Heft 04/2019
Umkämpfte Vielfalt
Das Theater und die AfD
Broschur mit 84 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
„Die Freiheit der Kunst ist ein Gradmesser gesellschaftlicher und demokratischer Freiheit. Die Länder bekennen sich dazu, diese Freiheiten zu schützen und zu einem Maßstab ihrer Kulturpolitik zu machen.“ Mit dieser Erklärung setzte Mitte März die neu gegründete Kulturministerkonferenz in Deutschland ein deutliches Zeichen gegen rechts. Denn spätestens seit dem Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag wird die Freiheit der Kunst öffentlich infrage gestellt. Parlamentarische Anfragen, Forderungen nach Subventionskürzungen und Strafanzeigen vonseiten der AfD in den Landes- und Kommunalparlamenten nehmen zu. Ihr Vorwurf: die angebliche Dominanz linker Positionen in der Kulturszene. Besonders in Fragen der Migrationspolitik würden, laut AfD, Künstler als Sprachrohr der Regierung auftreten, finanziert durch Subventionen und staatliche Förderprogramme. Dieser Aussage setzen die Kulturminister ihre Erklärung entgegen: „Nach übereinstimmender Auffassung der Kulturministerkonferenz besteht kein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot staatlich finanzierter Einrichtungen, wenn die Verteidigung verfassungsrechtlicher Grundfreiheiten Gegenstand der Aktivitäten ist. Kultureinrichtungen ist die Möglichkeit zu sichern, sich zu gesellschaftlichen oder politischen Problemlagen zu äußern und auch kritisch Stellung zu beziehen. Dies ist durch Artikel 5 des Grundgesetzes gedeckt.“
Trotz solcher Statements, die Initiativen wie Die Vielen mit ihren bundesweiten Glänzenden Demos flankieren, muss und wird die Arbeit an der Aufrechterhaltung zivilgesellschaftlicher Freiräume im Kleinen, in den Städten und Kommunen, stattfinden. Anja Nioduschewski zeichnet in ihrem Einführungstext für unseren Schwerpunkt „Umkämpfte Vielfalt“ eine Landkarte der Konflikte zwischen Theatern und AfD und beschreibt Strategien des Umgangs damit. Denn sicher ist: In Bundesländern wie etwa Sachsen ist eine CDU-AfD-Koalition nach den kommenden Landtagswahlen im September nicht mehr auszuschließen. Michael Bartsch war für uns in Dresden unterwegs, um die Konfliktlinien zwischen AfD-Landtagsfraktion und Theatern abzuschreiten. Sein ernüchterndes Fazit: Der Kampf um die Kultur in Sachsen ist in vollem Gange. Trotz der aufgeheizten Stimmung sollte die scharfe Analyse der Situation und ihrer Akteure indes nicht aufgegeben werden. Was steckt hinter dem Kulturkonzept der AfD? Hat sie eines? Was wäre im Falle eines von der AfD besetzten Kulturministeriums auf Länderebene zu erwarten? Der renommierte Politikwissenschaftler Claus Leggewie, der mit seinem 1993 erschienenen Buch „Multi Kulti. Spielregeln für die Vielvölkerrepublik“ Maßstäbe in der Diskussion um ein pluralistisches Miteinander setzte, hat für unseren Schwerpunkt den Kulturpolitischen Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion Marc Jongen zum Streitgespräch gebeten. Was genau stört die AfD an den Spielplänen der Theater? Was konkret steckt hinter der Aussage, Förderkriterien grundlegend hinterfragen zu wollen? Zwei von vielen Fragen, die Leggewie beantwortet wissen wollte – jenseits von Parolen und Sprachverdrehungen. An Letzterem arbeitet sich auch das Autor*innenkollektiv Nazis & Goldmund ab. 2016 von Jörg Albrecht, Thomas Arzt, Sandra Gugić, Thomas Köck und Gerhild Steinbuch gegründet, betreibt es Kritik und Widerstand mit poetischen Mitteln. Anja Nioduschewski hat mit Thomas Köck über diese Arbeit an der Sprache gesprochen. Zudem veröffentlichen wir als Stückabdruck Texte von ihm, Elfriede Jelinek und Kathrin Röggla, die im Rahmen der Diskursreihe „Die Zukunft des Widerstands“ von Nazis & Goldmund entstanden sind.
Das Theater Ulm unter seinem neuen Intendanten Kay Metzger hat die „Erklärung der Vielen“, der sich deutschlandweit viele Kulturinstitutionen angeschlossen haben, nicht unterzeichnet. Stattdessen hat das Haus eine eigene Stellungnahme gegen jede Form der Ideologisierung abgegeben, die Metzger, so berichtet es Sabine Leucht, differenzierter findet. Künstlerisch ist das Theater mit einem Mix aus globalen und lokalen Themen, darunter eine Uli-Hoeneß-Wurstiade, erfolgreich gestartet. Ebenfalls viel Gutes hat Elisabeth Maier aus dem Zimmertheater Tübingen zu berichten, das sich unter den neuen Intendanten Dieter und Peer Ripberger zu einem Institut für theatrale Zukunftsforschung verwandeln soll. Schauspieler-Avatare treffen auf Marx’ Klassenkampf-Theorie auf einer Reise in die digitale Zukunft.
Einen prominenten Abschied bereitet in diesem Heft Filmregisseur Lars von Trier dem Schauspieler Bruno Ganz, der im März mit 77 Jahren in Zürich verstorben ist. „The House that Jack Built“ heißt von Triers jüngster Film, in dem Ganz den Serienkiller Jack als Anti-Engel in die Hölle geleitet. Als Schauspieler, schreibt Gunnar Decker in seinem Nachruf, sei Bruno Ganz immer beides gewesen, halb Engel, halb Teufel. „Die Irritation“, die sein Spiel auslöste, „tragen wir mit uns.“ //
Die Redaktion
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Künstlerinsert | |
Bühnenvon Katrin Brack | Seite 4 |
Die Bühne sprichtKatrin Brack über Pollesch, Hitchcock und das Eigenleben ihrer Bühnen. Ein Gespräch anlässlich der Verleihung des Hein-Heckroth-Preises mit Dorte Lena Eilersvon Dorte Lena Eilers und Katrin Brack | Seite 8 |
Thema | |
Kulturkampf oder alles nur Theater?Wie die AfD mit ihrer Kulturpolitik die Theater attackiert – und glänzendem Protest begegnetvon Anja Nioduschewski | Seite 11 |
Bitte konkret!Ein Streitgespräch zwischen dem Politikwissenschaftler Claus Leggewie und Marc Jongen, dem kulturpolitischen Sprecher der AfD-Bundestagsfraktionvon Claus Leggewie und Marc Jongen | Seite 13 |
Auf KollisionskursDie Konfliktlinien zwischen Theatern und der AfD in Sachsenvon Michael Bartsch | Seite 22 |
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Fiesta AntifaDer Dramatiker Thomas Köck über die mit vier Kollegen gegründete Autor*inneninitiative Nazis & Goldmund im Gespräch mit Anja Nioduschewskivon Anja Nioduschewski und Thomas Köck | Seite 25 |
blühende landschaften – wir werden sie jagen!von Thomas Köck | Seite 27 |
Worte schweigen, flüstern Geigenvon Elfriede Jelinek | Seite 29 |
Unschärfe Stellungvon Kathrin Röggla | Seite 30 |
Kolumne | Seite 33 |
Die Erniedrigten und BeleidigtenÜber das aggressive Wirtschaften der Reichen und Reichstenvon Josef Bierbichler | |
Kommentar | Seite 35 |
Auf die Straße, Intendanten!Der Gesellschaftsvertrag der TOOH muss verändert werden, um statt destruktiver Strategiespiele eine funktionierende Leitungsstruktur in Halle zu ermöglichenvon Dorte Lena Eilers | |
Protagonisten | |
Zwischen Himmel und HölleZum Tode des großen Schauspielers Bruno Ganzvon Gunnar Decker | Seite 36 |
Bruno Ganzvon Lars von Trier | Seite 39 |
Sender und Empfänger Sehnsucht nach der großen NarrationDas Theater Freiburg peilt mit Intendant Peter Carp ehrgeizige Ziele anvon Bodo Blitz | Seite 40 |
Das EntdeckerhausDer Freiburger Intendant Peter Carp im Gespräch mit Bodo Blitzvon Bodo Blitz und Peter Carp | Seite 41 |
BildkorrekturChristoph Hein wird 75 Jahre alt – und schließt in seinem jüngsten Buch die Wirklichkeit eines geteilten Landes aufvon Jakob Hayner | Seite 43 |
Wir und die StadtDer neue Intendant Kay Metzger erobert Ulm mit einem Mix aus lokalen und globalen Themen – und einem Schauspielensemble, das Spaß machtvon Sabine Leucht | Seite 44 |
Mit Marx und Siri im BälleparadiesInnovative Kunst im Digitalzeitalter – Unter der neuen Intendanz von Dieter und Peer Ripberger soll aus dem Zimmertheater Tübingen ein Institut für theatrale Zukunftsforschung werdenvon Elisabeth Maier | Seite 47 |
Du sollst dir ein Bildnis machen …von dieser Emanzipation: „Lulu“ in Zeiten von #MeToo in Wilhelmshaven und Bremenvon Jens Fischer | Seite 50 |
Look Out | |
Fort GrrrrrlDas Berliner Kollektiv Henrike Iglesias betreibt humorvoll und explizit feministische Aufklärungsarbeitvon Theresa Schütz | Seite 52 |
Die SehnsuchtsforscherinZwischen entsetzlichem Fremdsein und emanzipatorischer Kraft – die Karlsruher Schauspielerin Anna Gesa-Raija Lappevon Elisabeth Maier | Seite 53 |
Auftritt | |
Berlin: In den dunklen Häusern liegen LeichenNeuköllner Oper: „Elfie“ (UA) von W. Böhmer und M. G. Berger nach „Eine Mordgeschichte“ von Tankred Dorst in Mitarbeit von Ursula Ehler. Regie Martin G. Berger, Ausstattung Sarah-Katharina Karlvon Dorte Lena Eilers | Seite 55 |
Bremerhaven: Authentizität? Überleben!Stadttheater Bremerhaven: „Extremophil“ von Alexandra Badea Regie Tim Egloff Ausstattung Cornelia Schmidtvon Jens Fischer | Seite 55 |
Heidelberg: Polyphonie der SchicksaleTheater Heidelberg: „Zwischenraum (Istanbul – Heidelberg)“, Rechercheprojekt von Zinnure Türe (UA). Regie Zinnure Türe, Ausstattung Stephanie Karlvon Björn Hayer | Seite 57 |
Leipzig: Traumata-ArbeitSchauspiel Leipzig: „atlas“ von Thomas Köck (UA). Regie Philipp Preuss, Ausstattung Ramallah Aubrechtvon Anja Nioduschewski | Seite 58 |
Linz: Durst vorm HochofenLandestheater Linz: „Mythos VOEST“ von Regine Dura (UA) Regie Hans-Werner Kroesinger, Ausstattung und Videodesign Rob Moonenvon Margarete Affenzeller | Seite 59 |
Stuttgart: Dick in the AirStaatstheater Stuttgart: „Die Sieben Todsünden / Seven Heavenly Sins“ von Kurt Weill / Bertolt Brecht und Peaches. Regie Anna-Sophie Mahlervon Otto Paul Burkhardt | Seite 60 |
Wien: KriegsromantikVolkstheater Wien: „Rojava” von Ibrahim Amir (UA). Regie Sandy Lopičić, Ausstattung Vibeke Andersenvon Theresa Luise Gindlstrasser | Seite 61 |
Wiesbaden: La-La-Shakespeare-LandHessisches Staatstheater Wiesbaden: „Was ihr wollt“ von William Shakespeare. Regie Ulrike Arnold, Bühne Bartholomäus Martin Kleppek, Kostüme Anne Buffetrillevon Shirin Sojitrawalla | Seite 62 |
Magazin | |
Hoffnung im WiderspruchZum dritten und letzten Mal erlebte Augsburg das Brechtfestival unter der Leitung von Patrick Wengenrothvon Chris Weinhold | Seite 67 |
Heraus aus den Halbkreisen der SelbstvergewisserungDie Freiheit der Kunst war das bestimmende Thema auf dem flausen+bundeskongress#2 im Freien Werkstatt Theater in Kölnvon Sascha Westphal | Seite 68 |
Geschichten vom Herrn K.: Armutsursachen bekämpfenvon Jakob Hayner | Seite 69 |
Monolith mit Passion – ein Theater voller Leben! Leben! Leben!Zum Tod des Schauspielers Joachim Tomaschewskyvon Sabine Zielke | Seite 70 |
(Un)heilige MütterIn Erinnerung an die Schauspielerin Christine Glogervon Gunnar Decker | Seite 71 |
Ich!Lion Feuchtwanger: Ein möglichst intensives Leben. Die Tagebücher. Hg. von Nele Holdack, Marje Schuetze-Coburn, Michaela Ullmann, Aufbau Verlag, Berlin 2018, 640 Seiten, 26 EUR.von Erik Zielke | Seite 72 |
Der geniale ImpresarioUlrich Eckhardt: Über Mauern geschaut. Was Kultur kann – und soll. Siebenhaar Verlag, Berlin 2018, 320 Seiten, 29,90 EUR.von Friedrich Dieckmann | Seite 73 |
Aktuell | |
Meldungen | Seite 74 |
TdZ on Tour | Seite 75 |
Premieren April 2019 | Seite 76 |
Impressum/Vorschau | Seite 79 |
Autoren April 2019 / Vorschau | |
Gespräch | Seite 80 |
Was macht das Theater, Sonja Laaser?von Sascha Westphal und Sonja Laaser |
Margarete Affenzeller
Michael Bartsch
Josef Bierbichler
Bodo Blitz
Katrin Brack
Otto Paul Burkhardt
Peter Carp
Gunnar Decker
Friedrich Dieckmann
Dorte Lena Eilers
Jens Fischer
Theresa Luise Gindlstrasser
Björn Hayer
Jakob Hayner
Elfriede Jelinek
Marc Jongen
Thomas Köck
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