke | Seite 72 |
Bewahrung, Fürsorge, Wandel – das deutsche StiftungswesenStiftungen in Deutschland. Band 1–3, hg. von Helmut K. Anheier, Sarah Förster, Janina Mangold und Clemens Striebingvon Herwig Lewy | Seite 73 |
Kulturelle Vielfalt reloaded!Guillaume Paoli: Die lange Nacht der Metamorphose. Matthes & Seitz, Berlin 2017, 220 S., 20 EUR.von Herwig Lewy | Seite 73 |
Aktuell | |
Meldungen | Seite 74 |
PremierenMärz 2018 | Seite 76 |
TdZ on Tour | Seite 78 |
TdZ on Tour | |
Impressum/Vorschau | Seite 79 |
Autoren März 2018/Vorschau | |
Gespräch | Seite 80 |
Was macht das Theater, Oliver Kluck?von Oliver Kluck und Erik Zielke |
Margarete Affenzeller
Michael Bartsch
Victoria Behr
Josef Bierbichler
Nicola Bramkamp
Otto Paul Burkhardt
Gunnar Decker
Dorte Lena Eilers
Björn Hayer
Andreas Herrmann
Thomas Irmer
Lisa Jopt
Oliver Kluck
Martin Krumbholz
Christoph Leibold
Herwig Lewy
Elisabeth Maier
Ute Müller-Tischler
Tom Mustroph
Anna Opel
Paula Perschke
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