Heft 03/2019
Work, Bitch
Die Regisseurin Pınar Karabulut
Broschur mit 112 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
- Thema: Italien in der Krise
Nicht nur bei der Berufung neuer Intendanzen und nicht nur wegen wiederholter personeller Fehlentscheidungen wie zuletzt beim Schauspiel Köln läuft die Debatte über Leitungsstrukturen an Theatern fortgesetzt auf Hochtouren: Forderungen nach mehr Transparenz seitens der kulturpolitischen Entscheidungsträger, nach kuratierten Findungskommissionen und der Offenlegung von Kriterien werden laut, gekoppelt an die Empfehlung von Doppelspitzen, Leitungskollektiven, Frauenpower und so weiter. In der Kritik steht das Theater als patriarchales, autoritäres, weißes und hierarchisches System.
Dass mit dem DAU-Projekt, welches nach der gescheiterten Realisierung in Berlin seine Weltpremiere jetzt in Paris erlebte, mit dem russischen Regisseur Ilya Khrzhanovsky gerade ein autoritär agierender Künstler und ein Kunstwerk mit autoritären Strukturen so viel Aufmerksamkeit für sich generieren konnten, zeigt, wie wenig geklärt die Frage ist, unter welchen Bedingungen Kunst, also auch Theater, entsteht. Unter demokratischen? Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele, war in Paris und erfuhr Khrzhanovskys Produktionswelt, Arbeit und Präsentation als ein Kunstwerk neuen Typs, das er als ein Purgatorium versteht: „Es will eine dunkle Läuterungserfahrung mit den Mitteln der Kunst sein – ein seltsames Menschenverwandlungsexperiment, das die Grenzen zwischen Leben und Werk, Produzieren und Konsumieren auflöst.“
Die Kritik an autoritären Strukturen greift aber nicht nur die Institutionen, sondern auch die „Institution“ Regietheater an, bei der sich in der Person des Regisseurs enorm viel Macht vereint. Das thematisiert der neue Schauspielchef am Landestheater Detmold Jan Steinbach gleich in einer seiner ersten Inszenierungen, in Shakespeares „Der Sturm“, in der ein Prospero als selbstherrlicher Theaterchef über eine Bühnen-Insel herrscht und gnadenlos am Ensemble scheitert. Mit Detmold und dem Theater der Altmark in Stendal, an dem Wolf E. Rahlfs als neuer Intendant angetreten ist, stellen Jens Fischer und Gunnar Decker den Neustart zweier Landesbühnen und ihrer federführenden Regisseure vor.
Eine junge Regisseurin wie Pınar Karabulut profitiert nicht nur von den schon spürbaren Veränderungen, die der Kampf für Gleichberechtigung der Geschlechter an den deutschen Bühnen erzielt hat: Sie hat sich diesen Kampf auch auf die Fahnen geschrieben. Da ist sie ganz Kind ihrer Generation, schreibt Martin Krumbholz in seinem Porträt – und zeigt, wie sich diese neue female power in ihren Inszenierungen niederschlägt.
Mit einem Szenenwechsel nach Italien beschleicht einen dennoch der Gedanke, dass die deutschen Probleme nahezu Luxusprobleme sind. „Gegenwärtig ist das italienische Theater im Vergleich zum deutschen auf Dritte-Welt-Niveau“ – so beschreibt Antonio Latella, Regisseur und Intendant der Theaterbiennale in Venedig, die finanziell prekären Arbeitsbedingungen an italienischen Bühnen, die mit dem neuen Haushaltsgesetz weitere Kürzungen zu erwarten haben. In unserem Länderschwerpunkt stellt Peter Kammerer mit dem Teatro delle Albe und dem Teatro Elfo Puccini zwei Ensembles und deren Künstler vor, die unter diesen Bedingungen seit Jahrzehnten ihre individuellen ästhetischen und institutionellen Strategien verfolgen und sich in ihren Arbeiten mit den Problematiken der Gegenwart kurzschließen. So berichtet es auch Renate Klett über die neue Produktion des Teatro delle Albe. Dass es mit Latellas eigener Kompanie stabilemobile oder der Performergruppe Anagoor, deren Produktion „Orestea“ Friederike Felbeck im Mülheimer Theater an der Ruhr gesehen hat, auch immer wieder Neugründungen gibt, lässt hoffen.
Den Auftakt unseres Heftes bildet vielleicht auch deshalb Gunnar Deckers Porträt eines so eigenwilligen Performers, Puppenspielers, Bühnenbildners, Installationskünstlers, Zeichners ... wie Joachim Hamster Damm, der sich jenseits aller Institutionen und im Zusammenspiel seiner Begabungen einen eigenen Kosmos geschaffen hat. Wir haben versucht, ihn in unserem Künstlerinsert abzubilden. //
Die Redaktion
Artikel | Seite |
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Artikel | Seite |
Künstlerinsert | |
Fluchtkunstvon Hamster Damm | Seite 4 |
Fluchträume träumenPuppenstuben, aus denen niemand entkommt – die Fluchtkunst des Bühnenbildners, Puppenspielers und Künstlers Joachim Hamster Dammvon Gunnar Decker | Seite 8 |
thema: italien | |
Altruismus oder KampfWie begegnet Italiens Kulturszene dem budgetären Raubbau, fragt der Intendant der Theaterbiennale in Venedig Antonio Latellavon Antonio Latella | Seite 11 |
Auf der Bühne steht der MenschErmanna Montanari und Marco Martinelli schließen mit ihrem Teatro delle Albe die ursprünglichen Energien des Theaters mit den sozialen Problematiken der Gegenwart kurz. Wie, erzählen sie im Gespräch mvon Peter Kammerer, Marco Martinelli und Ermanna Montanari | Seite 12 |
Ich klage an!„fedeli d’Amore“ vom Teatro delle Albe ist ein J’accuse großer Dimension und kulminiert in einem rasenden Rundumschlag gegen Mafia und Politikvon Renate Klett | Seite 15 |
Immer im ProzessDas Teatro Elfo Puccini in Mailand schafft seit Jahrzehnten mit Ensemblegeist und langem Atem große Inszenierungszyklen und pflegt seinen Hausgeist Shakespearevon Peter Kammerer | Seite 16 |
Lawine der RacheStarke Bilder und Gegenwartsbezüge – die „Orestea“ der italienischen Künstlergruppe Anagoor am Theater an der Ruhr in Mülheimvon Friederike Felbeck | Seite 19 |
Protagonisten | |
Vom Hirn übers Herz in den KörperDie Regisseurin Pınar Karabulut begegnet Theaterstoffen mit weiblichem Selbstbewusstsein und prinzipiellem Optimismusvon Martin Krumbholz | Seite 20 |
Das Werk als PassageÜber die Pariser Weltpremiere des Projekts DAU von Ilya Khrzhanovskyvon Thomas Oberender | Seite 24 |
Kolumne | Seite 29 |
Der wilde Hans von KosovoWas mein Künstlermonolog in Prishtina unvermutet über albanische Künstler verrätvon Ralph Hammerthaler | |
Protagonisten | |
Ein amerikanischer TraumWolf E. Rahlfs, neuer Intendant des Theaters der Altmark in Stendal, startet mit Tempo – und fokussiert die Träume und Albträume in Zeiten unheilvoller Ideologisierungvon Gunnar Decker | Seite 30 |
Keine Anbiederung, nirgendsUnter neuer Intendanz zeigt sich am Landestheater Detmold auch der neue Schauspielchef Jan Steinbach ambitioniertvon Jens Fischer | Seite 33 |
Essener VerhältnisseUnter der Intendanz von Christian Tombeil stellt das Schauspiel Essen mit partizipativen Projekten und politischen Stoffen den Bildungsauftrag in das Zentrum seiner Arbeitvon Sascha Westphal | Seite 36 |
Look Out | |
Ich denke anders, also bin ichDer Regisseur Evgeny Titov befragt Sinn und Unsinn des menschlichen Daseins mit den Mitteln der Metaphysikvon Martin Krumbholz | Seite 38 |
Moderne ZeitenDas Theaterkollektiv WuK bereichert die freie Szene in Halle mit klugen Inszenierungen über die Katastrophen unserer Weltvon Chris Weinhold | Seite 39 |
Auftritt | |
Augsburg: Gewaltgeschichte des 20. JahrhundertsTheater Augsburg: „Europe Central“ (UA) nach dem Roman von William T. Vollmann. Regie Nicole Schneiderbauer, Ausstattung Miriam Buschvon Christoph Leibold | Seite 43 |
Aarau: Wach bleiben!Theater Tuchlaube: „Alles wahr – Ein Stück Verschwörungstheorie“ (UA) von Daniel Di Falco. Regie Olivier Keller, Bühne Dominik Steinmann, Kostüme Senta Amackervon Elisabeth Feller | Seite 43 |
Bamberg: Im Besorgte-Bürger-LandETA Hoffmann Theater: „Leere Herzen“ (UA) von Juli Zeh. Regie Daniela Kranz, Ausstattung Martina Suchanekvon Sabine Leucht | Seite 44 |
Kassel: Das Reich des RauschesStaatstheater Kassel: „Intervention“ (UA) von Rebekka Kricheldorf. Regie Schirin Khodadadian, Ausstattung Ulrike Obermüllervon Joachim F. Tornau | Seite 45 |
München: Offene RechnungMünchner Volkstheater: „Amsterdam“ (DSE) von Maya Arad Yasur. Regie Sapir Heller, Ausstattung Anna van Leenvon Christoph Leibold | Seite 46 |
Oberhausen: Im Sumpf der GenderdebatteTheater Oberhausen: „Salome“ von Oscar Wilde. Regie Stef Lernous, Bühne Sven Van Kuijk, Kostüme Hsin-Hwuei Tsengvon Lisa Kerlin | Seite 47 |
Rostock: Banale DämonenVolkstheater Rostock: „Grete Minde“ (UA) nach Theodor Fontane. Regie Kay Wuschek, Ausstattung Joachim Hamster Dammvon Gunnar Decker | Seite 49 |
Zürich: Unter uns die Leichen der KommunardenTheater Neumarkt: „Das Leben des Vernon Subutex“ (UA) von Virginie Despentes. Regie Peter Kastenmüller, Bühne Alexander Wolf und Justus Saretz, Kostüme Aino Laberenzvon Dorte Lena Eilers | Seite 50 |
Stück Labor – Neue Schweizer Dramatik | |
Kleinfamilie in der MedienhölleJoël László über sein Stück „Die Verschwörerin“ im Gespräch mit Elisabeth Maiervon Elisabeth Maier und Joël László | Seite 53 |
Die Verschwörerinvon Joël László | Seite 54 |
Die einzige Verbindung nach draußenAnna Papst über ihr Stück „Freigänger“ im Gespräch mit Elisabeth Maiervon Elisabeth Maier und Anna Papst | Seite 71 |
FreigängerEine Reportage fürs Theatervon Anna Papst | Seite 72 |
Der Kalte Krieg in meinem KörperMarina Skalova über ihr Stück „Der Sturz der Kometen und der Kosmonauten“ im Gespräch mit Elisabeth Maiervon Elisabeth Maier und Marina Skalova | Seite 85 |
Der Sturz der Kometen und der Kosmonautenaus dem Französischen von Marina Skalova und Frank Weigandvon Marina Skalova | Seite 86 |
Magazin | |
Wunderdinge 2.0Das Laborfestival „Challenge my fantasy – more“ am Theater an der Parkaue Berlin erkundet virtuelle Theaterformenvon Theresa Schütz | Seite 99 |
Gebärden einer Sprache der LiebeDas inklusive Theaterprojekt Possible World in Berlin arbeitet seit zehn Jahren mit gehörlosen und hörenden Darstellern und entwickelt daraus eine eigenwillig unmittelbare Bühnensprachevon Dorte Lena Eilers | Seite 100 |
Geschichten vom Herrn H.: Alle Räder stehen stillvon Jakob Hayner | Seite 101 |
Die raue DivaZum Tod der Schauspielerin und Regisseurin Ursula Karusseitvon Thomas Irmer | Seite 102 |
Dokument der ZerrissenheitHeinrich Breloer: „Brecht“. Gemeinschaftsproduktion der Bavaria Fernsehproduktion mit WDR, BR, SWR, NDR und ARTE für die ARD, Ausstrahlungstermine: 22. März 2019 auf ARTE, 27. März 2019 in der ARD.von Holger Teschke | Seite 104 |
Onwards and no forgettingThe Collected Poems of Bertolt Brecht. Übers. und hrsg. von Tom Kuhn und David Constantine. W.W. Norton & Company, London und New York 2018, 1312 Seiten.von Erik Zielke | Seite 105 |
23 Mal SchleefVor dem Palast. Gespräche über Einar Schleef. Herausgegeben von Corinne Orlowski, Suhrkamp Verlag, Berlin 2019, 370 Seiten, 24 EUR.von Thomas Irmer | Seite 105 |
Meldungen | Seite 106 |
PremierenMärz 2019 | Seite 108 |
TdZ on Tour | Seite 110 |
Impressum/Vorschau | Seite 111 |
Autoren März 2019 / Vorschau | |
Gespräch | Seite 112 |
Was macht das Theater, Sabine Westermaier und Dorothea Lautenschläger?von Sabine Westermaier, Jakob Hayner und Dorothea Lautenschläger |
Hamster Damm
Gunnar Decker
Dorte Lena Eilers
Friederike Felbeck
Elisabeth Feller
Jens Fischer
Ralph Hammerthaler
Jakob Hayner
Thomas Irmer
Peter Kammerer
Lisa Kerlin
Renate Klett
Martin Krumbholz
Joël László
Antonio Latella
Dorothea Lautenschläger
Christoph Leibold
Sabine Leucht
Elisabeth Maier
Marco Martinelli
Ermanna Montanari
Thomas Oberender
Anna Papst
Theresa Schütz
Marina Skalova
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