Heft 10/2022
Der Untergang des russischen Theaters
Broschur mit 88 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Das Titelbild zeigt die Flamme über dem PCK Schwedt in der brandenburgischen Uckermark, wo seit Jahrzehnten russisches Rohöl durch die „Drushba-Trasse“ ankommt und verarbeitet wird. Die sogenannte Abfackelung von Prozessgasen ist in Raffinerien ein normaler Vorgang, doch nun ist diese Flamme auch ein Symbol geworden: für die Stadt Schwedt, für die Nöte von Embargo-Politik, nicht zuletzt auch dafür, wie der russische Angriffskrieg nach Deutschland hineinwirkt, bis in die Kultur und die Theater, die schon die Heizkosten für den Winter durchrechnen und dabei das Publikumsverhalten mit steigender Sorge im Auge behalten.
Man kann es auch so sagen: In Schwedt brennt die Luft. Denn sollte die Flamme über dem PCK verlöschen, wird die Stadt veröden. Die Uckermärkischen Bühnen in ihrem 1978 im Kulturpalast-Stil errichteten Gebäude haben in den vergangenen Wochen Diskussionen zu Perspektiven von Stadt und Region veranstaltet, in einer Stimmung, die den Intendanten André Nicke sogar an den Herbst 1989 erinnerte. Man sah sich in der 33.500-Einwohner-Stadt von der Bundesregierung und dem Land Brandenburg gleichermaßen im Stich gelassen, als Wirtschaftsminister Robert Habeck und Ministerpräsident Dietmar Woidke den Ball, wie es hieß, immer wieder zum anderen schoben. Inzwischen ist der russische Anteilseigner Rosneft Deutschland unter die Aufsicht der Bundesnetzagentur gestellt worden – immerhin liefert das PCK u. a. das Kerosin für den BER-Hauptstadtflughafen sowie Heizöl und Benzin für den Großraum Berlin. Aber wie und wie viel Öl jetzt nach Schwedt kommt, ist weiter unklar. Das Theater (mit 105 Mitarbeitern nach den 1200 Beschäftigten des PCK der zweitgrößte Betrieb) war in diesem Moment tatsächlich der Ort der Einmischung und der erneut aufflammenden Transformationsdebatten im Osten Deutschlands. Wie man sieht, liegt Schwedt an der Oder, ist aber keinesfalls marginal – und sein Theater hat Haltung bewiesen, indem es zum Forum wurde.
Dass Russlands Krieg auch die eigene Kultur mit den schlimmsten Folgen verändern würde, entspricht wohl allen Erwartungen. Wie die russische Theaterkultur aber aus einer künstlerischen, auch materiell gut versorgten Blütezeit (bis zum 24. Februar des Jahres) in den Abgrund stürzt, das beschreibt und analysiert Marina Dawydowa erstmals so umfassend für TdZ. Die Chefredakteurin von Teatr, der bedeutendsten russischen Theaterzeitschrift, befindet sich gerade im Exil-Wiederaufbau, musste aus Moskau in den ersten Tagen des Krieges fliehen, nachdem Unbekannte ihr das berüchtigte „Z“ als unmissverständliche Drohung an die Wohnungstür gepinselt hatten. Der Abdruck dieses Beitrags möchte außerdem ausdrücklich verdeutlichen, dass sich TdZ mit der Situation des russischen Theaters, seiner ins Exil getriebenen Künstler und der katastrophalen kulturpolitischen Situation genauso beschäftigt wie mit der Situation des ukrainischen Theaters und seiner jede Unterstützung brauchenden Theaterkünstler. Es ist notwendig, für alle.
Und – 40 Jahre Kampnagel! Darin spiegelt sich nicht nur, wie sich Theaterkultur in Spielformen, politischer Intervention, Institutionen und Internationalität verändert hat. Nein, mit der Geschichte vom Fabrik-Underdog zum Staatstheater wurde auch ein Kapitel weithin ausstrahlender deutscher Kulturgeschichte geschrieben. Wir gratulieren. //
Thomas Irmer
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Kunstinsert | |
Bühnenbildervon Heike Schuppelius | Seite 6 |
Zwischen den DisziplinenHeike Schuppelius im Gespräch mit Ute Müller-Tischlervon Ute Müller-Tischler und Heike Schuppelius | Seite 10 |
40 jahre kampnagel | |
Mit Besetzungsproben ging es los40 Jahre Kampnagel und das Festival zum Jubiläumvon Peter Helling | Seite 16 |
Das KraftzentrumAmelie Deuflhard im Gespräch mit Peter Helling über Geschichte und Zukunft der Hamburger Kulturfabrik Kampnagelvon Amelie Deuflhard und Peter Helling | Seite 20 |
theater in russland | Seite 26 |
Der Krieg und die „Kulturrevolution“Der Angriff auf die Ukraine ist auch ein Feldzug gegen die russische Kultur und das Theatervon Marina Dawydowa | |
Protagonisten | Seite 30 |
Erzähltheater als EigentherapieGeorg Genoux setzt am Thespis Zentrum Bautzen und beim bevorstehenden Festival „Willkommen anderswo“ neue Akzentevon Michael Bartsch | |
martin linzer theaterpreis | |
Grenzenlose politische TheaterkunstLaudatio zum Martin-Linzer-Theaterpreis 2021 für das Stuttgarter Autor:innentheater Rampevon Elisabeth Maier | Seite 36 |
Die Jenaer WunderblüteLaudatio zum Martin-Linzer-Theaterpreis 2022 an das Kollektiv Wunderbaumvon Michael Helbing | Seite 39 |
70 jahre maxim gorki theater | Seite 42 |
Im Schatten der Platz an der Sonne70 Jahre Wandel am Maxim Gorki Theater Berlinvon Hans-Dieter Schütt | |
Aktuelle Inszenierung | |
Ecce homo – vom Leiden an den eigenen VerbrechenChristian Friedels Sound-Stück „Macbeth“ am Staatsschauspiel Dresdenvon Michael Bartsch | Seite 44 |
Völlig losgelöstDie Ruhrtriennale beschäftigt sich seltsam kraftlos mit der Schwelle zwischen Leben und Todvon Stefan Keim | Seite 46 |
stückgespräch | Seite 48 |
„Das Etikett ‚AUFSTREBEND‘ ist grausam und hält die Autorinnen klein“María Velasco im Gespräch mit Álvaro Vicente und Martín Valdés-Staubervon Álvaro Vicente, María Velasco und Martín Valdés-Stauber | |
Stück | Seite 52 |
Ich will die Menschen ausroden von der Erdeaus dem Spanischen von Franziska Muchevon María Velasco | |
Auftritt | |
Aarau: Ruedi Häusermann flaniert mit Robert WalserBühne Aarau: „Schauplatz der Kunst“ von Judith Gerstenberg und Ruedi Häusermann (UA). Komposition, Regie, Bühne und Licht Ruedi Häusermannvon Fabienne Naegeli | Seite 65 |
Berlin: Im kalten LichtBerliner Ensemble: „Exil“ von Lion Feuchtwanger, Bearbeitung Luk Perceval und Sibylle Baschung. Regie Luk Perceval, Bühne Annette Kurz, Kostüme Ilse Vandenbusschevon Thomas Irmer | Seite 65 |
Berlin: Das postheroische HeldentumSchaubühne am Lehniner Platz: „Sich waffnend gegen eine See von Plagen (ОЗБРОЮЮЧИСЬ ПРОТИ МОРЯ ЛИХ)“ (UA) Ein Projekt von Stas Zhyrkov und Pavlo Arie. Regie Stas Zhyrkov, Bühne Jan Pappelbaumvon Nathalie Eckstein | Seite 67 |
Bonn: Thesentheater mit emotionalem KernSchauspiel Bonn: „Medea 38 / Stimmen“ von Doğan Akhanlı mit Texten und nach Motiven von Christa Wolf, Euripides, Seneca (UA). Regie und Video Nuran David Çalis, Musik Vivan Bhatti, Bühne Anne Ehrlichvon Stefan Keim | Seite 68 |
Cottbus: VerrutschtStaatstheater Cottbus: „Raumfahrer“ nach dem Roman von Lukas Rietzschel (UA). Bearbeitung und Regie Paula Thielecke, Bühne/Kostüme Jan Koslowski, Video Max Kubitschek, Musik Mika Amsterdamvon Thomas Irmer | Seite 69 |
Stralsund: Die Werther:inTheater Vorpommern: „Werther“ nach „Die Leiden des jungen Werther“ von Johann Wolfgang von Goethe. Regie und Bühne Niklas Ritter, Kostüme Juliane Götzvon Juliane Voigt | Seite 70 |
Telfs: Keinesfalls hässlichTiroler Volksschauspiele: „Monster und Margarete“ von Thomas Arzt (UA). Regie Susanne Lietzow, Bühne Aurel Lenfert, Kostüme Mirjam Ruschkavon Bernd Doppler | Seite 71 |
Vitte/Hiddensee: Aus der Hölle gesehenSeebühne Hiddensee: „Don Juan oder Der steinerne Gast“. Regie Antje König, Figuren und Bühne Christian Werdinvon Thomas Irmer | Seite 71 |
Wien: Nachtportier, analfixiertVolkstheater Wien: „NV / NIGHT VATER / VIENNA“ von Paul McCarthy und Lilith Stangenbergvon Dora Dorsch | Seite 73 |
Magazin | |
Erweiterte RealitätenEindrücke vom Kunstfest Weimar, das eine „Sehnsucht nach morgen“ beschworvon Michael Helbing | Seite 77 |
Aus dem Arsenal des MeistersBühnen-Objekte Bert Neumanns im mecklenburgischen Klempenowvon Juliane Voigt | Seite 79 |
Rückkehr zum DomhofDie 9. Ausgabe des Theaterfestivals „Spieltriebe“ in Osnabrückvon Hans Butterhof | Seite 80 |
Wasserspiele mit bitterem AbgangDas Zürcher Theater Spektakel als gewichtiger Koproduzent – mit Pussy-Riot-Aufregervon Daniele Muscionico | Seite 81 |
Die Gegenwart aushalten lernenDas 13. Berliner Hörspielfestival als Seismograf der Veränderungvon Paul Mühlbach | Seite 82 |
Bücher: Spanische Stücke zu entdeckenSchattenschwimmer. Neue Theatertexte aus Spanien, hrsg. von Franziska Muche und Carola Heinrich, Neofelis, Berlin 2022, 380 S., 20 Eurovon Thomas Irmer | Seite 83 |
Aktuell | |
Meldungen | Seite 84 |
Premieren und FestivalsOktober 2022 | Seite 86 |
Impressum/Vorschau | Seite 87 |
Autorinnen und Autoren Oktober 2022 / Vorschau | |
Gespräch | Seite 88 |
Was macht das Theater, Juan Mayorga?von Juan Mayorga und Stefanie Gerhold | |
Spanien | Seite 90 |
Das große Welttheatervon Stefanie Gerhold |
Michael Bartsch
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