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Warum die Kritik an „kultureller Aneignung“ in Aberwitz verdampft

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Einmal hab ich mir eine fremde Sprache angeeignet, das Spanische, weil ich mit Menschen in Mexiko und Kolumbien direkt sprechen wollte, ohne aufs Englische auszuweichen. Und weil ich Bolaño im Original lesen wollte. Irgendwann hat es leidlich geklappt. Als sie „Schnappräuber“ in Mexico City aufführten, hielt ich in der Universität einen Vortrag, über mein Stück und Tendenzen der deutschen Dramatik. Ich sprach auf Spanisch, was, wenn auch nicht perfekt, gut ankam. Nicht ganz so gut an kam mein hochspanisches Lispeln, das ich damals dynamisch fand. Danach flüsterte mir mein Regisseur ins Ohr: So klingt die Sprache der Kolonisatoren.

Für meinen Roman „Kosovos Töchter“ hab ich monatelang auf dem Balkan recherchiert. Überwiegend sprach ich mit Frauen, jungen und alten, zumeist Feministinnen, aber auch mit deutschen Soldaten oder dem Politiker Albin Kurti, dem Rudi Dutschke Kosovos. Zu diesem Romanprojekt hat mich, was gar nicht nötig gewesen wäre, mein ­albanischer Freund Besim immer wieder ermuntert. Vielleicht, sagte er, siehst du etwas, was wir in Kosovo nicht sehen. Könnte gut sein. Aber wer weiß. In Prishtina lief auf der Leinwand ein Fußballspiel, und junge Männer trugen Trikots des FC Bayern München. Frage an alle: Wer ist der Fremde?

So gesehen müsste mich der Vorwurf der „kulturellen Aneignung“ ins Mark treffen. Aber erstens ist schon der Begriff falsch, weil in den fluiden Kulturen der Welt kein Eigentum übertragen werden kann, und zweitens wird der Vorwurf vom Popanz einer kollektiven Identität erhoben, die es in Wahrheit nicht gibt. Richtig wäre es, von kultureller Annäherung zu sprechen, von Empathie und Vorstellungskraft, von Verstehenwollen, vielleicht auch von Solidarität. So wie ich versuche, empathisch Figuren zu entwickeln, so nimmt sie die Leserin oder der Leser empathisch in sich auf. Und schaut so über den Kreis des eigenen Lebens hinaus. Wer nur ist darauf aus, die Menschen beschränkt zu halten?

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