„Bautzener Erklärung“ zum 9. Sächsischen Theatertreffen

Der Landesverband Sachsen im Deutschen Bühnenverein eröffnet mit seiner „Bautzener Erklärung“ das biennale Treffen der Schauspielensembles des Freistaates in Bautzen, deren lange Geschichte und bewegte Gegenwart in besonderer Weise die Wichtigkeit gemeinsamen Einstehens für den humanistischen Auftrag der Kunst rechtfertigt. Damit wollen die Theater Sachsens beim 9. Sächsischen Theatertreffen ein unüberhörbares Zeichen setzen und formulieren in ihrer Erklärung folgende Punkte: 

1. Die Theater und Orchester stehen mit ihrer Kunst für eine offene Gesellschaft, in der die Achtung und Wahrung der Menschenwürde nicht nur für den Staatsbürger sondern auch für Menschen Gültigkeit hat, die aus anderen Kulturkreisen kommend hier leben oder die Rettung und Hilfe suchend vor Krieg und Verfolgung fliehen.

2. Die Theater und Orchester stehen mit ihrer Kunst für eine humanistische Grundposition ein, durch die der Mensch als Mensch und nicht als durch Vorurteile geprägter Träger von angeblich fremden Weltanschauungen, Dogmen und Moralvorstellungen angesehen wird.

3. Die Theater und Orchester geben durch ihre Kunst ein Beispiel für das Glück, das unserer Kultur durch die Aufklärung geschenkt wurde, und stellen deren ästhetische Ausprägung als Beispiel dar, wie unterschiedliche Religionen oder Weltanschauungen im Lessing'schen Sinne über duldende Toleranz hinausgehend ihre gemeinsamen Schnittmengen finden und nutzen können.

4. Die Theater und Orchester werden ihre besondere Aufgabe erfüllen, gerade in einer für lange Zeit durch eine geschlossene und weitgehend zwangshomogene nationale Struktur geprägten Gesellschaft dafür zu sorgen, dass Interesse und Neugier an dem jeweils Anderen wachsen, durch Vorurteile potenzierte Angst und durch Ignoranz bedingtes Misstrauen zurückgedrängt und beseitigt werden und die Chance zu neuer Offenheit endlich umfassend genutzt wird.

5. Die Theater und Orchester betrachten die Forderung nach Integration nicht als Einbahnstraße, wobei das Erlernen der Sprache, in der auch die Kunst zum Mit- und Nachdenken einlädt, eine von den Neubürgern zu leistende Grundvoraussetzung ist. Integration wird nur durch die Bereitschaft des Interesses für die Kultur des anderen und durch die Möglichkeit ihrer Ausübung und Durchdringung mit der unseren sinnvoll.

6. Die Theater und Orchester verstehen sich als Initiator, Impulsgeber und Performer künstlerischen Erlebens, das ausgehend vom kleinesten gemeinsamen Nenner – Toleranz – Anstand und Würde im Umgang miteinander als Grundprinzip der Begegnung von Kulturen anmahnt, beispielhaft vorlebt und fördert. Sie sehen sich als Laboratorium, in dem sich Leben und Visionen auf der Bühne widerspiegeln und zum Ausgangspunkt der Diskussion über ästhetische Prozesse und ihre Wirkung werden.

7. Die Theater und Orchester verteidigen die Freiheit der Kunst als demokratische Auseinandersetzung und mutigen Meinungsstreit, dessen Vielfalt und Schärfe weder zensiert noch behindert werden darf - weder durch Selbstzensur noch durch hinzukommende Wertvorstellungen, Dogmen und Moralnormen. Die Bühnen setzen ihr Freiheitsprinzip mit Respekt und Achtung, mit Selbstbewusstsein als Träger der durch die Aufklärung geadelten hier tradierten Moralnormen und mit vorurteilsfreier Neugier auf Neues um.

8. Die Theater und Orchester wenden sich mit aller Entschiedenheit gegen jene PEGIDA-"Spaziergänger", die sich hinter der Maske der Sorge versteckend bereits jetzt dafür gesorgt haben, dass man über den Freistaat nicht mehr staunend als Kulturland spricht sondern ihn als Synonym für dumpfe, brutale, gehässige und vor allem mitleidslos egoistische Positionen versteht, deren primitives Vokabular sich über die Medien vor allem in sächsischer Mundart verbreitet.

9. Die Theater und Orchester unterstützen Initiativen, den Dialog zu brennenden Fragen demokratisch zu führen und auf der Grundlage der Akzeptanz der Würde des Menschen auch auf den Bühnen oder in den Räumen der Kultureinrichtung zu ermöglichen. Sie werden es aber nicht zulassen, ihre Räume, ihre Gebäude, ihr Umfeld und ihr Image zu antidemokratischen und inhumanen Propagandazwecken zu nutzen. Sie fordern nachdrücklich, die Unerträglichkeit zu beenden, den Kunst- und Kultureinrichtungen zuzumuten als Kulisse für Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz, Rassismus und Menschenverachtung missbraucht zu werden.

10. Die Theater und Orchester stellen die große Potenz und Kraft ihrer Kunst in den Dienst der dringend notwendigen ästhetischen Bildung, die nicht nur die zu uns kommenden Menschen mit unserer Sprache und Kultur in Berührung bringen, sondern auch den "Einheimischen" jene Horizonte öffnet, die für ein aufeinander Zugehen zum Kompass und Impuls werden könnten. Sie fordern eine gesetzliche Regelung der Integration, in der die verwachsenen und einseitig fordernden Interpretationen in Richtung wechselseitiger Verantwortung konkretisiert werden. Die kulturelle und ästhetische Unterstützung der Kunst und ihrer Zugangschancen soll dabei durch unsere konzeptionelle Mitsprache verpflichtend angeregt werden.

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