Erste Inszenierung nach Bayreuther Sommer-Flop

Sebastian Baumgarten bringt "Carmen" an die Komische Oper Berlin

Der Berliner Opern- und Theaterregisseur Sebastian Baumgarten hat  in diesem Sommer bei den Bayreuther Festspielen für große Aufregung gesorgt. Er war dort zum ersten Mal eingeladen und sorgte mit einer schwer verständlichen "Tannhäuser"-Inszenierung für viel Ablehnung bei Publikum und Presse.

Vier Monate später steht am Sonntag an der Komischen Oper Berlin seine nächste Premiere bevor: Georges Bizets "Carmen". Mit dem Regisseur sprach dapd-Korrespondentin Angelika Rausch in Berlin.

dapd: Ihre erste Inszenierung seit Bayreuth - wie haben Sie den ganzen Rummel und auch die Ablehnung verarbeitet?

Baumgarten: Im ersten Jahr ist es für jeden Regisseur in Bayreuth schwierig, gerade wenn der Entwurf versucht, radikal zu sein und mit bestimmten Grundsätzen Bayreuths aufzuräumen. Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich bejubelt werde. Übrigens gab es schon bei der sechsten Vorstellung keine Buhs mehr. Mit der Bühnenkonstruktion haben wir eine Steilvorlage geliefert, die wir im ersten Jahr noch nicht konsequent umsetzen konnten. Die "Werkstatt Bayreuth" gibt mir aber in den kommenden Jahren Zeit, die Inszenierung noch mehr zu verdichten und die Installation auf der Bühne stärker an den Stoff anzubinden. Es muss auf der sinnlichen Ebene besser funktionieren.

dapd: Werden Sänger und Dirigent Thomas Hengelbrock im kommenden Jahr denn auch wieder dabei sein, obwohl die Aufführung so auch für sehr negative Resonanz sorgte?

Baumgarten: Es ist keiner dabei, der sagt, er zieht sich aus dieser Produktion zurück. Die Sänger testen ja auch im ersten Jahr ihres Bayreuth-Auftritts, wie sie mit dem großen Raum und mit der speziellen Akustik dort umgehen können. Das wird in den folgenden Jahren sehr viel sicherer sein.

dapd: Für Sie persönlich war die vehemente Ablehnung nach der Premiere also gar kein Drama?

Baumgarten: Mir ist das nicht gleichgültig, und ich provoziere solche Reaktionen nicht bewusst. Aber ich bin als Regisseur ja nicht gerade bekannt dafür, dass ich der Erfolgsbringer beim Publikum schlechthin bin. Wer mich einlädt, dort zu arbeiten, der weiß, dass die Arbeit auch durchaus kritisch aufgenommen werden wird.

dapd: Haben Sie die Atmosphäre in Bayreuth in diesem Jahr auch als besonders aggressiv empfunden, vor allem der neuen Festspielleitung gegenüber?

Baumgarten: Ja, in ganz starkem Maße. Nach dem Tod des Festspielleiters Wolfgang Wagner wird scheinbar jetzt alles auf den Prüfstand gehoben. Aber es ist gut, dass die beiden Festspielleiterinnen Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner auch mit der jüngsten Entscheidung, Frank Castorf mit der Regie für den "Ring" 2013 zu beauftragen, daran festhalten, kritische und starke Handschriften nach Bayreuth zu holen. Sie fallen nicht in das Konventionelle zurück, bloß weil es von außen Prügel gibt.

dapd: Wie sehen Sie die Entscheidung für Castorf als "Ring"-Regisseur?

Baumgarten: Es ist in Bayreuth einige Male verpasst worden, Regisseure, die ihre Dekade bestimmten - wie zum Beispiel Ruth Berghaus oder Peter Konwitschny - einzuladen. Darum ist es richtig, jetzt den wichtigsten deutschen Theaterregisseur derzeit nach Bayreuth zu holen. Er wird für diesen sehr politischen Stoff sicher fantastische Bildwelten schaffen. Ich finde, es ist eine sehr gute Entscheidung.

dapd: Und jetzt "Carmen", die meist gespielte Oper überhaupt. Sind die Erwartungen da wieder riesengroß?

Baumgarten: Es ist gerade nach dem "Tannhäuser" auffällig, wie ökonomisch die Partitur ist, wie spielerisch. Sie inszeniert sich einfach super. Wir haben ein wenig gekürzt. Es sind "normale" Menschen, die auf der Bühne gezeigt werden, die in bestimmten sozialen Zusammenhängen stehen. Es ist eine Liebesgeschichte, die sich an eine soziale Realität bindet. Das Soziale spielt eine enorme Rolle in dem Stück, darum werde ich es auch nicht auf einer abstrakten Bühne spielen lassen. Viele Konflikte in Beziehungen haben gerade heute eine soziale Basis: Das Geld reicht nicht, man ist mit Krisen konfrontiert, was wird mit den Kindern? Diese Fragen interessieren mich viel mehr als die nach der mystischen Vamp-Frau Carmen. Es ist eine harte Geschichte, denn sie erzählt auch von der Kälte beim Ende einer Beziehung.

dapd: Klingt denn "Carmen" auf Deutsch, wie man es an der Komischen Oper hören wird, auch schön?

Baumgarten: Natürlich hat man das immer im Französischen im Ohr und muss sich an das Deutsche etwas gewöhnen. Aber das ist eben Tradition hier am Hause. Aber manche Sachen werden plötzlich auf eine berühmte Musik so deutlich geäußert, dass man positiv geschockt ist. Da ist es dann interessant. Wir arbeiten mit einer neuen Übersetzung und haben die Dialoge in den Proben weiterentwickelt und ausgearbeitet. Daher haben wir eine ganz eigene Fassung.

dapd

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