Das Geheimnis spielen. Die Schauspielerin Nina Hoss
Das Dezemberheft von Theater der Zeit
„Die Gegenstände dienen nicht dazu, tückisch zu spielen. Sie sind tückisch." Solche Sätze fallen in Laurent Chétouanes Inszenierung von Handkes „Publikumsbeschimpfung" recht häufig. TdZ-Redakteur Sebastian Kirsch war im Theater am Neumarkt in Zürich unterwegs, um auf einer leeren Bühne diesen chétouaneschen Subjekten ohne Subjektivität zu solchen Sätzen zuzuschauen.
Eine Aufführung, die nachdenklich stimmt. Philippe Quesne dagegen, der 2003 sein Vivarium Studio gründete, situiert nicht die Tücke des Objekts, sondern dessen unendliche Anmut. Zu den unverwechselbaren Qualitäten dieser Formation gehören die Dinge der Alltagswelt, die dieses Theater der „transparenten Experimentierfläche" vor unser aller Zuschaueraugen neu erfindet. „Das Sein bestimmt das Bewusstsein" bedeutet hier: Der Mensch wird von Beziehungen gespiegelt, allerdings den „Beziehungen des Einzelnen zu den Dingen, die ihn umgeben", so TdZ-Redakteurin Lena Schneider. Zwar sind die Dinge bekannt, aber in ihrer Zauberhaftigkeit nicht erkannt, demonstriert uns das Vivarium Studio und löst aus, was Brecht als Ziel aller Theaterkunst definierte: das Staunen.
Dagegen ist über Nina Hoss „bereits alles gesagt", weiß TdZ-Redakteur Gunnar Decker, was ihn aber nicht hindern soll, in seinem Porträt vor der 35-Jährigen auf die Knie zu fallen, beeindruckt von einer Art des Auftretens, „wie es nur wirklich souveränen Menschen gegeben ist". Wer will es ihm verdenken. Starjournalist Georg Stefan Troller warf einmal die Existenzialistenmuse Juliette Grèco mit der Frage „Wissen Sie überhaupt, was das ist, Existenzialismus?" aus der Bahn. Solche Ungezogenheiten sind in Theater der Zeit kurz vor Weihnachten nicht zu erwarten. Für jeden, der erfahren will, wie die Begegnung Hoss/Decker trotzdem ein Echo auf die Eskapaden des legendären Urahnen wirft, ein unbedingtes „must-read".
Ebenso der Artikel von TdZ-Redakteurin Dorte Lena Eilers, die sich „gegen die Vorbelichtung des Gehirns" engagiert und uns an ihrem Streifzug durch die Opernwelt zwischen Berliner Staatsoper und freier Szene teilnehmen lässt. Bei Los trifft sie auf Christoph Schlingensief, den sein „Please! No music!" nicht von der Bühne in Bayreuth fernhalten konnte, und später im Dunkel des gelebten Augenblicks bei Michael von zur Mühlen und Sebastian Baumgarten auf jenen Geist der Erneuerung, der mit der Unerschrockenheit aller „Drachentödter" (Nietzsche) darauf sinnt, das konservative Musiktheater aus den Angeln zu heben.
Dass die freie Szene auf dem Vormarsch ist und versteinerte Strukturen aufbricht, betrachtet TdZ seit längerem mit Wohlgefallen und erfreut sich mit Sebastian Kirsch, diesmal im Tandem mit Hanna Höfer, am Einmarsch des Kultduos Gintersdorfer/Klaßen ins Bochumer Stadttheater unter der neuen Intendanz von Anselm Weber. Ohne zu viel zu verraten, sei vorweggenommen, dass es um Gott und Geld und Afrika geht, um Deutsch und Französisch, einen tanzenden Hund, der, als er noch ein Mensch war, tagtäglich eine Schüssel mit Gold vorgesetzt bekam, bis er einmal von einem Fremden Wechselgeld annahm, gerade genug, um eine Dose Hundefutter der Marke Chappi zu kaufen. Das entspricht in etwa dem Tatsachenroman aus Deutschland, wo Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren, weil sie unautorisiert Pfandbons einlösen - nur eben mit mehr Magie.